"In Gesellschaft schmeckt es besser"
Welchen Stellenwert haben Essen und Ernährung?
"Der Mensch ist, was er isst", so lautet der berühmte Satz von Ludwig Feuerbach. Noch nie zuvor scheinen die Menschen diesen Satz so ernst genommen zu haben wie heutzutage. Essen, Ernährung und der „richtige“ Lebensmittelkauf geben Auskunft über die eigene Lebenshaltung, darüber, wofür man steht. Essen als neue Religion? Auf jeden Fall schafft die moderne Ernährungskultur Glaubensgemeinschaften, die sich gegenseitig verteufeln: Da gibt es die Rohkostler, die nichts kochen, während die Feinkostler am liebsten teuer, extravagant und erlesen kochen. Der eine schwört auf Himalaya-Reis, der andere auf Flor de Sal. Vegetarier lieben die Tiere und wollen sie daher nicht im Topf sehen. Wer auf die sogenannte Paleo-Ernährung (Steinzeiternährung) setzt, liebt Tiere auch und genießt sie am liebsten ohne Beilage. lakto-vegetarisch, vegan, glutenfrei oder doch Slow-Food – im Dschungel der Kochbücher, Essentrends und Ernährungsphilosophien blickt kaum noch einer durch. Essen ist längst auch politisch geworden: Debatten über Bio, Massentierhaltung oder Genmais gehören ebenso dazu wie jene über Billigdiscounter, Milchpreise und Monokulturen. Was dürfen Lebensmittel kosten und wieviel ist uns Nahrung wert?
Zugleich wächst die Auswahl an Fertiggerichten in den Kühlregalen und Junk Food hat Hochkonjunktur. Der stressige Alltag erlaubt keine Rücksichtnahme auf Kochzeiten und Essengewohnheiten. An den Satz „Gesund ist was schmeckt“ glaubt aber auch keiner so richtig.
Essen war und ist jedenfalls mehr als nur Nahrungsaufnahme. Wer kann genießt und lässt es sich schmecken. Ob "vor allem Bio", "ohne Fleisch" oder "mit möglichst viel Vitaminen" - selbstgekocht oder „wie zu Hause bei Mama“ bleibt der Favorit. Und der soziale Aspekt beim Speisen? Gehören gemeinsame Essen noch zu den Ritualen im Familienleben?
"Ernährung ist Lebensreichtum"
Die alte Generation: Birgit Gammel, Pastoralreferentin, 60 J.:
Vanillekipferl und Ischlerplätzchen waren meine Lieblings-Weihnachtsplätzchen. Meine Mutter konnte sie wunderbar backen. Als ich mit 16 Jahren von meinem Auslandsaufenthalt in England mitten im Sommer nach Hause zurückkam, wurde ich mit diesen Plätzchen erwartet. Bis heute ist mir diese liebevollste Willkommensgeste in Erinnerung, wenn ich an Ernährung und Lebensmittel denke. Im Essen steckt viel mehr als nur die Kalorienzufuhr. In meiner Jugendzeit habe ich das Kochen nicht gelernt – dazu hat es meine Mutter viel zu gut gemacht und ich war zu ungeduldig, um es zu lernen. Aber sie hat mir ihre Liebe und Leidenschaft zu einer sorgsamen und guten Zubereitung von Lebensmittel weitergeben. Bis heute koche ich gerne. Mich interessieren Nährwerte, Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Essen, und ich probiere gerne mal etwas Neues aus.
Ja, Essen, Ernährung ist für mich viel mehr als Nahrungsaufnahme. In meinem Alltag vermisse ich meist die Zeit zum genussvollen Kochen. Da muss es schnell gehen. Aber ich freue mich sehr, wenn ich achtsam und kreativ mit den Mitteln zum Leben, den Lebensmitteln umgehen kann. Die Fülle, die mir heute in Geschäften begegnet, die brauche ich gar nicht. Viel wichtiger ist es für mich, ein neues Gewürz zu kombinieren, eine andere Art auszuprobieren, mein Gemüse zu schneiden und dann zu kosten, wie es in dieser Zusammenstellung schmeckt. Ernährung ist für mich Lebensreichtum, für den ich sehr dankbar bin.
