"Es muss wieder gelingen, junge Menschen für diesen Beruf zu begeistern"
Statement von Waltraud Lucic (Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverband, MLLV) zur Situation der Lehrkräfte an unseren Schulen:
Im Kindergarten fehlen Erzieherinnen, in der Grund- und Mittelschule die Klassenlehrerinnen und Fachlehrer, in der Förderschule die Sonderpädagogen und im Gymnasium wird mit der Wiedereinführung des 9-stufigen Gymnasiums der Lehrkräftebedarf in absehbarer Zeit steigen.
Der BLLV hat aktuell errechnet, dass an Bayerns Schulen bis 2030 rund 53.400 Lehrkräfte neu eingestellt werden müssen. Mehr als jede dritte Lehrkraft wird in Pension gehen, was 43.500 Lehrerinnen und Lehrern aller Schularten entspricht. Infolge steigender Geburtenzahlen wächst zugleich die Zahl der Schüler bis 2030 um 8,5 Prozent an. Um dieses Wachstum bewältigen zu können, müssten zusätzlich zu den bereits bestehenden Stellen 9.900 neue Stellen geschaffen werden. Damit ließe sich der derzeitige Status Quo bei Unterrichtsversorgung und Klassengröße halten.
Diese Lehrkräfte haben wir nicht. Derzeit werden frisch ausgebildete Gymnasiallehrer zu Grund- und Mittelschullehrer nachqualifiziert, da das Gymnasium nicht so viele Lehrer braucht und in Grund-, Mittel- und Förderschule können die Unterrichtsstunden nicht abgedeckt werden.
Es gilt den Lehrerbedarf langfristig zu errechnen und auf dem Ausbildungsmarkt darauf zu reagieren. Dem Lehrermangel muss beseitigt werden, um den Kindern gerecht zu werden. Bildung ist in unserer Gesellschaft ein hohes Gut, deren Qualität es zu erhalten und auszubauen gilt. Meiner Meinung nach beinhalten folgende vier Aussagen den Kern eines notwendige Richtungswechsels.
„Wir brauchen ein anderes gesellschaftliches Bild vom Lehrerberuf“
Ein respektvolles und wertschätzendes Miteinander ist ebenso die Grundvoraussetzung für gelingende Zusammenarbeit der Schulfamilie wie auch gegenseitiges Vertrauen in die jeweilige Kompetenz. Ein Feilschen um Noten, in zahlreichen Fällen mit Unterstützung von Rechtsanwälten, ist hier ebenso wenig förderlich wie das Kontrollieren der Unterrichtsinhalte in Abgleich mit dem Lehrplan. Viele Eltern sehen in der Lehrkraft vor allem eine Person, die über die Zukunft ihres Kindes entscheidet, weil sie Noten vergibt. In einem konstruktiven Gespräch auf Augenhöhe könnte so vieles geklärt werden.
„Die beste Bildung steht und fällt mit genügend Lehrerinnen und Lehrern“
Bildung ist Beziehungsarbeit. Bei zu häufigen Unterrichtsvertretungen oder -ausfällen kann diese nicht mehr geleistet werden. Um bestmögliche Bildung zu ermöglichen, bedarf es Zeit. Zeit für Gespräche, Zeit für Denkumwege, Zeit für individuelle Beratung und Förderung, Zeit für so vieles, die man nur geben kann, wenn genügend Lehrkräfte zur Verfügung stehen und die Schule nicht nur eine bloße Bewahranstalt darstellt.
Derzeit hält Vater Staat die Finanzen bereit, doch es gibt sie nicht, die so dringend benötigten Lehrerinnen und Lehrer. Das Prinzip der Seiteneinsteiger kann nur eine Notlösung sein. Bildung braucht Qualität.
Was tun?
„Lehrerberuf muss attraktiver werden“
Es muss wieder gelingen, junge Menschen für diesen Beruf zu begeistern. Dazu müssen auch die Rahmenbedingungen angepasst werden. So wirkt es teilweise abschreckend, wenn die Schule immer mehr ursprüngliche Aufgaben der Eltern übernehmen muss, die Dokumentations- und Verwaltungsaufgaben ständig zunehmen und immer weniger Zeit für das Kerngeschäft bleibt. Auch eine entsprechende finanzielle Honorierung der wachsenden Anforderungen an die Lehr- und Erziehungskräfte ist notwendig. In den teuren Großstädten ist der Euro nur halb so viel wert. Beamte verdienen an jedem Ort gleich viel. Es muss hier über Ausgleichssysteme nachgedacht werden. Die Vermittlung von Staatsbediensteten Wohnungen ist ein guter, zaghafter Ansatz. Mit vergünstigten Fahrscheinen und Serviceleistungen könnte die Magnetkraft einer Großstadt mit besonderen Herausforderungen verstärkt werden. Ein Arbeitskreis mit den unterschiedlichsten Personen könnte zu einer kreativen Denk- und Entwicklungsfabrik werden.
„Vor allem aber müssen endlich die Weichen in der Lehrerbildung sinnvoll gestellt werden“
Es gilt, die Qualität der Lehrerbildung zu steigern, die Flexibilität zu erhöhen und die Mobilität zu gewährleisten. Das derzeit praktizierte Konzept ist zu starr und verhindert so, auf veränderte Anforderungen und Bedarfe entsprechend reagieren zu können. Gesellschaftliche Trends wie Zuwanderung, große Zunahme der Heterogenität in den Schulklassen, Zunahme der bildungsbenachteiligten Schülergruppen vor allem in Ballungsgebieten und Anwachsen von erzieherischen Herausforderungen bedürfen einer adäquaten Antwort in der Lehreraus- und Weiterbildung.
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