Stadtteilhistoriker Walter G. Demmel berichtet:
Bis zum bitteren Ende: Der ehemalige Bahnübergang bei Krauss-Maffei
1921 Am 19. Dezember 1921 fand im Gasthaus Naßl in Allach eine Besprechung statt, die sich mit den Weg- und Straßenverhältnissen in Allach-Untermenzing, notwendig durch den damaligen Bahnhofumbau, beschäftigte. Außer den Herren vom Bezirksamt München und der Eisenbahndirektion München nahmen die Direktoren Hans Georg Krauss – nicht verwandt mit dem 1906 verstorbenen Firmengründer Georg Krauss - und Hölldorfer von der Lokomotivfabrik Krauss und der Allacher 1.Bürgermeister Rieger, der zweite Bürgermeister Reiter und 10 Gemeinderäte, von Untermenzing ebenfalls der 1.und 2. Bürgermeister und 10 Gemeinderäte an der Besprechung teil.
Vorausgegangen war ein Antrag der Gemeinde Allach auf den Bau von Unterführungen bei der Ludwigsfelder Straße, bei Orenstein & Koppel und bei Kirsch & Söhne. Zwar wurde von Seiten der Eisenbahndirektion einzeln dazu Stellung genommen, der Bau von Unterführungen aber grundsätzlich wegen der hohen Kosten ausgeschlossen. Nachdem man sich nicht einigen konnte, erklärten die Gemeindevertreter von Allach und Untermenzing übereinstimmend, auf den vorhandenen Überfahrtsmöglichkeiten zu bestehen.
1928 Sieben Jahre später fand am 18. Juni 1928 eine Besprechung bei der Reichsbahn statt, die Aufklärung bringen sollte über die nun von der Gemeinde Allach bevorzugte Unterführung bei Orenstein & Koppel gegenüber von Krauss Lokomotivbau. Die Begründung hieß, dass täglich zweimal 600 Arbeiter von Krauss und die Sanitätsautos von und zu dieser Fabrik verkehrten, ferner auch Frauen und Kinder, die mittags das Essen für ihre Männer und Väter brächten. Da diese Überfahrt des Öfteren durch Rangierzüge versperrt sei, ergäben sich ständig Unzuträglichkeiten für Fußgänger, die dringend ihren Zug erreichen müßten Diese schlüpften dann bei Lebensgefahr unter der Absperrung durch. Autos mit Frachten von und zu Krauss müßten ebenfalls die Überfahrt benützen, weil die rückwärtige Lindentraße über die Angerlohstraße zur Moosacher Straße keine ausgebaute Verbindung habe. Eine Bahnunterfahrt würde also die kürzeste Verbindung der Gemeinde Allach mit der Stadt München darstellen, während einer Unterführung bei der Ludwigsfelder Straße diese Bedeutung nicht zukomme.
Die Vertreter der Reichsbahn hielten dem entgegen, dass die Unterführung bei Orenstein & Koppel technische Schwierigkeiten hinsichtlich der Höhe und des notwendigen Straßenanstiegs böte. Ebenso seien die vorhandenen neun Gleise schwer zu unterführen. Deshalb sollte man nur eine Fußgängerunterführung bauen und die Überfahrt bis auf weiteres belassen. An den Kosten müßten sich die Gemeinden anteilsmäßig beteiligen und die Firma Krauss einen entsprechenden Zuschuß in Aussicht stellen. Einige Monate später teilt die Reichbahndirektion München dem Allacher Gemeinderat mit, dass die Herstellung der besprochnen Unterführung erst mit der endgültigen Regelung der Kostenbeteiligung erfolgen könne. Für eine Straßenunterführung eigne sich die Lage nicht, da die Straßenrampen bis an die bestehenden Baulinien reichten und vor dem Ballwieser-Anwesen noch Böschungen von etwa 1 m Höhe erforderlich wären. Eine mögliche alternative Lösung käme am besten längs der Nordgrenze des Grundstücks Orenstein & Koppel zu liegen.
