"Wir müssen den Klimaschutz auch als Chance begreifen"
Thorsten Glauber über Schicksalhaftes und Grundsätzliches, Schwung und Schlummern, Apfel und Avocado
"Der Klimawandel ist längst in Bayern angekommen – er ist spür- und messbar", unterstreicht das bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz. Seit drei Jahren leitet Thorsten Glauber (Freie Wähler) dieses Regierungsressort. Der Minister beantwortete Fragen von Johannes Beetz zu Nachhaltigkeit und Umweltschutz.
"Hier wird Großes geleistet"
Bayern war das erste Bundesland, das sich ein eigenes Umweltministerium gab. Das war bereits 1970, also vor über 50 Jahren. Welches sind für Sie die drei wichtigsten Dinge und Erfolge, die Ihr Haus seither anstoßen konnte?
Thorsten Glauber: Das Umweltministerium ist seit mehr als 50 Jahren die Werbeagentur für Bayerns Umwelt. Hier wird und wurde Großes geleistet. Meilensteine für den Naturschutz sind mit Sicherheit die Gründung der ersten beiden deutschen Nationalparke im Bayerischen Wald und in Berchtesgaden sowie der Erlass des Alpenplans in den Siebziger Jahren.
Heute sehe ich drei große Existenzthemen: Klimawandel meistern, Artenvielfalt erhalten und Wasserversorgung sichern. Diese sind in einer schicksalhaften Wechselwirkung miteinander verknüpft.
"Es ist wichtig, den Jugendlichen zuzuhören"
Mit Fridays for Future hat die junge Generation Klimaschutz und Nachhaltigkeit weit nach oben auf unsere To-Do-Listen gebracht. Solche Bewegungen können den Finger in die Wunde legen und auf Herausforderungen aufmerksam machen. Um konkrete Maßnahmen umzusetzen braucht es aber politische Prozesse und geordnete Verfahren. Welche Bedeutung messen Sie FFF bei?
Thorsten Glauber: Klimaschutz ist eine Generationenaufgabe. Das ausdauernde und sichtbare Engagement der jungen Menschen auf Deutschlands Straßen spricht eine deutliche Sprache: Das Thema brennt ihnen auf den Nägeln. Deshalb habe ich gleich zu Beginn meiner Amtszeit Jugendklimakonferenzen veranstaltet. Es ist wichtig, den Jugendlichen zuzuhören und mit ihnen über ihre Ideen, Wünsche und Ziele zu diskutieren. Der Klimawandel ist Fakt. Deshalb dürfen wir keine Zeit verlieren: Wir müssen die Weichen für eine klimasichere Zukunft stellen. Der Dialog mit der Jugend ist dafür ein wichtiger Beitrag.
"Einfach mal radeln statt Auto fahren"
Auch für die ältere Generation ist Umweltschutz ja kein Fremdwort. Sie hat große Bedrohungen – Stichwort Waldsterben, saurer Regen, Ozonloch – in den Griff bekommen. Sie hat Techniken effizienter gemacht, so dass weniger Energie verbraucht wird. Und sie hat viel weniger Ressourcen für ihre Bequemlichkeit – z.B. mit sozialen Medien, Streamingdiensten oder auch dem explodierenden Lieferverkehr – verschwendet. Welche Generation hat bei Klimaschutz und Nachhaltigkeit die Nase vorn?
Thorsten Glauber: Klimaschutz und Nachhaltigkeit gehen uns alle an. Nur gemeinsam können wir diese Herausforderungen bewältigen. Ich halte nichts davon, Generationen gegeneinander auszuspielen. Wichtig ist, dass wir jetzt handeln. Der aktuelle Klima-Report 2021 zeigt, dass im schlimmsten Fall in Bayern bis zum Jahr 2100 ein Temperaturanstieg von 4,8 Grad Celsius möglich ist. Jeder kann klimafreundliches Handeln in seinem Alltag leben: Apfel statt Avocado beim Einkaufen oder einfach auch mal radeln statt Auto fahren. Das ist gut für die eigene Gesundheit und für die Umwelt.
"Investitionen lohnen sich doppelt"
Wirksamer Klimaschutz lässt sich nur global verbessern. Können wir im kleinen Freistaat dazu überhaupt wirksam beitragen? Bayern stellt ja nur 0,16 % der Weltbevölkerung.
Thorsten Glauber: Bayern will beim Klimaschutz vorangehen. Wir haben ehrgeizige Ziele: Bayern soll bereits 2040 klimaneutral sein. Als High-Tech-Land haben wir hier eine Vorbildfunktion. Wir können Klimaschutz. Und wir müssen den Klimaschutz auch als Chance begreifen. Investitionen in den Klimaschutz lohnen sich doppelt. Sie schonen unsere Ressourcen und bieten neue Chancen für unsere Wirtschaft. Bayerische und deutsche Klimaschutz-Technologie soll zum Exportschlager werden und so weltweit zu erfolgreichem Klimaschutz beitragen.
"Den Umgang mit Plastik grundsätzlich überdenken"
Mülltrennung ist ein wirksamer Beitrag, um Ressourcen zu schützen. Beim Papier funktioniert das Recycling seit Jahrzehnten hervorragend, beim Glas auch. Warum läuft’s beim Plastik nicht so gut?
