Und der Gewinner ist ...
In Sendling-Westpark entscheidet das Los über den Vorsitz des Bezirksausschusses
Die Kinos und Theater haben wegen der Corona-Pandemie weiterhin geschlossen. Wer abendliche Abwechslung sucht, hat es zurzeit schwer. Wie gut, dass es da die Bezirksausschüsse gibt, haben sie doch das Potenzial, ebenfalls für gute Unterhaltung zu sorgen. So auch der Bezirksausschuss Sendling-Westpark, der sich nun zu seiner konstituierenden Sitzung in der Turnhalle der Mittelschule an der Fernpaßstraße traf – mit Sicherheitsabstand und Masken. Großes Theater, Vorhang auf.
Die Vorstellung
Die Einleitung begann mit einer kurzen Vorstellungsrunde, denn sowohl der amtierende BA-Vorsitzende Günter Keller (SPD) als auch Maria Hemmerlein (Grüne) bewarben sich um den Vorsitz. "Als Spitzenkandidatin und ,Stimmenkönigin' im Stadtbezirk möchte ich an dieser Stelle aber auch klar herausstellen: Es gab – nicht nur in Sendling-Westpark – , sondern in vielen Stadvierteln ,Erdrutsch-Siege' für die Grünen", betonte Maria Hemmerlein in ihrer Rede und verwies auf das Wahlergebnis vom 15. März. Die Grünen hatten zehn von 27 Sitzen im Stadtteil-Gremium geholt und war damit klarer Sieger, gefolgt von der CSU mit sieben, der SPD mit sechs, den Freien Wählern/ödp mit zwei sowie der FDP und der Linken mit jeweils einem Sitz. Günter Keller, seit 1982 im Bezirksausschuss aktiv, betonte: "Wir haben viele Themen anzupacken. Ich freue mich auf die Arbeit mit Ihnen und bitte Sie um Ihre Stimmen."
Zweimal Patt
Alfred Nagel (CSU), ältestes BA-Mitglied, bat im Anschluss daran in seiner Funktion als Wahlleiter die Mitglieder zur geheimen Abstimmung. Nach wenigen Minuten stand das Ergebnis fest: Maria Hemmerlein und Günter Keller bekamen jeweils 13 Stimmen, eine war ungültig. Raunen in der Halle. Diese Pattsituation erforderte einen zweiten Wahlgang. Also ging es für jedes Mitglied wieder zur Wahlurne. Doch nach dem Auszählen war man nicht wirklich weiter: 13 zu 13 Stimmen, eine ungültig. Lautes Raunen in der Halle.
Maske wird zur Augenbinde
"Nun muss das Los entscheiden", erklärte Alfred Nagel das weitere Vorgehen, schrieb auf jeweils einen Zettel die Namen der Bewerber, faltete diese und gab sie in eine Schachtel. Karin Singer-Mayr stellte sich als Glücksfee zur Verfügung und schritt – die Mundschutzmaske gleich noch komplett über die Augen gezogen – zur Tat. Das Glück blieb bei Günter Keller, das Los hatte entschieden.
Bitter für Maria Hemmerlein wurde es auch noch bei der Wahl um den Posten des stellvertretenden Vorsitzenden. Hier schnappte ihr Ex-Stadtrat Otto Seidl (CSU) mit 14 zu 13 Stimmen den Posten knapp vor der Nase weg. "Wenn's nicht so schrecklich wäre, wäre es nicht so schlimm", kommentierte sie das Schauspiel. Immerhin: Lena Fiedler von den Grünen sicherte sich das Amt der 2. Stellvertreterin.
Klare Entscheidungen
Eindeutiger verliefen dann die Wahlen für die Leitung der Unterausschüsse (UA): Alfred Nagel (CSU) leitet den UA Haushalt, Werner Wolf übernimmt Parks und Grünanlagen. Nadine Guinand (SPD) leitet den UA Bildung und Sport, ihre Fraktionskollegin Charlotte Mosebach übernimmt Soziales und Kultur. Zwei Unterausschüsse gingen auch an die Grünen: Uwe Kramm führt Bau, Stadtplanung und Umwelt an, Hans Dusolt den UA Mobilität und Wirtschaft.