1935 Nach diesem langen Hin und Her vergehen weitere Jahre bis im Würmtalboten vom 29.06. 1935 zu lesen ist:„(Halt, wenn die Schranke geschlossen ist!) Der schienengleiche neungleisige Bahnübergang beim Tonfilmkino Allach von der Hindenburgstraße (frühere Bahnhofstraße) zum großen Arrondissement der Lokomotivfabrik Krauß-Maffei ist, seitdem das Industriewerk eine Belegschaft von über 2000 Mann erfuhr, zu einer ungeheueren Gefahr nicht nur der dort in Arbeit stehenden Menschen geworden, die täglich diese Überfahrt überqueren müssen, sondern auch zu einer Gefahr für die diese Hauptstrecke befahrenden Schnell- und Vorortszüge." Man weist weiter darauf hin, dass auch den in Allach stationierten Beamten und Bediensteten, vor allem aber dem Blockwärter, eine immer größer werdende Verantwortung zugemutet wird. Die nach Betriebsschluß zum Bahnhof Allach stürzenden Arbeiter und Angestellten hoben die niedergelassenen Schranken hoch oder schlüpften durch, um den Anschluß nicht zu versäumen. Im Weiteren wird der Schreiber nicht müde, alle Gefahren und Mißlichkeiten darzustellen, um auf die unumgängliche Notwendigkeit einer breiten Bahnunterführung zu dringen.
"Der gefährliche Bahnübergang bei Krauß-Maffei in Allach" – so titelte dann am 25.10.1935 der Würmtalbote und brachte dazu ein Bild, das den schienengleichen, neungleisigen Bahnübergang zeigt, der von der damaligen Lokomotivfabrik Krauß-Maffei kommend am Tonfilmkino vorbei in die Hindenburgstraße einmündete. Links im Bild ist ein Stück des Allacher Forstes zu sehen, entlang der Umzäunung des Fabrikgeländes wird der Verkehr von Ost nach West an den Nebengebäuden des Werkes vorübergeführt. Bei täglich mehrmaligem Schichtwechsel überquerten ca. 2000 Arbeiter der Fabrik diesen Übergang, dazu waren noch die Bewohner der um 1920 entstandenen Waldkolonie zuzurechnen, die Lastwagen und Geschäftsautos und, wie der Würmtalbote so schön schrieb, „außerdem etwa 600 Radfahrer und mehrere hundert Motorradfahrer". Es wurde immer wieder beobachtet, dass Personen, die eiligst zum Bahnhof mußten, seitlich vorbei- oder unter der Schranke durchschlüpften, was natürlich ein höchst gefährliches Unterfangen war. Die Schlußfolgerung der Zeitung: „Der rege Vorortsverkehr zu und von der Großstadt sowie der beschleunigtere, riesig angewachsenen Schnellzugsverkehr auf der Strecke München-Berlin verlangt gerade hier zur Sicherheit von Person und Eigentum, als im öffentlichen Interesse gelegen, die Behebung dieses gerügten Zustandes."
1937 Und wieder vergehen zwei Jahre bis die Reichsbahndirektion München im März 1937 an den Bürgermeister Bäumer in Allach schreibt, dass die Überfahrt am Nordende des Bahnhofs dauernd Anlaß zu Unzuträglichkeiten gäbe, deren umgehende Beseitigung ernsthaft betrieben werden müsse. „Trotz der Überwachung der Überfahrt und trotz geschlossener Schranken bei Erwartung von Zügen, die die Strecke durchfahren, durchschlüpfen des Öfteren Wegbenützer auch mit Fahrrädern die Schranken und bringen sich durch Überschreiten der Gleise in Lebensgefahr." Als einzige Lösung wird wieder einmal die Beseitigung der Überfahrt über die neun Gleise gesehen und zur Klärung der Angelegenheit zu einer Besprechung in die Bürgermeisterei Allach eingeladen. Bei der hochkarätig besetzten Besprechung finden wir wieder Vertreter der Reichsbahndirektion München, des Bezirksamtes München, für Allach den Bürgermeister Bäumer und den Regierungsbaumeister Koch und für Krauss-Maffei den Landesbaurat Krauss und Dr. Eichinger. Man einigte sich schnell in Übereinstimmung, dass hier ein Notstand gegeben sei, der rascheste Abhilfe erfordere: eine Unterführung, die auch noch in unseren Tagen tauglich wäre. „Die Unterführung, die entsprechend der Geradelegung der Straße etwas von dem jetzigen Übergang abgerückt wird, soll mit einer Breite von 5 Meter und einer Mindestlichthöhe von 2.20 Meter für Fußgänger- und Radfahrverkehr in der Weise gebaut werden, dass je 2.50 Meter Fußgänger- und Radfahrbahn, die gegeneinander entsprechend abgegrenzt werden, vorhanden sind. Für andere Fahrzeuge als Radfahrzeuge wird die Unterführung gesperrt."