"Gemeinsames Essen mit der Familie"
Die mittlere Generation: Lisa Schmitz, Kunsthistorikerin, 36 J.:
Kochen und Essen ist für mich ein wichtiger Bestandteil des Alltags. Schon als Kind hat mich meine Mutter beim Kochen eingebunden. Die gemeinsamen Essen mit der Familie waren immer ein zentraler Punkt zu Hause. In diesen Stunden waren alle zusammen und konnten Ihre Alltagsfreuden und –sorgen austauschen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wir kochen gerne und regelmäßig. Ich mag den sinnlichen Aspekt daran sehr: wenn sich die Düfte der Gewürze in der Küche ausbreiten, etwas in der Pfanne brutzelt ... Mein Mann und ich haben bei der Zubereitung und dem Verzehr des gemeinsamen Abendessens oft die besten Gespräche. Wir laden auch gerne und oft Freunde zum Essen zu uns nach Hause ein. Ich finde die einfachste Suppe schmeckt in Gesellschaft um ein Vielfaches besser. Als Verbraucher ist man in Zeiten der Massentierhaltung, Überfischung der Meere, Einsatz von Pestiziden und Genmais zwischen Fast-Food, Bio und Vegan unmittelbar angehalten sich mit Essen und dem Kauf von Essen auseinander zu setzen. Ich denke es ist wichtig, sich zu überlegen, welche Industrie man durch den Kauf bestimmter Erzeugnisse unterstützen möchte. Ich versuche einen Mittelweg zu gehen, bei bestimmten Produkten auf Bio wert zu legen, saisonal und nach Möglichkeit regional einzukaufen. Für mich ist eine bunte Küche, in der es frisches Gemüse, mal Fleisch, mal Fisch und auch mal Pommes gibt, der leckerste, beste und somit gesündeste Weg.
"Basics aus Mamas Küche"
Die junge Generation: Sophie Repp, Physiotherapeutin, 23 J.:
Abwechslungsreiche und gesunde Ernährung spielte in meiner Familie schon immer eine wichtige Rolle. Genauso das Helfen beim Kochen. Seitdem ich nicht mehr zu Hause wohne, habe ich mir mit der Zeit eine Eigenständigkeit in der Küche beigebracht. Auf dem Speiseplan stehen hauptsächlich vegetarische, frei kreierte Gerichte aller Art. Diese beinhalten wertvolle Basics aus „Mamas Küche“, wie zum Beispiel die beste Salatsoße der Welt, sind aber auch inspiriert von Spitzenköchen aus den Medien (Jamie Oliver) oder aufgepeppt durch Tipps von guten Freunden. Frisches und gesundes Essen liegt mir nach wie vor sehr am Herzen. Ich setze mich gerne damit auseinander, was dem Körper gut tut und versuche immer meine teilweise ungesunden Gewohnheiten anzupassen. Die Zubereitung, aber vor allem das Verspeisen, ob mal alleine oder in lieber Gesellschaft, bringt mir wahnsinnig viel Freude!
Allgemein finde ich, man sollte sich bewusst machen, was man zu sich nimmt und besonders bei tierischen Produkten nachvollziehen, welcher Prozess dahinter steckt. Trotz alledem ist Nahrung, neben der lebensnotwendigen Funktion, ein absoluter Genuss für alle Sinne! In meinen Augen ist es daher falsch sich aufgrund von irgendwelchen Ernährungsmoden völlig zu verkopfen. Vielmehr sollten der Magen und der Appetit am Schluss entscheiden, was einem schmeckt und bekommt.
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