Wie ist der Losentscheid zu bewerten?
Das Los musste schlussendlich über den BA-Vorsitz in Sendling-Westpark entscheiden. Günter Keller (SPD) war hier der Glücklichere, Maria Hemmerlein (Grüne) hatte das Nachsehen. Doch wie ist eine solche Entscheidung in einem Stadtteilgremium einzuordnen? Wir fragten nach: "Nichts kann den Wählerwillen weniger berücksichtigen als ein Losentscheid. Wie bewerten Sie diese Entscheidung? Und wie handlungsfähig wird ein Gremium sein, das nicht in der Lage ist, seine wichtigste Position in eigener Verantwortung (also durch Wahl) zu besetzen?"
"In keiner Weise beeinträchtigt"
Alfred Nagel (CSU), Fraktionssprecher:
Als ältestes Mitglied im Bezirksausschuss und gewählter Interims-Vorsitzender war ich verantwortlich für die Wahl der / des Vorsitzenden des Bezirksausschusses für die neue Wahlperiode 2020/2026. Ich musste mich da streng an die Vorgaben zur Wahl halten, die in der BA-Geschäfts-Ordnung festgelegt sind, also gemäß Paragraph 14 BA-GeschO. Diese Vorgaben zur Wahl waren von mir im Detail vorzulesen, was ich getan habe. Die auf demokratischer Basis erstellten Regeln sehen eine Stichwahl und schließlich ein Losverfahren vor, wenn auch die Stichwahl zu keiner Mehrheit für eine Kandidatin / einen Kandidaten führt. Es blieb mir also keine andere Wahl, als das Los entscheiden zu lassen. Unter Aufsicht des Vertreters der BA-Geschäftsstelle ist dies geschehen und das BA-Mitglied Karin Singer-Mayr hat für die gewählte Wahlprüfungs- und Zählkommission eines der zwei Lose aus der Urne gezogen – es fiel auf Günter Keller, wie ich verkünden konnte. Günter Keller hat auf meine Nachfrage hin die Wahl angenommen. Insgesamt ein absolut demokratischer Wahlgang.
Durch diese Wahl des BA-Vorsitzenden wird aus meiner Sicht die Handlungsfähigkeit des Bezirksausschusses in keiner Weise beeinträchtigt. Vielleicht zeigt die Wahl, dass in manchen Fällen Mehrheiten nicht festgefügt sind. Es wurden aber eine Reihe weiterer Führungspositionen ohne Probleme gewählt. Diese sollten mit allen Mitgliedern des Bezirksausschusses stets das Wohl der Bürgerinnen und Bürger im Auge haben; die Parteipolitik hat da nicht im Vordergrund stehen. Schließlich hat auch der Vorsitzende nur eine Stimme, mit dem besonderen Privileg, die Sitzung zu leiten und den BA nach außen zu vertreten. Das wird auch der mit Losentscheid gewählte Vorsitzende Günter Keller tun, dem ich viel Glück wünsche.
"Ergebnis politischen Hochmuts"
Maria Hemmerlein (Grüne), Fraktionssprecherin:
Das Patt und den Losentscheid in der konstituierenden Sitzung des Bezirksausschuss Sendling-Westpark halte ich an sich nicht für das eigentliche Problem. Wenn die von den Wählerinnen und Wählern hervorgebrachte Konstellation so ist und man sich um Posten streitet, ist das ein möglicher Ausweg.
