"Respekt muss man sich verdienen"
Wird auf gute Manieren noch Wert gelegt?
„Warum rülpset und furzet ihr nicht, hat es euch etwa nicht geschmecket?“ Dieses Zitat – wahlweise Martin Luther oder Johann Wolfgang von Goethe zugeschrieben – zeigt es deutlich: Manieren sind eine Sache von Zeitgeist. Was in früheren Zeiten ein „Muss“ war, hat sich über die Jahrzehnte gewandelt. „Gesundheit“ wünschte man früher, wenn ein Mitmensch niesen musste. Heute braucht es das nicht. Im Gegenteil: Der Nieser sollte sich – laut moderner Knigge – entschuldigen. Auch mit dem „Sie“ und dem „Du“ wird heute lockerer umgegangen. Und das „Türe aufhalten“, mit dem früher Männer in der Damenwelt punkten konnten, gilt heute für Frauen und Männer gleichermaßen. Auch wenn sich die Regeln geändert haben – noch immer gilt quer durch die Generationen, dass ein gutes Benehmen ein wichtiger Wert ist und eine gute Kinderstube die Basis für ein gedeihliches Zusammenleben. Dabei geht es nicht um die richtige Anordnung von Besteck oder die Reihenfolge, in der sich die Menschen zu begrüßen haben.
Nein, es geht um etwas Anderes: Um ein rücksichtsvolles Miteinander, um eine Wertschätzung des Gegenübers, um Respekt. Und hier hakt es tatsächlich. Der Grund sind die allgegenwärtigen Medien. Wer den Blick starr auf das Handy gerichtet hält, der bekommt die Umgebung eben nicht mit und kann auch nicht helfend eingreifen, wenn es gilt, jemandem die Tür aufzuhalten oder einen Platz in der S-Bahn anzubieten. Ein Verfall der Werte kann darin aber nicht festgemacht werden, eher pure Gedankenlosigkeit. Einig sind sich deswegen alle - egal welchen Alters - in folgender Erkenntnis: Wenn alle Menschen nur ein bisschen mehr auf den Anderen achteten, dann wäre die Gesellschaft ein Stück weit sozialer und das Leben schöner.
"Kein Vorbild mehr und keine Orientierung"
Die alte Generation: Gisela Scheloske, 74 J.:
„Respekt“ bedeutete früher Rücksichtnahme gegenüber den Mitmenschen. Man war aufmerksam im Verhalten. Das äußerte sich zum Beispiel darin, dass man sich gegenseitig die Türen aufhielt. Älteren ließ man den Vortritt, man half beim Tragen von Koffern, Einkäufen und so weiter, half beim Einsteigen in Bus und Bahn. Heute wird anderen Menschen viel weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Vielleicht liegt der Werteverfall an der Erziehung oder weil man durch Medien wie dem Handy, mit dem man mit Ohrstöpseln Musik hört, abgelenkt ist. Früher wurde auch mehr Wert auf Manieren gelegt durch klare Vorgaben, Vorbilder und durch das Vorleben. Ein eher „angepasstes“ Verhalten war gewünscht nach dem Motto „das gehört sich nicht“. Heute wurden Manieren durch ein eher ich-bezogenes Verhalten abgelöst. Rücksichtslos wird beispielsweise vorgedrängt, man nimmt den Mitmenschen nicht wahr, die Musik wird laut gedreht und sogar laut gestritten. Was mir auch noch auffällt, ist, dass die sogenannte Oberschicht heute wegen der vielen Skandale im Gegensatz zu früher kein Vorbild mehr ist und keine Orientierung gibt. Bei der Mittelschicht stehen Selbstverwirklichung in Beruf und Hobby, ungebunden sein und das Leben genießen an oberster Stelle. Bei Menschen, die wenig Bildung erfahren und keinen Beruf erlernt haben, fällt mir ein verrohter Umgang mit Anderen auf.
