"Diese Vielfalt ist tatsächlich einzigartig in Deutschland"
MdL Florian Ritter fordert tragfähige Perspektiven für junge Lehrer
In diesen Tagen beginnt das neue Schuljahr. MdL Florian Ritter nimmt Stellung zum Lehrermangel und zur Ganztagsbildung und erklärt, warum München eine Schulstadt und Vorbild ist:
Junge Lehrer müssen um ihre Existenz fürchten
In vielen Schulen ist auch im vergangenen Schuljahr enorm viel Unterricht ausgefallen. Lehrer fehlen, klagen Eltern und Verbände. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Florian Ritter: Der Lehrermangel an den staatlichen Schulen ist hausgemacht, junge Menschen wurden durch strenge Einstellungsbedingungen systematisch davon abgehalten, diesen Beruf zu ergreifen. Lehrkräfte an staatlichen Schulen, vor allem an Grund-, Mittel- und Förderschulen sehen sich erschwerten Bedingungen gegenüber: große Klassen, heterogene Schülerschaft, unzureichende Unterstützung. Es fehlen Zusatzkräfte, Supervision und ein entsprechendes Fortbildungsangebot.
Schulleitungen erhalten gerade im Primarbereich kaum Ermäßigungsstunden, bei kleinen Schulen haben sie Klassenführung, es bewirbt sich kaum noch jemand um Schulleitungsstellen.
Die Einstellungsnoten trugen dazu bei, dass sich gerade im Primarbereich viele Lehramtsstudenten abwandten und – nur als Beispiel - in den sozialen Bereich gingen.
Im vergangenen Schuljahr war in München im Grund- und Mittelschulbereich die mobile Reserve ausgereizt, jeder Krankheitsfall führte automatisch zu Klassenaufteilungen oder gar Unterrichtsausfällen.
Dazu kommt, dass Lehramststudenten fürchten müssen, dass sie nach dem Referendariat nur mit einem befristeten Vertrag eingestellt werden und regelmäßig zum Schuljahresende wieder ausgestellt und dann nicht wissen, ob sie wieder eingestellt werden. Dies erfahren sie zumeist äußerst kurzfristig. Wenn wir eine gute Unterrichtsversorgung wollen, dann müssen wir den jungen Menschen, die unsere Kinder unterrichten sollen, auch eine Perspektive geben. Die Staatsregierung stellt seit Jahren immer mehr Lehrkräfte nur mit Zeitverträgen für ein Unterrichtsjahr ein und schickt die Menschen dann zu Beginn der Sommerferien in die Arbeitslosigkeit. Das darf nicht sein. Unsere Kinder sollen nicht von Lehrern unterrichten werden, die jedes Jahr aufs Neue um ihre Existenz fürchten müssen.
Ganztagsbildung in Bayern ist ein Sparkonzept
In München müssen oft beide Eltern arbeiten, um den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen. Krippenversorgung und Ganztagsunterricht werden nach wie vor ausgebaut und immer mehr forciert. Kinder brauchen aber nicht nur Bildung, sondern auch Bindung. Geht diese verloren? Haben wir zu wenig Zeit für Kinder? Sollten Eltern nicht eine echte Wahlmöglichkeiten haben, ob sie sich selbst um ihre Kinder kümmern oder das Einrichtungen wie Kita und Schule überlassen?
Florian Ritter: Frühkindliche Bindung ist wichtig, aber ebenso wichtig ist es, dass Kinder in gesicherten Verhältnissen aufwachsen. Eine stabile Elternbeziehung ist keine Frage von Zeit, sondern von Intensität. Ebenso wichtig ist die grundsätzliche Konstanz der Bezugspersonen. Eltern haben nicht viel weniger Zeit als früher für ihre Kinder, sie teilen sie sich nur anders ein. Ein Kind, dass aus der ganztägigen Betreuung nach Hause kommt, muss keine Hausaufgaben mehr machen und kann das mit seiner Familie verbringen, was neudeutsch gerne als „quality-time“ bezeichnet wird.
Die Realität zeigt, echte Wahlmöglichkeiten gibt es nicht, auch wenn sie scheinbar hergestellt werden. Echte Wahlmöglichkeiten zu haben hieße nämlich, die Eltern können entscheiden, wieviel sie arbeiten und in welchem Verhältnis ihre Arbeitszeit zueinander steht. In der Tat ist es so, dass die Väter arbeiten und dann eben mehr arbeiten, wenn die Mutter zuhause ist. Es ist durch verschiedenste Studien erwiesen, dass Kinder in einer qualitativ hochwertigen Ganztagsbetreuung besser lernen und besser auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben vorbereitet werden als wenn sie größtenteils sich selbst oder dem Fernseher überlassen zuhause sind.