Im konkreten Fall ist die Sache komplizierter und berührt den zweiten Teil der Frage: Ist ein solches Gremium, das sich nicht einmal auf eine(n) Vorsitzende(n) einigen kann, überhaupt handlungsfähig? Welche Schlüsse lässt ein solches Ergebnis also zu hinsichtlich der für das politische Geschäft notwendigen Kompromissbereitschaft und der gebotenen Mäßigung der Akteure? Und hier muss ich, müssen wir als Grüne feststellen: Dieses Patt ist im konkreten Fall das Ergebnis politischen Hochmuts: Der Wille von Wählerinnen und Wählern hat in der Tat hier überhaupt keine Rolle gespielt, sondern nur der unbedingte Wille des ehemaligen Vorsitzenden, auch unter dem Eindruck des schlechten Wahlergebnisses von 23 Prozent unbedingt BA-Vorsitzender bleiben zu wollen. Und der unbedingte Wille eines ehemaligen Stadtrats, sich nach dem Ende seiner Stadtratslaufbahn noch ein bisschen Macht zu sichern. Dies hat zur Polarisierung geführt, und dazu, dass der Preis für das Festhalten an diesen Positionen sehr hoch wurde. Und es hat dazu geführt, dass nun die mit Abstand stärkste Partei, nämlich B90/Grüne, im Vorstand nicht angemessen vertreten ist.
Für diejenigen, die da so hoch gepokert haben, ist es letztlich ein Pyrrhussieg. Denn die Mehrheit konnten sie trotzdem nicht erringen. Dabei war man sich unter allen Parteien bisher immer einig, dass es in der Kommunalpolitik, noch dazu auf der Ebene unterhalb des Stadtrats, sehr auf Zusammenarbeit und Fairness ankommt. Noch zu Beginn der Amtsperiode 2014, als die Grünen, damals mit 22 Prozent Juniorpartner der SPD waren, haben sie den 1. stellvertretenden Vorsitz der CSU als damals stärkster Partei überlassen. Aus nachvollziehbarem Grund: Eine Partei, eine Person, die sich ausgeschlossen fühlt, wird wenig Anlass haben, sich konstruktiv zu beteiligen. Vielmehr produziert ein solches Vorgehen sinnlose Kämpfe und Querelen, was Zeit, Energie und gute Arbeitsergebnisse für die Bürgerinnen und Bürger erschwert.
Diese Kompromissbereitschaft, dieser Wille zum Ausgleich war diesmal nicht vorhanden. Und der Preis dafür ist hoch. Herausgekommen ist ein 1. Vorsitz zweiter Klasse, und eine für alle sichtbare Kompromittierung nicht in erster Linie der Partei B90/Grüne, sondern des gesamten Bezirksausschuss. Fair und anständig wäre es gewesen, den 1. Stellvertreterinnen-Posten nach diesem Patt an die Grüne Gegenkandidatin zu geben. Was die Handlungsfähigkeit des Bezirksausschusses in der Zukunft betrifft, so wird es wohl wie in der Vergangenheit eine Reihe von Themen geben, die schon konsensual waren und in großer Einigkeit verfolgt werden. Um die werden wir uns mehr oder weniger einmütig weiter kümmern. Für die weit größere Zahl der Themen, und das sind gerade Themen, für die auch das neue Grün-Rote Bündnis im Münchner Rathaus steht, nämlich Klimaschutz, Verkehrswende, ÖPNV, Erhaltungssatzung, Mieterschutz, Migration u.v.m. sehe ich auch weiterhin eher ein Grün-Rotes vs. Schwarzes Abstimmungsverhalten im BA, was dann auch bedeutet, dass man sich von Seiten der SPD und CSU ausschließlich zur Sicherung der Posten zusammengetan hat. Welches verheerende Bild in der Öffentlichkeit da geboten wird, und welche Auswirkungen dies auf die Wahrnehmung unserer Institutionen hat, kann man sich vorstellen. Schon jetzt sind die Reaktionen im Freundeskreis und in den sozialen Medien entsprechend.
