"Die Krise hat für ordentlich Schub gesorgt"
Digitalministerin Judith Gerlach über vorausgefüllte Steuerformulare und Belästigungen, falsche Ansätze und fairen Wettbewerb, Riesenchancen und dunkle Seiten
Digitalministerin Judith Gerlach (stehend) startete am Donnerstag in München die Initiative BayCode. Ziel ist, rund 5.000 junge Menschen zwischen elf und 18 Jahren auf eine digitale Zukunft vorzubereiten. Die Initiative richtet sich besonders an Jugendliche, die bisher wenig oder keinen Zugang zu digitaler Bildung hatten. (Foto: StMD)
Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach hat diese Woche die Initiative „BayCode“ gestartet, um Jugendlichen digitale Kompetenzen mit auf den Weg zu geben. BayCode richtet sich besonders an Teenager, die bisher wenig oder keinen Zugang zu digitaler Bildung hatten. Die jungen Talente lernen, Websites zum Thema Nachhaltigkeit zu programmieren und mit einem gemeinnützigen Projekt zu verknüpfen.
Judith Gerlach ist seit November 2018 Staatsministerin für Digitales. Sie sprach mit Johannes Beetz darüber, wie die Digitalisierung unser aller Leben verändert.
"Wir brauchen die Unterstützung der Kommunen"
"HomeOffice" und "Digital" sind in der Corona-Pandemie wichtige Instrumente. Das „Kontaktlose“ der digitalen Welt hat letzten Endes Leben gerettet und wirtschaftlich Brücken gebaut. Andererseits hat sich beim Lernen zuhause gezeigt, dass "Digital" nicht alles kann und an manchen Stellen einfach ruckelt. Wie ist der Stand der Digitalisierung und wo geht die Reise hin?
Judith Gerlach: Wir waren auch bereits vor der Corona-Pandemie bei der Digitalisierung auf einem guten Weg. Dies hat sich auch daran gezeigt, wie schnell viele Firmen in der Pandemie auf das Arbeiten im Homeoffice umsteigen konnten. Die Krise hat zusätzlich für ordentlich Schub gesorgt.
Gerade bei der Kernkompetenz des Bayerischen Digitalministeriums – der digitalen Verwaltung – sind wir auf sehr gutem Weg. So haben wir alle sogenannten TOP-Verwaltungsleistungen schon Ende letzten Jahres verfügbar gemacht. Um die Online-Dienste in der Fläche und damit wirklich allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stellen zu können, brauchen wir die tatkräftige Unterstützung der Kommunen. Denn sie sind für einen Großteil der Verwaltungsleistungen zuständig.
Viele Kommunen leisten schon heute bei der Digitalisierung der Verwaltung einen vorbildlichen Beitrag. Wir unterstützen sie dabei unter anderem mit dem Förderprogramm „Digitales Rathaus“. Für die erstmalige Bereitstellung von Online-Diensten kann darüber jede Kommune bis zu 20.000 Euro Förderung erhalten. Derzeit treiben wir in Bayern die effektive und breitflächige Digitalisierung weiterer Verwaltungsleistungen voran und bauen das Angebot unserer BayernApp stetig aus. So sind zukünftig immer mehr digitale Verwaltungsleistungen auch mobil erreichbar.
Natürlich ist bei der Digitalisierung in Bayern auch darüber hinaus noch einiges zu tun. Hier stehen wir mit den jeweils zuständigen Ministerien in Kontakt, um weitere Impulse für die Digitalisierung zu geben.
"Sensible Daten nicht einfach preisgeben"
Beim Online-Unterricht zuhause haben es Elfjährige geschafft, ihre Lehrer von der Plattform zu kicken und ganze Unterrichtsstunden zu sabotieren. Haben Sie nicht Angst vor dem, was ein erfahrenes IT-Team mit unserer Infrastruktur anstellen kann?
Judith Gerlach: Ihr Beispiel zeigt, dass Kinder und Jugendliche beim Umgang mit digitalen Tools oft schon viel weiter sind als viele Erwachsene. Wenn es um mögliche Cyberangriffe geht, müssen wir diese natürlich sehr ernst nehmen. Angst wäre hier aber ein komplett falscher Ansatz. Wir müssen uns der Gefahren bewusst sein und uns entsprechend wappnen. Genau wie in der analogen Welt steckt auch bei Angriffen auf unsere digitale Infrastruktur immer kriminelle Energie dahinter. Deshalb ist es so wichtig, dass wir unsere Strafverfolgungsbehörden entsprechend aufrüsten.