Thorsten Glauber: Unser Ziel ist klar: Wir wollen die Berge von Konsummüll in unseren Städten abbauen. Wir müssen den Umgang mit Plastik grundsätzlich überdenken. Jedes Plastikteil, das wir einsparen, kann nicht in der Natur landen. Produkte aus Kunststoff haben einen entscheidenden Nachteil für die Umwelt: Sie sind äußerst haltbar und werden nicht abgebaut. Daher ist es besonders wichtig, den Einsatz von Plastik zu reduzieren und auf Alternativen zu setzen. Wir müssen unsere Ressourcen nachhaltig nutzen und hier Innovationen anstoßen. Plastikmüll schädigt nicht nur die Umwelt, sondern hat auch Konsequenzen für unser Klima. Wir wollen die Menschen für das Thema sensibilisieren und zu einem bewussten Umgang mit Plastik aufrufen. Jeder einzelne kann einen wichtigen Beitrag leisten.
"Da schlummert noch enormes Potential"
Wir tun uns schwer, neue Ideen zügig umzusetzen: Wir wollen mehr E-Mobilität, haben aber viele unterschiedliche Ladesysteme – und davon zu wenig. Wir wollen regenerative Energien nutzen, aber keinesfalls Windräder oder gar Überlandleitungen in unserer Nachbarschaft sehen. Wir Bürger werfen der Politik zu lange Entscheidungs- und Planungsprozesse vor. Aber sind wir Bürger bei all diesen Baustellen nicht auch zu oft zu unbeweglich?
Thorsten Glauber: Den Klimawandel können wir nur gemeinsam meistern. Wir brauchen die Menschen, um bei diesem Mega-Thema erfolgreich sein zu können. Gerade bei der Energiewende brauchen wir das Engagement der Menschen vor Ort. Es gibt viele Dächer in Bayern und die Sonne stellt uns keine Rechnung. Da schlummert im Sonnenland Bayern noch enormes Potential. Ich will zudem der Windenergie neuen Schwung geben. Mein Ziel ist ein substanzieller Ausbau der Windkraft bürgerverträglichen im Schulterschluss mit den Beteiligten vor Ort. Wir müssen die Akzeptanz bei der Windkraft weiter steigern. Erneuerbare Energien sind gleichzeitig ein wichtiger regionaler Wirtschaftsfaktor. Wir alle werden davon profitieren.
"Wir setzen auf Fortschritt statt auf Verbote"
Energiewende, Klimaschutz und Nachhaltigkeit muss man nicht nur wollen, sondern sich auch leisten können. Steigende Energiepreise treffen jene besonders hart, die ohnehin schon mit jedem Cent rechnen müssen. Wie schaffen wir es, Klimaschutz und Nachhaltigkeit sozialverträglich umzusetzen? Und wie bringen Sie Ökonomie und Ökologie in einem wirtschaftlich starken „Technik-Land“ wie Bayern zusammen?
Thorsten Glauber: Ökonomie und Ökologie sind lassen sich gut vereinen. Sie hängen positiv voneinander ab und ergänzen sich. Ohne eine starke Wirtschaft gibt es keine Nachhaltigkeit. Und ohne Nachhaltigkeit ist auf Dauer kein wirtschaftlicher Erfolg mehr zu erzielen. Im Gegenteil: Besonders der Klimaschutz ist ein echter Wachstumstreiber der Zukunft. Wir gehen beim Klimaschutz den Weg der Vernunft. Das heißt: Wir setzen auf technischen Fortschritt statt auf Verbote. Klimaschutz kann das größte Konjunkturprogramm für unsere Wirtschaft sein. Investitionen in Technologien sichern langfristig Arbeitsplätze und Wachstum.
"Die Energiewende ist der richtige Weg"
Manch einer träumt angesichts der komplexen Energiewende von der Wiederkehr einer „sauberen“ Atomenergie. Sie auch?
Thorsten Glauber: Fukushima zeigt klar: Die Energiewende ist der richtige Weg. Ich stehe hinter dem Ausstieg aus der Kernenergie. An den gesetzlichen Abschaltzeitpunkten wird nicht gerüttelt. Jetzt kommt es darauf an, die Energiewende weiter erfolgreich zu gestalten. Die Energiewende ist die Basis für einen erfolgreichen Klimaschutz. Wir müssen den Klimaschutz mit den Menschen in die Fläche bekommen. Dabei spielen die natürlichen Ressourcen wie Sonne, Wind und Wasser eine zentrale Rolle.
"Klimaschutz ist ein Mitmach-Projekt"
Jeder kann seinen Alltag ein bisschen nachhaltiger machen – mit dem Rad oder dem ÖPNV zur Arbeit fahren, Müll richtig trennen, Verpackungen einsparen. Welche Dinge für mehr Nachhaltigkeit tun Sie oder Ihre Mitarbeiter im Alltag, die jeder unserer Leser auch tun kann?
Thorsten Glauber: Klimaschutz ist ein Mitmach-Projekt. Wir wollen den Klimaschutz in der Mitte der Gesellschaft verankern. Jeder kann einen Beitrag leisten, unsere Umwelt zu schützen und den Klimawandel zu stoppen. Jeder kann ganz einfach in seinem Alltag nachhaltig handeln und damit Treibhausgase einsparen. Es gibt viele Möglichkeiten, etwas für die Umwelt zu bewegen. Regionale Lebensmittel und die damit verbundenen kurzen Transportwege sorgen für eine gute CO2-Bilanz. Wer Kleidung und Möbel wiederverwendet, Leitungswasser trinkt und Plastik vermeidet, kann Treibhausgase reduzieren. Ich persönlich setze auf alternative Antriebe. Und wenn immer es möglich ist, lasse ich das Auto in der Garage und schwinge mich auf das Fahrrad. Zudem setze ich auf die Wertschöpfung vor Ort und kaufe Lebensmittel am liebsten regional und saisonal ein. Wir müssen alle zusammenhelfen, um die Folgen des Klimawandels abzuschwächen.
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