Dumm gelaufen!
Die Piazza an der Bo (4)
Spitze Sturmfinger griffen sich einen Sonnenschirm vom Balkon im ersten Stock und katapultierten ihn herunter. Er rollte hüpfend über das Dach des um die Piazza laufenden Wandelgangs bis er, wie um sich festzukrallen und immer noch aufgespannt, zur Hälfte zwischen das Dach und die Hauswand schlüpfte. „Gerettet.“
„Gerettet!“ dachte auch Alessandro, als er ihn dort sah. Alessandro ist ein italienischer Herr mittleren Alters und erst seit drei Tagen Mieter einer Wohnung an der Piazza. Ihm gehörte der entführte Schirm. Er kletterte ein wenig mühsam über die Brüstung des Balkons, ließ sich auf das Dach des Wandelgangs herunter, holte den Sonnenschirm hervor, und schob ihn durch eine Lücke auf seinen Balkon und ...
Dumm gelaufen. Beine zu kurz, Arme zu kurz, springen und Klimmzug in dem Alter. „Hmmm“, der Balkon war einfach zu hoch und die Piazza lag weit unten. „Hallo, warten Sie, ich komme“, rief ich. Ratlos kratzte er sich am Kopf. Ich reichte ihm meine Alu-Leiter aufs Dach. „No, no, ich gehe durch meine Wohnung“, sagte er etwas holpernd, kletterte vorsichtig zu mir herunter, murmelte „Grazie“, und eilte davon. Wenig später flüsterte es über den Gartenzaun: „Signore, prego!“ Er hatte keinen Schlüssel dabei und was jetzt? Leiter wieder heraus, das Dach erklommen, Leiter nachgezogen, an den Balkon gelegt, bei sich selbst eingestiegen, Leiter durch die Wohnung und das Treppenhaus geschleppt und mir zurückgebracht. „Gut, dass ich nicht auch noch auf den falschen Balkon gestiegen bin. Das hätte was gegeben.“ Danke und Gelächter. Ich lud ihn zum Wein auf meine Terrasse und wir machten gleich ein Interview für die Kolumne Piazza an der Bo. In der nächsten Folge erfahren Sie mehr über Alessandro Totti, diesen glücklichen Pechvogel, dessen Geschichte mit der Leiter inzwischen wohl jeder an der Piazza kennt.
In unserer nächsten Geschichte von der Piazza an der Bo macht jemand "Pläne".
Copyright: Wochenanzeiger Medien GmbH