"Wir müssen unsere Lobby selbst machen"
Ingeborg Staudenmeyer will Veränderungen bei der Seniorenbeiratswahl
Der Münchner Seniorenbeirat tritt für die Interessen von mehr als 300.000 Bürger über 60 Jahre in Gesellschaft und Politik ein. Noch in diesem Jahr wird der Beirat neu gewählt. Jeder Senior kann mitmachen und als Kandidat in seinem Viertel zur Wahl antreten. Bewerber können sich jetzt melden. Ingeborg Staudenmeyer ist seit 2013 Vorsitzende des Seniorenbeirats und erklärte im Gespräch mit Johannes Beetz, was sie und ihre Mitstreiter in dem Beirat für ihre Mitbürger bewegen können.
"Der Beirat ist wichtig"
Der Anteil der Senioren an der Bevölkerung steigt in München stetig, sie sind auf allen Ebenen der Stadtgesellschaft ein erfahrener und entscheidender Teil. Trotzdem beteiligten sich an den Wahlen zum Seniorenbeirat in der Vergangenheit relativ wenige Menschen. Fehlt den Senioren das Bewusstsein für ihre "Macht"?
Ingeborg Staudenmeyer: Ja, das fehlt. Ich sage immer: Wir Senioren haben keine Lobby. Wir müssen sie uns selbst machen. Je mehr Leute zur Wahl gehen, umso stärker wird diese Lobby. Wir vom Seniorenbeirat stellen uns und unsere Arbeit in den Vierteln vor, zum Beispiel bei der Volkshochschule oder den Wohlfahrtsverbänden. Damit zeigen wir den Menschen, dass der Seniorenbeirat wichtig ist.
An der letzten Wahl haben sich allerdings immerhin 20,3 Prozent der Wahlberechtigten beteiligt. Das waren weit mehr als beim Ausländerbeirat. Und man kann jetzt schon überlegen, ob man bei der kommenden Wahl selbst kandidieren will.
Bei der letzten Wahl wurde nach einem neuen System abgestimmt. Wie bei der Kommunalwahl kann jeder mehrere Stimmen unter den Kandidaten vergeben. Ist die Wahl damit persönlicher - und attraktiver für den Wähler - geworden?
Ingeborg Staudenmeyer: Eigentlich nicht. Das Verfahren hat nichts an der Beteiligung verändert.
"Er muss hilfsbereit sein - mehr nicht"
In einigen Stadtvierteln haben sich beim letzten Mal nicht genug Kandidaten für die bei der Wahl zu vergebenden Plätze gefunden. Welche Voraussetzungen muss ein Kandidat mitbringen, um die Senioren in seinem Viertel zu vertreten?
Ingeborg Staudenmeyer: Die Wahl führt ja das Sozialreferat der Stadt durch. Das hält sich an eine strikte Vorgehensweise, die wie eine Beschlussvorlage sehr trocken ist. Da kommt sehr wenig herüber, damit locken Sie niemanden. Deswegen werden wir es diesmal anders machen, wir nehmen uns neue Möglichkeiten. Die neuen Kandidaten gibt es ja noch nicht, die können sich noch nicht vorstellen. Aber alle Seniorenbeiräte stellen schon jetzt in den Vierteln die Institution Seniorenbeirat vor. Wir wollen den Senioren vor Ort zeigen, was der Seniorenbeirat macht.
Um Seniorenvertreter zu sein, braucht man kein Abitur und kein Studium. Ein Kandidat sollte sich in seinem Viertel gut auskennen und am besten ein bisschen vernetzt sein, denn dann tut er sich leichter. Er muss sich engagieren wollen, da sein und hilfsbereit sein. Das ist alles.
"Wir haben das in die Hand genommen"
Als sich bei der letzten Wahl die Kandidaten vorstellen konnten, hatte die Abstimmung zum Teil schon begonnen. Das war für viele Senioren nicht verständlich. Wird es heuer einen anderen Zeitplan geben?