Das Thema ist allerdings, dass die bayerische Ganztagsbildung ein Sparkonzept darstellt. 12 zusätzliche Lehrerstunden plus ein externer Anbieter und am Freitag und in den Ferien gibt es kein Angebot, das ist Ganztagsschule nach bayerischem Rezept. Kein Wunder, dass immer noch viel zu wenig Schulen bereit sind, eine Ganztagsklasse aufzumachen. Bezüglich der Essensversorgung werden sie ebenfalls allein gelassen. Die Kommune richtet die Küche ein, ist aber für das Personal nicht zuständig. Das Kultusministerium sagt dazu, das muss die Schule alleine stemmen.
"Vorraussetzungen für modernsten Unterricht geschaffen"
München wächst. Wir brauchen aber nicht nur neue Wohnungen für die zu uns ziehenden Menschen, sondern auch Schulen für deren Kinder. Hält der Neu- und Ausbau von Schulen mit dem Bedarf Schritt?
Florian Ritter: München hat seit der Amtsübernahme unseres Oberbürgermeisters Dieter Reiter mit dem Aktionsprogramm 2020 zum Schul- und Kitaausbau ein Milliardenpaket in die Hand genommen. Die Stadt errichtet bedarfsgerecht Schulen und Kindertagesstätten für die jeweiligen Neubau- und Wachstumsgebiete. Als Beispiel sind hier das Gebiet Paul-Gerhart-Allee und vor allem natürlich Freiham zu nennen mit seinen vier Grundschulen, einer Realschule und einem Gymnasium. Soeben erst war Richtfest auf dem Bildungscampus Freiham, der auch das Förderzentrum München-West (ehemals am Schererplatz) beherbergen wird. Hier werden bzw. sind die Schulen zeitgleich mit dem Einzug der Menschen fertig gestellt. Es sind alles staatliche Schulen, folglich obliegt die Unterrichtsqualität und die ganztägige Konzepierung dem Freistaat. Mit dem Münchner Schulbaukonzept sind auf jeden Fall alle Vorraussetzungen für modernsten Unterricht geschaffen.
"Das europäische Ausland sieht München als Vorbild"
München ist stolz, „Schulstadt“ zu sein. Gerade die beruflichen Schulen sind von einer Anzahl und damit Vielfalt, die es andernorts kaum gibt. Welche Chancen bietet München seinen jungen Leuten?
Florian Ritter: München blickt auf eine demnächst 150-jährige Tradition als Schulstadt zurück. Das kommunale Schulwesen ist in der Größenordnung einzigartig in Deutschland. Zurückgeführt wird es auf den Reformpädagogen Georg Kerschensteiner, den ersten Stadtschulrat Münchens. Er hat mit der Errichtung der Arbeitsschulen die Grundlage für das Berufsschulwesen und damit für die duale Ausbildung überhaupt geschaffen. Er war es im Übrigen auch, der die „politische Bildung“ als Unterrichtsfach einführte. Von rund 120 städtischen Schulen sind mehr als 80 Schulen des beruflichen Zweigs, hierzu zählen Berufsschulen, Berufsfachschulen, Wirtschaftsschulen, Fachoberschulen und Berufsoberschulen. Diese Vielfalt ist tatsächlich einzigartig in Deutschland. Auch das europäische Ausland sieht München hier als Vorbild, Finnland z. B. hat sein Berufsschulwesen nach dem Vorbild Münchens aufgebaut. Die beruflichen Schulen bieten nicht nur Münchner Schülern die Möglichkeit, sich ganz nach ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten in einem Beruf ihrer Wahl ausbilden zu lassen. Manche dieser Ausbildungsberufe werden in keiner anderen Kommune Bayerns angeboten, so dass die Schüler einen weiten Weg auf sich nehmen müssen.
Für Neuzugewanderte bieten darüber hinaus die Berufsintegrationsklassen die Möglichkeit auf eine Ausbildung vorbereitet zu werden. Weitere vielfältige Maßnahmen werden durch das Sozialreferat sowie durch das Referat für Arbeit und Wirtschaft angeboten, so dass besonders im oft kritischen Bereich des Übergangs Schule-Beruf niemand verloren geht.
Der Fachkräftemangel schlägt natürlich auch bei den Berufsschullehrern zu Buche, daher hat das Referat für Bildung und Sport mit Unterstützung der Stadtspitze eine groß angelegte Werbekampagne gestartet um junge Menschen für diesen besonderen Beruf zu gewinnen.München stellt ebenso Wohnraum für Auszubildende in den städtischen Wohnbaugesellschaften zur Verfügen. Solche Wohnprojekte sollten endlich vom Freistaat ausreichend förderngefördert werden. Im Bund setzt sich die SPD für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristungen ein. Denn viele Berufsanfänger müssen sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln ohne die Chance darauf, sich eine feste Existenz aufbauen zu können.
Florian Ritter (SPD) ist seit 2003 Landtagsabgeordneter. Am 14. Oktober wird der Landtag neu gewählt. Ritter tritt als Direktkandidat wieder im Stimmkreis 106 Pasing an. Dazu gehören Pasing, Menzing, Allach, Aubing, Lochhausen, Langwied und ein Teil Laims.
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