Die Reichsbahndirektion wollte die Projektarbeit und ein Viertel der Kosten übernehmen, die Restkosten sollten nach Vereinbarung zwischen Werk, Gemeinde und anderen Stellen aufgeteilt werden.
Das von Krauss wenige Tage später unterzeichnete Schreiben vom April 1937 an den Bürgermeister Bäumer geht offensichtlich von der Umsetzung des gemeinsamen Vorhabens aus und weist besonders auf die Grundstücksprobleme hin, die entstünden, weil man auch eine längs der Bahn von der Ludwigsfelder Straße zur Krauss-Maffei-Straße zu erbauende Straße nicht auf bahneigenem, sondern auf KM-Grund errichten müsse. Dies führte zu komplizierten Umschichtungen im Grundbesitz, dessen Plannummern im einzelnen genannt wurden, und der Bürgermeister wurde ersucht, die Firma bei der Ausführung im allgemeinen Interesse zu unterstützen und spekulative Grundstückserwerbungen zu verhindern.
1937-1974 Wie wir wissen, zerschlugen sich aus verschiedensten Gründen alle gut gemeinten und für absolut notwendig erachteten Ausbaupläne. Nichts mehr findet sich dazu in den Archiven, befaßte Zeitzeugen leben nicht mehr, entsprechende Hinweise werden aber gerne entgegen genommen. Inzwischen hatte nicht nur der beschleunigte und verdichtete Zugverkehr, sondern auch der Fußgänger-, Rad- und Motorradfahrer-, Auto- und Busverkehr ungeheuer zugenommen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sich ein größeres Unglück ereignen sollte.
1975 Am Morgen des 7. März 1975 gegen 7.20 Uhr geschah es dann. Auf dem beschrankten Bahnübergang bei Krauss-Maffei in Allach wurde der Linienbus 78 von einem Nahverkehrszug München-Ingolstadt mit 111 Stundenkilometern erfasst, weil die Schranken zu früh geöffnet wurden, 500 Meter weit mitgeschleift und zertrümmert. Zwölf Menschen, darunter fünf Schüler und ein Lehrling, starben, zwei überlebten schwer verletzt. Der Schrankenwärter hatte die Sperre hochgehen lassen, weil er glaubte, der Ingolstädter Zug habe den Übergang gleichzeitig mit einer kurz zuvor in Gegenrichtung fahrenden S-Bahn bereits passiert.
Der Bezirksausschuß von Allach hatte seit Jahren die Beseitigung der höhengleichen Bahnübergänge an dieser Strecke gefordert. Der Übergang bei Krauss-Maffei war, wie bereits geschildert, der gefährlichste und umstrittenste, wenn auch nach Polizeiangaben bisher nur kleinere Unfälle zu verzeichnen waren.
2004 Am 06.12.2004 wurde der Bahnübergang Krauss-Maffei-Straße in Allach endgültig geschlossen. Heute endet dort die Buslinie 164 und die Fahrgäste dürfen auf einem anderen Weg zum Bahnhof laufen – sofern sie nicht zu alt und zu gebrechlich sind.
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