Ingeborg Staudenmeyer: Wir sind darin interessiert, die Kandidaten früh bekannt zu machen. Die Leute sollen zuhause ihren Briefwahlumschlag nicht wegwerfen! Mir machen jetzt schon Power und wenn die Kandidaten feststehen, haben wir von Juli bis Oktober Zeit, sie vorzustellen. Keiner wird hinterher sagen können, er habe die Kandidaten nicht gekannt. Das wird der Unterschied zu früher!
Das Sozialreferat hat früher nur einen einzigen zentralen Vorstellungstermin in jedem Viertel gemacht. Im ASZ Neuhausen-Nymphenburg passen gerade einmal 25 oder 30 Leute in den Raum - ich habe aber 21.000 Senioren im Stadtteil. Da kommt nicht sehr viel dabei heraus.
Ich muss doch in die Kirchen, die Altenclubs und die Wohnheime in jedem Viertel gehen, um die Kandidaten vorzustellen. Wir sind überparteilich, müssen aber dennoch Wahlkampf machen. Das haben wir jetzt in die Hand genommen, da ändert sich etwas!
"Wir haben einiges angestoßen"
Welche Dinge konnte der Seniorenbeirat in den letzten Jahren bewegen? Welcher ist in Ihren Augen der wichtigste Erfolg des Gremiums?
Ingeborg Staudenmeyer: Wir haben einiges angestoßen, zum Beispiel beim MVV-Neun-Uhr-Ticket. Dass das Seniorenticket erst ab neun Uhr gilt, ist eine Diskriminierung der Älteren. Diese Einschränkung aufzuheben und die Altersgrenze für das Ticket auf ein realistisches Rentenalter zu erhöhen, würde keine Millionen-Kosten verursachen. Wir sind sehr dahinter her und unsere Erfolgschancen stehen nicht schlecht.
Wir setzen uns auch für den Wohnungstausch bei städtischen Wohnungsgesellschaften ein. Wenn Ältere im vierten oder fünften Stock wohnen und in den unteren Etagen etwas frei wird, muss ein Tausch leichter möglich sein. Das darf nicht als Neuvermietung gewertet werden, sondern man muss seine bisherige Quadratmetermiete beibehalten können. Die Wohnungsgesellschaften sollten bei solchen Umzügen helfen.
Ein großes Thema ist daneben die Notfallversorgung in den Kliniken. Die ist für Ältere, aber auch für Kinder in manchen Vierteln ein Problem. Im Notfall darf ich doch nicht erst durch die halbe Stadt fahren müssen, bis ich Hilfe bekomme!
Auch die Grundsicherung in München muss man erhöhen, die ist hier zu niedrig angesetzt. Mich ärgert, wenn ich mir Stadtrat, Landtag und Bundestag ansehe: Da sitzen doch auch Senioren drin, aber denen geht es zu gut, die kümmern sich um vieles nicht.
Wir wollen vieles ein bisschen besser machen. Wichtig ist ja alles - und wenn es noch so "klein" ist. Für den, für den wir etwas erreicht haben, ist das "Kleine" wichtig - sonst würde er ja nicht zu uns kommen.
"Probleme können nicht warten"
Neben der Seniorenvertretung gibt es in fast allen Stadtteilen auch noch die Seniorenbeauftragten der Bezirksausschüsse. Sind das nicht zu viele Gremien und Funktionsträger, die miteinander konkurrieren?
Ingeborg Staudenmeyer: Nein. Die Beauftragten der Bezirksausschüsse haben ihren Titel - mehr nicht. Sie können viertelbezogene Dinge wie Verkehrsangelegenheiten in den Bezirksausschuss einbringen. Aber Senioren, die in einer sozialen Notlage sind, kommen nicht in den Bezirksausschuss, der kann da nichts tun. Wir können auch nicht immer helfen, aber wir können die Menschen mit Rat und Tat unterstützen. Der Seniorenbeirat bietet Beratungen zu Renten und anderen Themen an, wir haben jeden Dienstag und Donnerstag Sprechstunden. Bei einem Problem kann man ja nicht immer warten, bis der Bezirksausschuss einmal im Monat tagt. Zu uns können die Senioren immer kommen - jeden Tag.
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