"Es bedeutet Anerkennung"
Die mittlere Generation: Gabriele Off-Nesselhauf, Bezirksrätin, 60 J.:
Respekt! Altmodisch? Nein - Selten wurde dieses Wort so oft in der Jugendsprache benutzt wie in den letzten Jahren. Jugendliche drücken ihre Anerkennung einfach mit einem kurzen „Respekt!“ aus. Es ist wie ein Ritterschlag, als Mensch im fortgeschrittenen Alter aus dem Munde von Jugendlichen ein kräftiges „Respekt“ zu hören. Dabei ist es für mich manchmal wieder schwierig, wenn dann daraus eine Vertrautheit entsteht, die aus einem „Sie“ ein plötzliches „Du“ werden lässt. Da bin ich nicht sicher, ob ich nun begeistert sein soll, oder eher auf Abstand gehen sollte.So stellt sich auch sofort die Frage, ist diese Vertraulichkeit ein Fall von schlechten Manieren? Wäre es altmodisch und „old school“ die jungen Leute darauf hinzuweisen, bitte einen bestimmten Abstand zu wahren? Hat es etwas mit mangelndem Respekt zu tun? Fragen, die einem sofort durch den Kopf gehen.
Wir fühlen uns auf unsicherem Terrain - vergleichbar einer Eisfläche. Folglich verstreicht wertvolle Zeit, um mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, bzw. eine Verbindung zwischen Jung und „Erfahrenen“ zu knüpfen.Die Zeiten ändern sich und damit auch der Umgang zwischen den Generationen. Menschen jenseits der 60 sind nicht mehr die Alten von früher und die Jungen haben sich anderen Herausforderungen zu stellen, als noch vor 50 Jahren. Damals wurde Respekt als „Abstandshalter“ zwischen den Generationen erlebt. Heute bedeutet er gegenseitige Anerkennung gepaart mit Toleranz. Respekt muss man sich verdienen und ist kein Geburtsrecht – nicht von Jung und ebenso nicht von Älteren. Kommunikation auf Augenhöhe verschafft automatisch gegenseitigen Respekt. Ein lockeres, respektvolles „Du“ eines Jugendlichen betrachte ich heute als Wertschätzung und Auszeichnung.
"Respekt ist der Kitt unserer Gesellschaft"
Die junge Generation: Thuy Tran, Studentin, 25 J.:
Der Respekt vor älteren Menschen und generell gute Manieren haben in meiner Familie höchsten Stellenwert und meine Eltern haben in meiner Erziehung sehr großen Wert darauf gelegt. Für mich zusammengefasst heißt das:
1. Ältere Menschen gehören in die Mitte unserer Gesellschaft und nicht an den Rand.
2. Vorsitzende/r oder Vorzimmerdame - ich zolle jedem Menschen den gleichen Respekt.
Ist die „Jugend von heute“ der Verfall der Gesellschaft von morgen? Nein, ich habe das Gefühl, dass junge Menschen heutzutage sogar mehr auf's gute Benehmen achten. Kurse und Fachbücher über den richtigen Umgang sind gefragter denn je – zumindest empfinde ich es in meiner Umgebung so. Was mir aber aufgefallen ist, dass die Aufmerksamkeit für die Umwelt bei vielen jungen Menschen gesunken ist. Vereinfacht gesagt, wenn man den ganzen Tag auf das Display des Smartphones starrt, dann sieht man in der überfüllten S-Bahn nicht, dass eine ältere Dame wacklig stehen muss, während man selbst gemütlich sitzt. Wenn ich dann aufstehe und jemanden den Platz anbiete, merke ich oft, dass das bei vielen anderen sitzenden Mitfahrern ein schlechtes Gewissen auslöst, die schlichtweg „nur“ unaufmerksam waren. Der richtige Umgang und Respekt füreinander sind der Kitt unserer Gesellschaft und erleichtern das Leben ungemein. Daran sollten wir jeden Tag arbeiten – egal ob Jung oder Alt. Wenn Sie dennoch nicht überzeugt sind – Beschwerden über uns Junge gab es schon 2000 v. Chr.: „Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe.“ (Keilschrifttext aus Ur, Chaldäa).
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