"Betroffene hungern, frieren, sitzen im Dunkeln"
Zu unserem Beitrag "Obdachlos in Germering" (Parsberg Echo Germering vom 30. Mai) schreibt Bettina Kenter:
Danke, dass Sie dem Thema "Obdachlosigkeit" einen Artikel widmen. Hier noch ein wichtiger Hinweis: Die verheerenden Folgen des Armuts- und Ausgrenzungsgesetzes "Hartz IV" sind mittlerweile unübersehbar; eine dieser Folgen ist die zunehmende Obdachlosigkeit. Es wäre mutiger Journalismus, einmal nicht über, sondern mit Betroffenen zu sprechen und zu recherchieren, wie viele der Obdachlosen in Germering nach einer "Jobcenter-Sanktion" oder wegen Unterdeckung der realen Mietkosten obdachlos wurden. Es wäre mutiger Journalismus, bekannt zu machen, was kaum jemand weiß:
Zwischen 2007 und 2015 hat der Staat 1,7 Milliarden Euro durch "Hartz-IV-Sanktionen" gespart, innerhalb eines Jahres 600 Millionen durch Unterdeckung der realen Wohnkosten. "Sanktionen" werden oft willkürlich oder zur Erfüllung vorgegebener Quoten verhängt; juristische Gegenwehr ist praktisch unmöglich, denn "Widerspruch" hat bei einer Sanktion keine "aufschiebende Wirkung", d.h., ist die (Voll-)Sanktion in Kraft, läuft sie bis zum rechtskräftigen Urteil, das kann schon mal drei Jahre dauern.
Übrigens: Nur zehn Prozent der "Hartzer" sind tatsächlich schon "lange arbeitslos". Das Gros der "Hartzer" sind Alleinerziehende (meist Frauen), pflegende Angehörige (meist Frauen), Kranke/Erwerbsgeminderte/Behinderte, freie Bühnen- und Medienschaffende, KünstlerInnen aller Sparten (v.a. Frauen), aussortierte Ältere nach langem Erwerbsleben.
"Sanktionen" sind keine Knöllchen, sondern Kürzungen des Existenzminimums, d.h. Betroffene hungern, frieren, sitzen im Dunkeln, können keine Wäsche mehr waschen, ihren Kindern kein warmes Essen mehr kochen und sind. Bei "Vollsanktion" sind sie auch nicht mehr krankenversichert und werden der Obdachlosigkeit preisgegeben. Eine Strafe, die man keinem Mörder zumuten würde, weil sie offensichtlich gegen Menschenrecht verstößt, wird rund 80.000 Mal monatlich gegen unbescholtene Bürger und Bürgerinnen verhängt.
Eine junge Mutter im Landkreis stand nach dieser mittelalterlichen Leib- und Hungerstrafe samt ihrem Kind vor der Obdachlosigkeit, bevor das Jobcenter schließlich einlenkte. Ich selbst wurde nach 35 erfolgreichen Berufsjahren während einer Krankheitsphase rechtswidrig sanktioniert und wünsche niemandem die Angst, die damit verbunden ist.
Wie viele der Obdachlosen in Germering wurden seit 2004 im Zusammenhang mit "Hartz IV" nach grundgesetzwidrigen, menschenverachtenden "Sanktionen" oder Mietkürzungen obdachlos?
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