Aber auch jeder von uns kann etwas tun. Wir sollten auch in der digitalen Welt Vorsicht walten lassen und beispielsweise sensible Daten oder Informationen nicht einfach preisgeben. Wichtig ist auch, sichere Passwörter zu nutzen. Das Digitalministerium hat sich die Devise „Online sicher unterwegs“ auf die Fahne geschrieben und für die Bürgerinnen und Bürger auf unserer Homepage einen Passwort-Check eingerichtet.
Und für den Fall, dass Privatpersonen Opfer von Cyberkriminalität geworden sind, habe ich gemeinsam mit dem Innenminister eine „Zentrale Ansprechstelle Cybercrime“, kurz ZAC, ins Leben gerufen. Unter der Rufnummer 089/1212-4400 können Bürgerinnen und Bürger schnelle und unkomplizierte Hilfe von einem Ansprechpartner des Bayerischen Landeskriminalamts bekommen.
"Den Klimaschutz von Anfang an mitdenken"
Greenpeace rechnet vor: Wäre die digitale Welt ein Staat, dann würde sie beim Stromverbrauch mit einem Anteil von acht bis zehn Prozent schon heute an sechster Stelle stehen. Mailen, Internetsurfen, Streaming sind nicht unbedingt nachhaltig – vom ungelösten Recycling der Geräte ganz zu schweigen. Wo lassen sich mit "Digital" wirklich Ressourcen schonen? Wo sind wir damit zu verschwenderisch? Wäre es oft nicht viel nachhaltiger, ein Buch oder eine Zeitung zu lesen als eine Serie oder Musik zu streamen?
Judith Gerlach: Eine Studie des Digitalverbands Bitkom vom November letzten Jahres hat aufgezeigt, dass digitale Technologien fast die Hälfte dazu beitragen können, dass Deutschland seine Klimaziele bis zum Jahr 2030 erfüllt. Vor allem im Bereich der industriellen Fertigung gibt es demnach ein großes CO2-Einsparpotenzial etwa durch optimierte Produktionsabläufe und digitale Simulationen.
Beim Vorantreiben der Digitalisierung müssen wir immer auch den Klimaschutz im Fokus haben und von Anfang an mitdenken. Digitalisierung ist also eine Riesenchance für den Klimaschutz. Bei unserem Bayerischen Digitalgipfel CODE BAVARIA 2020 standen deshalb die Potenziale digitaler Technologien für den Klima- und Umweltschutz im Mittelpunkt. Dabei haben wir eindrucksvoll gesehen, wie Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Blockchain für nachhaltiges und ressourcensparendes Wirtschaften eingesetzt werden können. Bei unserem Online-Hackathon, der Innovation Challenge #FutureTech4Climate, wurden auch gleich Ideen dafür entwickelt.
"Transformation ist mehr als das Versenden von PDFs"
Markus Söder hat versprochen, den Mittelstand bei der digitalen Transformation zu unterstützen. Das soll unsere Wirtschaft krisenfester und unabhängiger machen. Was versteckt sich hinter dem Begriff „digitale Transformation“? Können Sie das in zwei Sätzen anschaulich machen? Wo sehen Sie die größten Möglichkeiten dieses Wandels?
Judith Gerlach: Die digitale Transformation ist ein fortlaufender Veränderungsprozess innerhalb der Gesellschaft, der durch digitale Technologien hervorgerufen wird. Dabei geht es nicht nur um die Nutzung digitaler Werkzeuge wie z.B. eine E-Mail statt eines Briefs zu schreiben.
Die Transformation ist mehr als nur das Einscannen von Dokumenten oder Versenden von PDFs. Es geht darum, auch die dahinterliegenden Prozesse neu zu denken, um für alle Beteiligten einen Mehrwert zu schaffen: z.B. dass das Steuerformular schon vorausgefüllt ist mit den Daten vom Vorjahr und ich nur noch kleinere Anpassungen machen muss.
