"Die innere Haltung ist wichtig"
Welche Kleidung ist für trauernde Hinterbliebene angemessen?

Pfarrer Ralf Honig (Gethsemanekirche). (Foto: job)
Wenn ein Familienmitglied oder Freund stirbt, ist das für die Hinterbliebenen eine emotionale Ausnahmesituation. Die Farbe Schwarz ist mit Trauer verbunden und drückt sich vor allem durch die Kleidung aus. Aber dürfen trauernde Angehörige auch farbige Kleidung anziehen? Gibt es das Trauerjahr noch, in dem nur Schwarz getragen wird? Wir haben nachgefragt:
"Trauer bearbeiten, statt sie zu verdrängen"
Ralf Honig, Pfarrer ev. Gethsemanekirche: Gerade im städtischen Umfeld verliert der Brauch, dass Trauernde schwarze Kleidung tragen, immer mehr an Bedeutung. Manchmal geschieht das nicht einmal bei der Beerdigung selber. Den einen hilft es, ihre Trauer durch die Kleidung auszudrücken, anderen nicht. Konventionen spielen in einer individualisierten Welt immer weniger eine Rolle; das spiegelt sich auch im Umgang mit Tod und Trauer wider. Ob zur christlichen Hoffnung über den Tod hinaus ausgerechnet die Farbe Schwarz passt, darf ruhig in Frage gestellt werden. Wichtig ist aber, dass Menschen überhaupt einen Weg finden, ihre Trauer zu bearbeiten, anstatt sie zu verdrängen. Ob das im Gespräch mit anderen oder eher für sich geschieht, ob sich jemand schnell wieder nach außen öffnet oder eher zuerst mal zurückzieht, ist dabei nicht entscheidend. Jeder Trauernde muss da seinen eigenen Weg finden.
"Psychischer Ausnahmezustand"
Ina Weichel, Leiterin Ambulanter Hospiz- und Palliativberatungsdienst des Malteser Hilfsdienstes e.V.: Das kann man so generell nicht sagen. Auf dem Land ist man vielleicht noch etwas traditioneller. Früher war es üblich, dass die nächsten Angehörigen ein Jahr lang Schwarz getragen haben. Das hatte auch eine gewisse Schutzfunktion, denn es zeigte, dass sich der Mensch in einer besonderen psychischen Verfassung befindet und einer gewissen Rücksichtnahme bedarf. Heute wird bei einer Beerdigung in der Regel auch dunkle Kleidung getragen, selten aber ein Jahr. Wenn ein Angehöriger nach einigen Tagen wieder ,normal' angezogen ist, fällt auch der Schutzaspekt weg. Dann wird nach einer Weile erwartet, dass man wieder funktioniert. Der Trauernde befindet sich aber trotzdem noch in einem psychischen Ausnahmezustand.Trauer braucht Zeit und ist auch nach einem Jahr nicht vorbei.
"Das hängt von der Trauerphase ab"
Robert Eisenreich, kath. Seelsorger Helios Klinikum: Dies ist nicht so leicht zu sagen. Es hat zwar einen bestimmten Kodex für das Trauerkleidungstragen gegeben, aber meiner Meinung nach hängt dies von der Trauerphase ab, in der Hinterbliebene stehen. Die Frage müsste eigentlich lauten: "Hat Trauer überhaupt eine Dauer?" Manche trauern länger, weil sie eine besonders enge Beziehung zu dem Verstorbenen gehabt haben, bei anderen ist die Verbindung nicht so stark. Auch bei einem 90-Jährigen trauert man anders als beim Kind. Die erste Zeit nach dem Tod eines lieben Menschen ist wie eine Schockstarre, die einen befällt. Es dauert etwa drei bis fünf Jahre bis sich der Schmerz wandelt, doch Wehmut bleibt zurück, so der Psychologe Roland Kachler.
Die Schweizer Psychologin Verena Kast hat ein Phasenmodell entworfen, in dem gezeigt wird, wie der Trauerprozess verlaufen kann. Die erste Phase ist die des Nichtwahrhabenwollens. Das geht mit dem Schock und dem Leugnen des Verlustes einher. Danach brechen die Emotionen auf, Wut, Schmerz Angst treten zu Tage. Danach erfolgt eine Phase des Suchens und des sich Trennens. Der Hinterbliebene muss sich orientieren, er sucht Orte auf, wo sie glücklich waren, es wird auch viel über die Verstorbene geredet, am Ende steht die Phase des neuen Selbst- und Weltbezugs. Der Tod des lieben Menschen wird mehr oder weniger akzeptiert und der/die Hinterbliebene kann sich wieder dem eigenen Leben zuwenden. Ein solches Modell ist natürlich nicht für jedes Schicksal geeignet. Denn für manche klingt das "Loslassen" wie ein Hohn. Sie können den Verstorbenen nicht loslassen. Deshalb muss etwas gefunden werden, das ihm einen guten Platz zuweist, im Leben des Hinterblie-benen. Er kann ihn herholen, in einem fiktiven Gespräch, oder einen Brief schreiben, in dem noch einmal das vorkommt, was schön war oder belastend. So etwas wie von der Seele schreiben, ist das. Ich möchte damit nicht sagen, dass der Tod nicht akzeptiert wird. Vielleicht kann eine andere Beziehung aufgebaut werden, wo der Verstorbene in anderer Weise da ist. Ganz wichtig ist: Trauernde Hinterbliebene brauchen für sich viel Geduld. Die Trauer soll dazu da sein, das zu tun oder nicht zu tun, was ich brauche, auch wenn ich mich ganz zurückziehe und keinen um mich haben will. Das heißt jetzt ganz konkret für das Trauerkleidungstragen: Es sollte wesentlich von der emotionalen und inneren Haltung der Hinterbliebenen abhängen, welche Kleidung getragen wird. Nur das Schielen auf die Nachbarschaft und andere "wohlmeinende Stimmen" haben nichts mit der tatsächlichen Trauerbewältigung zu tun.
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