"Gelebte Politik"
Günter Keller (SPD), BA-Vorsitzender:
In den Bezirksausschüssen sind die Parteien entsprechend dem Wählerwillen abgebildet. "Der Wähler" wählt nicht die oder den BA-Vorsitzenden, sondern dieser wird durch alle BA-Mitglieder gewählt. Es gibt auch keinen Automatismus, dass die Partei mit den meisten Stimmen in einem Stadtbezirk den Vorsitzenden stellt – in 9 der 25 Münchner Stadtbezirke ist dies nicht der Fall. Wenn keine der Parteien eine absolute Mehrheit im BA hat, versuchen die Parteien, sich zuvor zu einigen, wer zum Vorsitzenden gewählt wird. Und in einer geheimen Wahl kann es dann auch leicht zu einer Pattsituation kommen wie in Sendling-Westpark, die dann nur durch das Los aufgelöst werden kann, so wie es im Wahlgesetz vorgesehen ist. Die meisten Themen werden im BA ohnehin in großem Einvernehmen entschieden. Es gibt natürlich auch Themen, bei denen sich die Parteien in Kooperationen abstimmen, andere Themen wiederum werden auch in ganz anderen Konstellationen beschlossen. Aber dies bedeutet keine Einschränkung der Handlungsfähigkeit, sondern ist gelebte Politik. Dass unser BA handlungsfähig ist, zeigt sich u. a. auch daran, dass man sich sowohl für den BA-Vorstand als auch bei den Vorsitzenden der Unterausschüsse darauf geeinigt hat, dass alle drei größeren Parteien vertreten sind und dass diese Vereinbarung auch eingehalten wurde. Auch die Vorsitzenden der Unterausschüsse wurden alle mit deutlichen Mehrheiten gewählt.
"Keine andere Möglichkeit"
Erich Utz (Linke), Fraktionssprecher:
Ich pflichte ihnen bei, dass eine Entscheidung über ein politisches Amt per Losentscheid nicht sehr demokratisch ist. Nachdem aber zweimal abgestimmt worden ist und vor der zweiten Abstimmung noch einmal darauf hingewiesen wurde, unter welche Voraussetzungen der Stimmzettel eine gültige Stimme ergibt, ist davon auszugehen, dass der entscheidende ungültige Stimmzettel absichtlich erstellt und abgegeben wurde. Deshalb gibt es keine andere Möglichkeit als das Losverfahren, um eine Entscheidung herbeizuführen. Die Wahl des Vorsitzes hat insgesamt (zwei Wahlverfahren und das Loseziehen) ca. eine Stunde beansprucht, zumal 27 BA-Mitglieder unter Berücksichtigung der Abstandsregeln zeitlich versetzt nach dem Aufruf der Namen zu den zwei Wahlurnen durch den Saal gehen mussten. Erst nachträglich ist mir die Idee gekommen, dass wir als BA eine Vereinbarung hätten schließen sollen, dass der / die Unterlegene zur / zum ersten Stellvertreter/in gewählt wird unter der Voraussetzung, dass evtl. vorherige Absprachen gelöst werden. Das wäre die unter diesen Umständen gerechteste und demokratischste Lösung gewesen.
"Ein sehr gerechter Weg"
Dr. Stefan Massonet (Freie Wähler/ödp), Fraktionssprecher:
Der Losentscheid ist ein urdemokratisches Element, welches seit jeher von vielen Demokraten als besonders geeignet angesehen wird, da er allen Kandidaten exakt gleiche Chancen gewährt. Demgegenüber bietet eine Wahl die Chance, die beste Person für ein Amt auszuwählen. Da im BA7 über zwei bereits jeweils von der Hälfte der BA-Mitglieder vorausgewählte Personen per Los entschieden wurde, ist meine Meinung, dass grundsätzlich jede der beiden Personen in ähnlichem Maße zur Ausübung des Amtes geeignet ist. Letztlich war der Wählerwille der Bürgerschaft bezüglich des BA-Vorsitzes nicht eindeutig, weil keine Fraktion eine absolute Mehrheit erhielt. Somit müssen die BA-Mitglieder entscheiden. Sofern die BA-Mitglieder genau zur Hälfte eine Kandidatin bevorzugen und zur anderen Hälfte einen anderen Kandidaten, ist der Losentscheid der einzig gangbare und zudem ein sehr gerechter Weg. Die Handlungsfähigkeit des Gremiums ist immer gegeben, da jede einzelne Sachentscheidung per Mehrheitsbeschluss getroffen wird und bei einer Pattsituation zu einem Thema eben keine Mehrheit eine Änderung wünscht. Die Entscheidungen, die im zweiten Teil der Sitzung getroffen wurden, haben das aus meiner Sicht auch sehr deutlich gemacht.
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