Ein gutes Beispiel dafür ist auch unsere heutige Kommunikation. Wir nutzen nicht nur verstärkt Chat- und Social-Media-Plattformen. Die Art und Weise der Kommunikation z.B. über Kurznachrichten, hat sich auch entsprechend angepasst. Die Transformation geht damit über die reine Digitalisierung hinaus, die den Wandel bestehender analoger Inhalte und Prozesse in digitale Dateien und Verfahrensweisen beschreibt.
Hier sehe ich in allen unseren Lebensbereichen noch große Chancen und Möglichkeiten, dass die Verfahren noch besser ineinandergreifen und auf die Bedürfnisse unserer Bürgerinnen und Bürger oder unserer Unternehmen ausgerichtet sind – angefangen in der Arbeitswelt, aber auch im Schul- oder Gesundheitsbereich.
"Digitalisierung soll Sprungbrett, nicht Falle sein"
Wir vertrauen unser Leben selbstfahrenden Autos an, obwohl wir im Supermarkt immer wieder sehen, dass noch nicht einmal ein Pfandautomat die ihm gestellten Aufgaben einwandfrei löst. Ich zahle an der Kasse mit Karte, aber niemand prüft, ob das wirklich meine Karte ist. Wie der Zauberlehrling freuen wir uns, dass „Alexa“ & Co. Dinge für uns erledigen – wir geben Privates aus Familie und Freundeskreis völlig Fremden preis. Wem liefern wir uns da eigentlich aus? Geben wir elementare Sicherheit für kurze Momente der Bequemlichkeit auf?
Judith Gerlach: Ich sehe es nicht so, dass wir unsere elementare Sicherheit aufgeben. Denn wir haben in der EU eine Datenschutzgrundverordnung. Diese Vorschrift gibt den Nutzer die Datenhoheit zurück und schafft Transparenz. Bürgerinnen und Bürger sollen informierte Entscheidungen darüber treffen können, was mit ihren Daten geschieht. Zusammen mit deutlich höheren Bußgeldern will die Verordnung sicherstellen, dass sich auch Clouddienste oder soziale Netzwerke, etwa aus den USA, an die Regeln halten müssen.
Darüber hinaus sollte sich jeder Einzelne darüber Gedanken machen, welche Daten er oder sie im Netz preisgibt. Denn häufig werden allzu leichtfertig persönliche Daten veröffentlicht. Ein großes Anliegen ist mir, dass wir gerade bei unseren Kindern und Jugendlichen hier mehr Aufklärungsarbeit leisten. Bei vielen zeigt sich auch heute noch ein mangelndes Wissen über Datensicherheit bzw. -missbrauch. Dies müsste ein Baustein der digitalen Basisbildung werden. Denn die Digitalisierung soll das Sprungbrett für junge Menschen sein und nicht zur digitalen Falle werden.
"Alle Bürger in die digitale Welt mitnehmen"
Digitale Ratssitzungen ermöglichen mehr politische Teilhabe. Man muss nicht mehr persönlich zu einer Versammlung, sondern kann sich von Zuhause zuschalten. Sie haben während der Pandemie das Landesrecht entsprechend geändert. Schließen diese neuen Formate nicht zugleich z.B. ältere Menschen aus?
Judith Gerlach: Gerade die geänderten Regelungen zu digitalen Ratssitzungen, für die ich mich eingesetzt habe, sind so gestaltet, dass Bürgerinnen und Bürger auch vor Ort noch an den Versammlungen teilnehmen können. Denn es gibt keine reinen Online-Sitzungen. Mindestens der Vorsitzende muss physisch im Sitzungsraum anwesend sein. Bürgerinnen und Bürger haben somit auch weiterhin die Möglichkeit, Sitzungen vor Ort im Sitzungsraum zu verfolgen.
Aber generell ist die digitale Teilhabe eine meiner Herzensthemen. Deshalb habe ich auch das Jahr 2021 in meinem Haus unter dieses Motto gestellt. Mir ist es ein großes Anliegen, dass wir alle Bürgerinnen und Bürger in die digitale Welt mitnehmen. So dass möglichst alle von den Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung profitieren. Dazu haben wir schon eine ganze Reihe konkreter Aktionen durchgeführt, beispielsweise haben wir den Digitalpreis B.DiGiTAL für Projekte zur digitalen Teilhabe verliehen und einen „Hackathon digitale Barrierefreiheit“ durchgeführt. Dabei sind großartige Projekte eingereicht bzw. erarbeitet worden.
