"Vom Jammern allein ist noch nie etwas besser geworden"
VdK-Präsidentin Verena Bentele über Vertrauen, Alt und Jung sowie eine gerechte Gesellschaft
Seit Mitte Mai ist die vierfache Weltmeisterin sowie zwölffache Paralympics-Siegerin im Biathlon und Skilanglauf, Verena Bentele, als Nachfolgerin von Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland. Die 36-jährige, von Geburt an blinde Bentele sprach mit Livia Schommer über Vertrauen, Kommunikation und gesellschaftliche Verantwortung.
"Verantwortung sollten alle übernehmen"
Wie wichtig ist generationenübergreifendes Vertrauen: Vertrauen darauf, dass die jüngere Generation gute Ideen hat und Verantwortung übernehmen will, sowie Vertrauen darauf, dass die ältere Generation mit ihrer Erfahrung und ihrem Wissen unterstützend zur Seite steht?
Verena Bentele: Vertrauen zwischen allen Generationen ist wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, denn beispielsweise eine gesicherte Rente, Bildungsmöglichkeiten und eine gute Gesundheitsversorgung sind für uns alle unverzichtbar. Verantwortung können und sollten wir daher alle übernehmen. Wenn wir alle unsere Erfahrung und unseren Mut nutzen, um die Gesellschaft gerechter zu gestalten, dann sind wir alle die Gewinner.
"Zuhören wichtig für Kommunikation"
Sie sagen, dass die richtige Kommunikation sehr wichtig, aber schwer zu lernen ist. Hören wir zu wenig zu?
Verena Bentele: Für gute Kommunikation ist das Zuhören genauso wichtig wie das Senden klarer Botschaften.
"Sozial gerechte Gesellschaft"
Wie werden Sie als neue VdK-Präsidentin die Kommunikation zwischen den Generationen fördern?
Verena Bentele: Gut ist, dass im VdK auf allen Ebenen, Haupt- und Ehrenamt, von der Bundes- bis zur Lokalebene sehr unterschiedliche Menschen zusammenarbeiten. In München haben wir in einem Ortsverband einen Vorstand, dessen Mitglieder im Durchschnitt 35 Jahre alt sind, in anderen Ortsverbänden in Deutschland ist der Vorstand sicher älter oder die Altersgruppen sind gemischt. Uns alle verbindet das Ziel einer sozial gerechten Gesellschaft, und dieses Ziel hilft auch einander zu verstehen.
"Fair im Umgang und hart in der Sache"
Wie werden Sie die Kommunikation zwischen dem Verband und der Politik gestalten?
Verena Bentele: Ich führe mit Parlamentariern und Regierungsmitgliedern offene Gespräche und tausche mich regelmäßig mit anderen Interessensvertretern aus. Ich bin fair im Umgang und hart in der Sache, und das erwarte ich auch von den politisch Verantwortlichen.
"Mitglieder jeden Alters genau richtig"
Der VdK möchte attraktiver für die jüngere Generation sein. Warum sollten junge Menschen Mitglied im VdK werden?
Verena Bentele: Ich erkläre das an einem Beispiel: Wir setzten uns als VdK für eine gerechte Alterssicherung ein. Damit hängt zusammen, dass Menschen heute und in 50 Jahren eine verlässliche Rente brauchen. Damit hängt aber auch zusammen, dass es ausreichende Möglichkeiten für Kinderbetreuung gibt, dass der Mindestlohn auf über zwölf Euro angehoben wird und dass es einen Zugang zur Bildung für alle Menschen, unabhängig ihrer Herkunft gibt. All die genannten Themen sind natürlich auch Themen für junge Menschen, und daher sind Mitglieder jeden Alters genau richtig bei uns als durchsetzungsstarkem Verband.
"Am Wohlstand müssen alle Anteil haben"
Sie fordern u.a. mehr soziale Gerechtigkeit. Was bedeutet für Sie "soziale Gerechtigkeit" in einer Stadt wie München?
Verena Bentele: Soziale Gerechtigkeit in Deutschland und damit auch in München bedeutet, dass alle Menschen im Alter von ihrer Rente leben können, dass wir ausreichend bezahlbaren und barrierefreien Wohnraum haben, dass die Gesundheitsversorgung für alle zugänglich ist und allen gute Leistungen bietet, auch denen, die nicht privat versichert sind, dass wir große Firmen endlich in Deutschland besteuern, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften, und dass wir nicht einige wenige Reiche haben, die immer reicher werden. Am Wohlstand müssen alle Menschen einen Anteil haben.
"Verantwortung für sich und andere"
Bereits in Ihrer Kindheit auf dem Bauernhof Ihrer Eltern mussten Sie früh Verantwortung übernehmen. Wie hat Sie das geprägt und wie kann jeder Einzelne in unserer Gesellschaft Verantwortung übernehmen?
Verena Bentele: Mir haben meine Eltern gesellschaftliche Verantwortung vorgelebt, sie engagieren sich in der Kirche, für die Landfrauen, in der Kommunalpolitik und für die biologische Landwirtschaft. Mit diesem Engagement waren meine Eltern immer ein Vorbild für mich. Ich werbe immer dafür, dass wir alle eine Verantwortung für uns und andere Menschen haben und diese auch annehmen sollten. Vom Jammern allein ist noch nie etwas besser geworden.
Deshalb freue ich mich auch sehr über so viele ehrenamtlich Engagierte im VdK, unsere Mitglieder packen an, informieren Ratsuchende, organisieren Veranstaltungen und sind überzeugt davon, dass die politisch Verantwortlichen uns mit unseren Sorgen und Nöten hören.
"Barrieren durch Veränderung beseitigen"
Eines Ihrer Ziele als VdK-Präsidentin ist, „Barrieren in den Köpfen abzubauen“. Wo wurden bereits Barrieren abgebaut und wo ist es am dringendsten?
Verena Bentele: Barrieren in den Köpfen führen zum Beispiel dazu, dass viele Menschen mit Behinderungen keinen Arbeitsplatz finden, weil Arbeitgeber oft Vorurteile haben. Sie führen auch dazu, dass Küchengeräte nur ein Display und keine Sprachausgabe haben etc. Ich weiß, dass wir Barrieren durch eine Veränderung des Bewusstseins beseitigen können, und dieses Bewusstsein verändern wir durch gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen. Als VdK setzen wir uns aber auch für klare Regeln für Barrierefreiheit ein. Damit meine ich vor allem, dass endlich private Anbieter von Dienstleistungen und Produkten zur Barrierefreiheit verpflichtet werden müssen.
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