"Die Welt ist klein geworden"
Smartphone statt Baedeker: Reisen wir heute anders als früher?
Die Reiselust, die Sehnsucht nach fernen Ländern liegt dem Menschen im Blut – sofern er nicht ein Reisemuffel ist. Da ist es ziemlich egal, ob man jung oder alt ist. Solange man es sich leisten kann und die Gesundheit mitspielt, geht es so oft wie möglich weit, weit weg. Während die Abenteuerlust seit den Zeiten der Völkerwanderung immer die gleiche ist, hat sich doch die Art des Reisens in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Die Eltern und Großeltern sind noch mit dem Reiseführer im Gepäck, Reiseschecks und einer begrenzten Summe an Geld losgezogen. Der Kontakt mit der Heimat beschränkte sich auf seltene Telefonanrufe und Postkarten. Heute nimmt man mit dem Smartphone und Computer quasi die Heimat und die Arbeit gleich mit. Dank Online-Banking geht das Geld nie aus und am Strand werden schon mal die Emails gecheckt. Mit Google-Earth kann man sich zuhause bereits am Urlaubsziel umsehen. Trotzdem: Die leibliche Präsenz vor Ort, die unerwarteten Begegnungen mit Menschen und fremden Kulturen, können durch nichts ersetzt werden. Der Austausch mit anderen Völkern bleibt nicht ohne Wirkung auf eigene Werte und Vorstellungen. Der englische Philosoph Sir Francis Bacon (1561-1626) meinte: „Das Reisen dient in jüngeren Jahren der Erziehung, in reiferen der Erfahrung“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
"Immer wieder Jesolo"
Die alte Generation: Inge Oberländer, Journalistin, 67 J.:
„Mama, sag´ Papa, wir wollen ausschlafen und nicht mitten in der Nacht aus dem warmen Bett ins kalte Auto!" Diese Bitten fanden kaum Gehör und so ging´s über Jahrzehnte zwei Mal im Jahr an den Lido. Freunde mit ihren Kindern waren ständige Begleiter. Ich habe mir feste vorgenommen, wenn meine Kinder aus dem „Sandbuddelalter“ heraus sind, gestalte ich meine Urlaube. Ich liebe interessante Städte, fremde Kulturen und kulinarische landestypische Spezialitäten. Als Mutter von zwei Lufthansa-„Fliegern“ eröffneten sich ungeahnte Möglichkeiten, meine Wünsche zu erfüllen. Ich besuchte unter anderem Indien, Seoul, Pakistan, mehrere Städte in Amerika, Asien und gönnte mir die Vielseitigkeit einer Kreuzfahrt. Mein Freund hat mir in den letzten Jahren seine Heimat Bayern intensiv näher gebracht. Ich habe erfahren wie gemütlich es ist, auf einer Alm frische Buttermilch zu trinken, die Landschaft zu genießen ... und sandbuddelnden Kindern zuzuschauen.
"Es gibt soviel zu entdecken"
Die mittlere Generation: Kerstin Hofbauer, selbständige Reiseberaterin, 38 J.:
Durch meinen Beruf erfülle ich täglich Reiseträume von Familien. Ob nah oder fern ist dabei eigentlich ganz egal. Es gibt überall so viel zu entdecken. Aber die Welt ist erreichbar geworden. Unser Münchner Flughafen ist quasi das Tor in die ganze Welt. Wir persönlich fahren eigentlich nie zweimal an einen Ort, denn es gibt so viel zu entdecken. Früher bin ich beruflich und privat sehr viel und weit gereist. Seit die Kinder da sind, reisen wir wieder mehr in Europa. Viele meiner Kunden aber nutzen zum Beispiel die Partnermonate in der Elternzeit auch, um mit Ihren Kindern die weite Welt zu entdecken und eine Auszeit zu nehmen. Im Wohnmobil durch Australien oder Insel-Hopping im Indischen Ozean – mit guter Planung und den finanziellen Mitteln ist heute alles möglich. Das Wichtigste und Schönste am Reisen ist für mich, andere Kulturen kennen und akzeptieren zu lernen. Gerade jetzt, wo wir in Deutschland auch immer mehr in einer Multikulti-Gesellschaft leben, schafft das Toleranz und Verständnis. Besonders nach einer Reise außerhalb Europas freue ich mich immer wieder sehr auf zu Hause, auf Deutschland und auf München. Man lernt den Luxus, in dem wir hier leben, wieder viel mehr zu schätzen. Auch wenn es hier leider keine Palmen gibt – dafür aber die schönsten Biergärten der Welt.
"Die Reiseleitung heißt Smartphone"
Die junge Generation: Nathalie Kraus, Channel Account Manager, 25 J.:
Unser nächster Urlaub beginnt in Kürze. Wohin mein Freund und ich reisen werden, das wissen wir noch nicht. Fest steht: Sonne und Strand. In der heutigen Zeit ist es kein Problem, nur Tage vorher einen Flug auch in ferne Länder zu buchen – vorausgesetzt es sind keine Impfungen oder langwierige Visaverfahren notwendig. Die Reiseleitung heute heißt „Smartphone“. Egal, ob Hotel, Restaurant, Mietwagen, Bordkarte, Reiseführer oder Fotoapparat – mit dem Handy können wir alles organisieren. Die Welt ist klein geworden, weil man schnell überall hinkommen kann und wenn man die Augen offen hält – auch billig. Vergangenes Jahr sind wir zum Beispiel für 180 Euro pro Person nach New York und zurück geflogen. Bei unseren Reisen ist der Laptop immer dabei. Wir können überall auf der Welt arbeiten. Voraussetzung: Es gibt Internet. Dadurch kann der Urlaub ruhig auch mal länger sein. Im Gegensatz zu meinen Eltern, hört die Arbeit für mich auch im Urlaub nie auf. Früher ist man in den Urlaub gefahren und war zu 100 Prozent im Urlaub. Ob das gut oder schlecht ist, muss jeder für sich entscheiden. Ich nehme das gerne in Kauf, um länger andere Kulturen kennenlernen zu können.
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