Mit unserer Aktion „Digital Verein(t) in Bayern“ startet in diesem Jahr ein Programm, das an 21 Standorten in ganz Bayern Workshops für Ehrenamtliche ermöglicht, um das Vereinsleben durch Digitalisierung zu verbessern. Auch dadurch schaffen wir Teilhabe.
Zudem wollen wir Seniorinnen und Senioren stärker an digitale Möglichkeiten heranführen. Denn gerade, wenn man älter wird und nicht mehr so mobil ist, kann die Digitalisierung ein großes Fenster an Möglichkeiten öffnen. In Bayern gibt es ein Modellprogramm „Schulungsangebote für ältere Menschen im Umgang mit digitalen Medien“ des Bayerischen Familienministeriums. Es ermöglicht zielgruppengerechte und niedrigschwellige Schulungen und Mediensprechstunden, die ältere Menschen bei der sicheren Nutzung digitaler Medien unterstützen sollen. Viele bayerische Mehrgenerationenhäuser beteiligen sich aktuell daran.
"Für mehr Wettbewerb auf den Märkten sorgen"
Der lokale Einzelhandel, der z.B. Gewerbesteuer erwirtschaftet, mit der wir Strom, Wasser, Feuerwehr und andere Dinge in unseren Städten und Gemeinden finanzieren, verliert durch Online-Shopping; mit der Digitalisierung groß gewordene Player wie Amazon / Facebook / Google etc. tragen zur Finanzkraft einer Kommune eher wenig bei. Brauchen wir bessere gesetzliche Regelungen, um fairen Wettbewerb zwischen der echten und der digitalen Welt zu gewährleisten?
Judith Gerlach: Mit zwei neuen Gesetzesvorhaben will die EU-Kommission auf diese Entwicklungen reagieren. Dabei zielen sowohl der Digital Services Act (DSA) als auch der Digital Markets Act (DMA) darauf ab, die Macht der großen Tech- bzw. Internetunternehmen einzuschränken und wieder für mehr Wettbewerb auf den Märkten zu sorgen. Darüber hinaus haben sich erst kürzlich 130 Länder unter dem Dach der OECD auf eine globale Mindeststeuer für Unternehmen geeinigt. Es wird also bereits auf vielen Ebenen daran gearbeitet, einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten.
Mir liegt aber auch viel daran, kleine Unternehmen dabei zu unterstützen, den Schritt in die digitale Welt zu machen. Denn gerade die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig die digitale Präsenz für Unternehmen ist. Mit unserem neuen Programm „Online – fertig – los!“ unterstützen wir Kleinunternehmerinnen und -unternehmer bei digitalen Lösungen. Dabei erhalten die Teilnehmenden eine maßgeschneiderte Digital-Beratung für ihren Betrieb. Ob neue Website, Einrichtung eines Webshops oder eine eigene App – für jedes Geschäftsmodell gibt es die richtige Lösung. Das kostenlose Intensiv-Digitaltraining hilft den Teilnehmenden dabei, sich fit zu machen für die digitale Zukunft.
"Hinter dieser Technik stehen immer Menschen"
Wir freuen uns über Lob, horchen manchmal auf unser „Gewissen“, kennen Scham und folgen Traditionen und Ritualen, selbst wenn wir sie nicht mehr erklären können: Unsere jahrtausendealten sozialen „Algorithmen“ sorgen dafür, dass wir uns im echten Leben allenfalls so weit daneben benehmen, dass wir es mit einer Entschuldigung wieder hinbiegen können. In der digitalen Welt fehlt dieser Kompass: Cindy-Ricarda Roberts von der TU warnt am Beispiel der Arbeitswelt, dass Künstliche Intelligenzen diskriminierende Muster übernehmen und verstärken, weil sie von früheren Entscheidungen lernen. So werden unter anderem Frauen zu den neuen Verlierern des digitalen Zeitalters. Ist uns die digitale Technik demnach nicht vor allem in zwei Dingen überlegen – in Skrupellosigkeit und Kälte?
