"Der Freistaat kümmert sich um nichts"
Für Dieter Reiter und Florian Ritter steht "Wohnen" an oberster Stelle
In den vergangenen 15 Jahren sind 500.000 Menschen nach Bayern gezogen. In den nächsten 15 Jahren werden es noch einmal so viele sein." Diese Zahlen nannte MdL Florian Ritter (SPD). Ein Drittel davon wird in München wohnen wollen. Wo sie und die Menschen, die schon immer hier leben, bezahlbaren Wohnraum finden, ist die zentrale Frage, vor der München steht. Florian Ritter und Oberbürgermeister Dieter Reiter erklärten auch bei ihrem dritten "Auf ein Wort"-Abend den Bürgern, wie sich die Stadt dieser großen Herausforderung stellt.
Wachstum ist eigentlich ein gutes Zeichen, sind sich Reiter und Ritter einig. Die "Abstimmung mit den Füßen" zeige, das München beliebt ist. "Kein Wachstum wäre auch schlecht", meinte Reiter, denn dann gäbe es Arbeitslosigkeit. Die ist in München gegenwärtig kein Thema. "Die Unternehmen raufen sich um Arbeitskräfte und Auszubildende!"
"Das muss die Kommune tun"
"Bezahlbaren Wohnraum schaffen? Das muss die Kommune tun", erklärte OB Reiter, "denn die Investoren werden es nicht machen." Vorgaben wie die sozialgerechte Bodennutzung, die die Stadt Investoren abverlangt, seien keine festen Gesetze. "Wir müssen bauen", betonte er. "Das macht nicht überall Spaß und ich werde nicht überall bejubelt." Zwar geben drei Viertel aller Münchner an, Wohnen sei das wichtigste Thema - "aber überall, wo du baust, sind auf der anderen Straßenseite sofort 20 Leute, die dagegen protestieren", meinte Reiter. Inzwischen werde sogar gegen Kitas geklagt, beschrieb Reiter eine "egoistisch geprägte Stadtgesellschaft". Gleichwohl werde er weiterhin Entscheidungen treffen, "die nicht jedermann prickelnd findet", sagte er. Die Preise auf dem Wohnungsmarkt werden allein durch Angebot und Nachfrage bestimmt - daher erhöhe die Stadt das Angebot, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
"Man kann nicht alles zubauen"
Dem nötigen Bauen sollen Freiflächen und Kleingärten aber nicht zum Opfer fallen, versprach der OB. "Da bin ich absolut dagegen. Man kann nicht alles zubauen!" so Reiter. Das Wohnungsproblem lasse sich zudem nur gemeinsam mit den Umlandgemeinden lösen. Man werde zusammenwachsen und baue inzwischen bereits Schulen am Stadtrand, die Kinder aus der Stadt mit Kindern aus den Nachbargemeinden nutzen. "Nur so geht's", erklärte Reiter.
"Bestandsmieten berücksichtigen!"
Damit auch die Menschen, die schon immer hier leben, sich München künftig leisten können, müsse man z.B. den Mietspiegel ändern. Reiter und Ritter fordern eine "echte Reform, die auch die Bestandsmieten berücksichtigt". Bisher werden dem Mietspiegel nur die Neuvermietungen der letzten vier Jahre zugrunde gelegt. Die Folge: "Der Mietspiegel kennt nur eine Richtung: immer nach oben", so Reiter. Die beiden Politiker sind überzeugt: Werden die Bestandsmieten, die oft noch günstig sind, einbezogen, dann bleibt das Mietniveau gleich oder steigt langsamer an.
"Der Freistaat betätigt sich als Spekulant"
Heftige Kritik übten Florian Ritter und Dieter Reiter an der bayerischen Staatsregierung, die sich an der Lösung der Probleme nicht beteiligen. Der Freistaat sei einer der größten Grundstückseigentümer - er könne Grundstücke für Genossenschaften und günstigen Wohnraum zur Verfügung stellen, verkaufe sie aber nur gegen Höchstgebot. "Der Freistaat betätigt sich als Spekulant", so der Vorwurf Reiters. Seine Bewertung: "Der Freistaat macht der Stadt eine Menge Probleme und drückt sich vor Entscheidungen. Er nimmt der Stadt die Möglichkeit einer sinnvolen Stadtentwicklung."
Reiter und Ritter begründeten ihre Kritik u.a. mit dem Verweis auf den ÖPNV. Hier müsse man massiv investieren, sonst bekomme man die Folgen des Wachstums nicht in den Griff. Auch hier sei der Freistaat am Zug. Er sei u.a. für die S-Bahn zuständig. Die mache als einziger Verkehrsträger in München Gewinne - die aber nicht im System investiert werden, um z.B. das 60 Jahre alte, störanfällige Stellwerk am Ostbahnhof zu modernisieren. "Der Freistaat kümmert sich um nichts", kritisierte Dieter Reiter.
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