Was soll bleiben?
Erinnerung teilen beim Museumslabor im Kösk
"Wir ziehen hier ein kleines Museum auf", bringt es Karin Schad vom Münchner Stadtmuseum auf den Punkt. Es ist in München eine absolut neuartige Aktion: Alle sind eingeladen, eine Ausstellung mitzugestalten, die über zehn Tage hinweg in der Galerie Kösk allmählich entstehen und wachsen soll. Teile davon werden später im Münchner Stadtmuseum am St.-Jakobs-Platz gezeigt. An diesem Ort geht es um München, um seine Geschichte und seine Menschen. Und dass viele Münchner zugewandert sind, das ist im Stadtmuseum und im Stadtarchiv, also dem Gedächtnis der Stadt, noch zu wenig dokumentiert, oder: "einseitig von einer Verwaltungssicht geprägt", wie es in der Beschreibung des Projekts "Migration bewegt die Stadt" heißt. Was also soll bleiben, welche Ausstellungsstücke und Geschichten sollen für nachfolgende Generationen aufbewahrt und zugänglich gemacht werden?
2015 haben Historiker begonnen, nach Menschen und ihren Einwanderungs-Geschichten zu suchen. Gelandet sind sie sehr schnell im Westend, dem Münchner Viertel, das durch Zuwanderung von Arbeitern entstanden ist. Nachdem sie von Institutionen wie dem Griechischen Haus, dem Multikulturellen Jugendzentrum und der IG Feuerwache bestens unterstützt wurden, haben sie sich auf die Suche nach Privatpersonen gemacht, die selber Migrationsgeschichte erlebt haben. Im März gab es im Viertel bereits Aktionstage mit Erzählabenden, Diskussionen, Führungen und einem Abschlussfest. "Dadurch konnten wir Vertrauen gewinnen", freuen sich Natalie Bayer und Simon Goeke von "Migration bewegt die Stadt". Nun richten sie sich vom 5. bis 16. Juli mit dem offenen Museumslabor im Kösk ein – im Rahmen der Kunst- und Kulturtage "Westend hat ein Gesicht".
"Helft uns!"
Wieder sind hier die Menschen gefragt, die entweder selbst oder deren Eltern als Migranten in die Stadt kamen. "Es ist auch ein Aufruf: Helft uns, wir brauchen euch", erklärt Natalie Bayer. Das Historiker-Team ist auf der Suche nach Erinnerungsstücken, die etwas Exemplarisches haben, und der Geschichte dazu. Die gesammelten Teile werden dann im Kösk gemeinsam zu einer Ausstellung gestaltet. "Warum ist ein Museum eigentlich spannend für jemanden? Diese Frage wird sicherlich immer wieder diskutiert werden", so Karin Schad, die im Stadtmuseum für die Kulturvermittlung zuständig ist. Ein Museumslabor sozusagen mit Beteiligung des Publikums ist ein neuer Ansatz in der Museumsarbeit in München. In Frankfurt und Stuttgart habe es so etwas bereits gegeben, man kenne es auch aus den Niederlanden oder England. "Es ist also auch für uns ein Experiment", so die Macher vom Stadtmuseum.
Das Projekt "Migration bewegt die Stadt" hat vorige Woche eine eigene Ausstellungsfläche im Stadtmuseum bekommen, auf der es immer wieder seine Ergebnisse präsentieren kann. Das langfristige Ziel ist jedoch, im Museum die Migrationsgeschichte in die Stadtgeschichte zu integrieren. Zur Zeit läuft die Planung für den Umbau des Stadtmuseums, danach wird es eine neue Dauerausstellung geben, in der das Thema Migration nicht gesondert, sondern als Teil des Ganzen enthalten sein soll.
Musik, Kleidung, Fotoalben
Das Museumslabor im Kösk (Schrenkstraße 8) nimmt am Mittwoch, 5. Juli, seine Arbeit auf. Geöffnet ist es dann bis zum 16. Juli jeden Tag von 15 bis 19 Uhr, zu diesen Zeiten ist immer jemand vom Projekt "Migration bewegt die Stadt" vor Ort und nimmt Gegenstände und ihre Geschichten entgegen. Zusätzlich finden offene Sammel-Workshops statt.
Der erste Sammel-Workshop steht unter dem Motto "Musik": Das Museumslabor sucht nach Schallplatten, Kassetten, Radios, Aufnahmegeräten oder USB-Sticks. Am 5. Juli wird von 15 bis 19 Uhr gesammelt, von 20 bis 22 Uhr schließt sich eine öffentliche Präsentation der Stücke mit Erzählungen der Teilnehmenden an.
Kleidung ist das Thema des Sammel-Workshops am Freitag, 7. Juli. Von 15 bis 19 Uhr sind besonders diejenigen willkommen, die ihren Arbeitskittel oder Helm, ein Sporttrikot, Freizeit- oder Festkleidung mitbringen und die Geschichte dazu erzählen möchten. Von 20 bis 22 Uhr gibt es wieder die öffentliche Präsentation der Stücke mit Erzählungen der Teilnehmenden.
Am Samstag, 8. Juli, geht es dann von 15 bis 19 Uhr um alles Denkbare: Das Museumslabor sucht nach Schulheften, Schreibmaschinen, Spielzeugen, Büchern, Briefen und anderen Erinnerungsstücken und Erzählungen darüber. Ab 20 Uhr findet ein Erzählkunst-Abend mit Özlem Tetik und Monika Wendl statt. Die beiden Geschichtenerzählerinnen spielen und erzählen alte und moderne Geschichten aus verschiedenen Erzähltraditionen und verweben darin ihre persönlichen Erlebnisse über die Münchner Migration.
Fotos stehen im Mittelpunkt des offenen Sammel-Workshops am Montag, 10. Juli, von 15 bis 19 Uhr. Das Museumslabor sucht nach Fotoalben, Kameras oder USB-Bilder-Sticks. Ab 20 Uhr folgt wieder eine öffentliche Präsentation der Stücke mit Erzählungen der Teilnehmenden.
Eröffnung: 14. Juli
Am Freitag, 14. Juli, wird dann die bis dahin gestaltete Ausstellung "Unser Museumslabor Westend" um 18 Uhr eröffnet. Ab 20 Uhr erzählen Ausstellungsbeteiligte über ihre Erinnerungen an die Migrationsgeschichte vom Westend, moderiert von DJane Ü. Ab 22 Uhr wird dann Party mit DJane Ü gefeiert. Am Samstag und Sonntag, 15. und 16. Juli, ist die Ausstellung dann noch von 15 bis 19 Uhr im Kösk zu sehen.
Und warum sollte jemand seine persönlichen Erinnerungsstücke hergeben? "Letztlich ist es nicht ein Hergeben von Erinnerung, sondern ein Teilen von Erinnerung", meint Simon Goeke. "Die Erinnerung wird verlängert und bewahrt. Wir überlegen hier, was in 100 Jahren noch sichtbar sein soll."
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