Judith Gerlach: Wir dürfen nicht vergessen, dass hinter dieser Technik immer Menschen stehen, die sie programmieren und die entscheiden, ob die Technik auf den Markt gebracht wird. Um unsere „analogen Algorithmen“ auch in die digitale Welt zu übertragen, müssen wir die Diversität in den digitalen Berufen fördern. Denn wenn die Entscheider hinter den Algorithmen und der Künstlichen Intelligenz ein Abbild unserer Gesellschaft repräsentieren, werden auch dort unsere Normen und Werte abgebildet werden. Um beispielsweise mehr junge Frauen für digitale Berufe zu begeistern, habe ich bereits 2019 die Initiative BayFiD – Bayerns Frauen in Digitalberufen“ ins Leben gerufen. Inzwischen gehen wir schon in die dritte Runde. Das Talentprogramm bietet dabei Events, Workshops und Besuche bei namhaften Unternehmen für die Teilnehmerinnen an.
"Cybermobbing und Hatespeech sind große Probleme"
Wir reden viel von Künstlicher Intelligenz, wo es soziale oder doch wenigstens emotionale bräuchte. Sprich: Verstand und Anstand gehören zusammen. Maschinen können wir allenfalls das erste beibringen. Menschen, denen zum ersten das zweite fehlt, nennt man gemeinhin ... Psychopathen. Wieviel „Psycho“ steckt in Digital? Oder anders gefragt: Wären soziale Medien, Posts, Internetforen und Chatbots echte Menschen wie Sie oder ich: Säßen dann nicht die meisten im Gefängnis, wären in Therapie oder müssten wenigstens Sozialstunden leisten?
Judith Gerlach: Beleidigungen, Belästigungen, Bedrohungen oder Bloßstellungen werden von realen Personen ins Netz gestellt. In den seltensten Fällen steckt reine Technik dahinter. Cybermobbing und Hatespeech sind große Probleme und haben in den letzten Jahren weiter zugenommen. Hier müssen wir entschieden entgegenwirken und Aufklärung betreiben.
Zur Unterstützung von Eltern, Kindern und Jugendlichen sowie Lehrerinnen und Lehrern haben wir beispielsweise in diesem Jahr gemeinsam mit dem Bayerischen Innenministerium die bayernweite Präventionskampagne des Landeskriminalamts „DEIN SMARTPHONE – DEINE ENTSCHEIDUNG“ gestartet. Mit der Kampagne wollen wir für die vielfältigen Gefahren im Umgang mit Smartphones sensibilisieren und bei einem verantwortungsbewussten Umgang mit sozialen Netzwerken und allgemein der digitalen Welt unterstützen. Zielgruppe sind sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch ihre Eltern, die für die Smartphone-Nutzung der Minderjährigen eine Erziehungsverantwortung tragen.
"Die Auswirkungen im Blick haben"
Bürger wollen überall Zugriff auf Internet, Streamingdienste und soziale Medien haben und Behördengänge etc. möglichst online erledigen können. Gleichzeitig haben sie Bedenken gegen den 5G-Ausbau. Nun stehen selbst einer Ministerin im schönsten Freistaat der Welt nicht die Möglichkeiten eines biblischen Königs offen: Salomonische Entscheidungen werden also kaum gelingen können. Wie bringen Sie die gegensätzlichen Interessen der Bürger unter einen Hut?
Judith Gerlach: Der Mobilfunkausbau in Bayern läuft unter der Federführung des Bayerischen Wirtschaftsministeriums. Dieses wird hierbei eng begleitet vom Umwelt- und Gesundheitsministerium, um sowohl die Auswirkungen auf die Umwelt als auch auf die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger im Blick zu haben.
"Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt tiefgreifend
Die Digitalisierung wird unsere Arbeitsabläufe umkrempeln. Man kann heute nicht nur Filme und Bücher „on demand“ ordern, sondern auch Arbeitskräfte, deren Situation sich rechtlichen und sozialen Mindeststandards leicht entzieht. Markus Söder hat einmal gesagt, man könne den Fortschritt nicht aufhalten - aber gestalten. Wie gestalten Sie die digitalisierte Arbeitswelt so, dass sie menschlich bleiben kann?
Judith Gerlach: Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt nachhaltig und tiefgreifend. Dieser Wandel bietet Chancen. Er stellt uns aber auch vor Herausforderungen. Die Digitalisierung kann Flexibilität und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern, beispielsweise durch flexible Arbeitszeiten, flexible Ruhezeiten und flexible Arbeitsorte. Das kann ein Segen sein. Die ständige Erreichbarkeit und die Vermischung von Arbeit und Privatleben können aber auch belasten.
Wir müssen also ganz genau darauf achten, dass uns der Spagat zwischen der Flexibilisierung und dem Schutz der Arbeitnehmerrechte gelingt. Dabei ist wichtig, dass wir auch die Freelancer und sogenannten Click- oder Crowdworker berücksichtigen. Ein weiterer Aspekt der Arbeitswelt 4.0 ist die Veränderung der Qualifikationsanforderungen. Eine Studie zeigt, dass die Digitalisierung positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Deutschland haben wird, denn sie wird Arbeitsplätze schaffen. Es entstehen zugleich neue Tätigkeiten und ganz neue Berufe. Der technische Fortschritt bringt es aber mit sich, dass bestimmte Tätigkeiten durch maschinelle Abläufe ersetzt werden können und diese Tätigkeiten wegfallen.
Damit der Übergang gelingt, müssen wir den Menschen die Angst vor der Digitalisierung nehmen und sie zu Fachkräften der Zukunft machen. Weiterbildung wird also immer wichtiger. Mit dem erweiterten Pakt für die berufliche Weiterbildung 4.0. haben wir verstärkt die Digitalisierung in den Fokus genommen. Mit unserer Webinar-Reihe „Digitalimpulse“ konzentrieren wir uns beispielsweise speziell auf kleine und mittelständische Unternehmen und unterstützen sie dabei, Chancen und Risiken digitaler Technologien besser einschätzen zu können. Die Betriebe und ihre Beschäftigten eignen sich so digitales Know-how an und sichern sich wichtige Wettbewerbsvorteile.
„Hinschauen, Aufklären und Unterstützen!“
Kinder werden heute in einer ganz anderen Medienwelt groß als ihre Eltern oder Großeltern. Sie sind ja selbst Mutter zweier Kinder: Wieviel "Smartphone & Co" dürfen in ein Kinderzimmer? Und wie schützen Eltern ihre Kinder in der digitalen Welt, ohne sie zu überwachen?
Judith Gerlach: Unsere Kinder wachsen in dieser digitalen Welt auf. Das ist ihr Alltag. Ihre Kommunikation läuft zu einem großen Teil über digitale Medien ab. Es macht somit keinen Sinn, sie von dieser Technologie komplett abzuschirmen. Wir müssen uns aber auch der Herausforderungen bewusst sein, die die Digitalisierung für unsere junge Generation mit sich bringt.
Als Eltern müssen wir neben der Technik auch die sozialen und psychologischen Aspekte der digitalen Welt im Auge behalten. Und dazu gehören leider auch die dunklen Seiten der Vernetzung. Gerade als Mutter mache ich mir sehr viele Gedanken, wie wir unsere Kinder und Jugendlichen hier schützen können. Ein Leitsatz für mich ist: „Hinschauen, Aufklären und Unterstützen!“ Wir müssen für unsere Kinder und Jugendlichen Ansprechpartner, aber auch Vorbild sein. Dazu müssen wir auch selbst einen Überblick haben, was digital so los ist.
Über die Kampagne „DEIN SMARTPHONE – DEINE ENTSCHEIDUNG“ bekommen Eltern aber auch Lehrerinnen und Lehrer, Hilfestellung durch spezielle „Jugendbeamte“ der Polizei. Mein Haus arbeitet zudem an einer App, die Grundschüler beim sicheren Surfen unterstützt. Die Kinder werden dabei auf spielerische Art für die Gefahren des Internets sensibilisiert und über Hilfsangebote informiert.
Die jüngste Abgeordnete, das erste Digitalministerium
Judith Gerlach wurde 1985 in Würzburg geboren. Dort studierte sie auch Rechtswissenschaften und arbeitete ab 2013 als selbstständige Rechtsanwältin in Aschaffenburg. Seit 2002 ist Gerlach Mitglied der CSU und der Jungen Union. Nach der Landtagswahl im September 2013 zog sie als jüngste Abgeordnete in den Bayerischen Landtag ein. 2018 wurde sie mit 40,2 Prozent der Erststimmen in ihrem Stimmkreis Aschaffenburg-Ost wieder in den Landtag gewählt.
Seit November 2018 ist Judith Gerlach Bayerische Staatsministerin für Digitales. Das damals neu gegründete Digitalministerium ist das erste dieser Art in Deutschland. Es soll sich um Grundsatzangelegenheiten, Strategie und Koordinierung des digitalen Wandels kümmern.
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