"Wer lächelt statt zu schreien, ist immer der Stärkere"
Sind Höflichkeit und Benehmen heute noch gefragt?
Der Schenk von Limpurg im Codex Manesse (vor 700 Jahren gemalt): Der im Aufbruch befindliche Ritter empfängt kniend aus der Hand seiner Dame seinen geschmückten Helm. Für Walther von der Vogelweide ist die hier zum Ausdruck gebrachte "ritterliche Ehre" (gemeint ist damit, Umgangsregeln zu respektieren und sich zu benehmen wissen), eines von nur drei Dingen, die dem Menschen zum Glück verhelfen können. (Foto: Universitätsbibliothek Heidelberg)
Es war eine illustere Runde, die im „Klostergasthof“ in Andechs zusammengekommen war, um bei einem gemütlichen Frühstück und prachtvollen Wetter darüber zu diskutieren, ob Höflichkeit und Benehmen heute überhaupt noch gefragt sind beziehungsweise einen voranbringen können.
Drei Zitate belegten gleich zu Beginn verschiedene Ansichten über Höflichkeit: „Höflichkeit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr“ (Sprichwort), „Mit dem Hute in der Hand kommt man durch das ganze Land“ (Johann Nepomuk Vogl) und „Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist“ (Johann Wolfgang Goethe). Was stimmt nun? Kommt man weiter ohne die Höflichkeit ? Macht sie das Leben leichter? Oder ist sie heutzutage angesichts von Social Media und schneller Kommunikation tatsächlich überflüssig, ja sogar hinderlich geworden?
Franz Deutsch findet den richtigen Umgang mit der Höflichkeit tatsächlich schwierig: „Nehmen wir nur den SMS-Verkehr oder die anderen modernen Kommunikationsmittel, da gibt es zum Beispiel gar keine Anrede mehr, nur noch Kürzel. Mir stoßen auch viele Rhetorikkurse auf, wo es heißt, man solle möglichst oft die Floskel ‚gerne‘ und andere solche Worte einarbeiten. Aber prinzipiell finde ich es richtig, dass die Formen, gerade auch Anreden gewahrt werden. Das ist einfach der gute Ton, der zur Musik gehört.“
Klar in der Sache, charmant im Ton
Auch Julia Sterzer findet Höflichkeit und Benehmen „sehr wichtig“, räumt aber ein, dass auch ihr aufgefallen sei, wie oft gerade auch Politiker und andere rhetorisch geschulte Personen solche Höflichkeitsfloskeln, wie von Deutsch angesprochen, gezielt in ihre Reden einzustreuen ohne wirklich hinter dieser vermeintlichen Höflichkeit zu stehen. „Für mich bedeutet Höflichkeit ganz einfach, sich so zu verhalten, dass es auch für den anderen gut ist“, sagt sie. Das habe auch sehr viel mit Rücksichtnahme zu tun. Dennoch könne man auch unangenehme Rückmeldungen geben und komme oft auch gar nicht drum herum das zu tun, dann aber: „Klar in der Sache, charmant im Ton“, empfiehlt sie und sie weiß: „Gerade in der Funktion als Vorgesetzter ist das sehr wichtig.“ Zur Höflichkeit und Rücksichtnahme gehöre es unbedingt auch, Mitarbeiter nicht vor anderen zu kritisieren, sondern dies „unter vier Augen“ zu tun. „Vor anderen geht das meiner Meinung nach gar nicht.“ Eine weitere Art mangelnder Höflichkeit, sei die zunehmende Tendenz, auf jedwede Einladung prophylaktisch und daher unbedacht erst einmal zuzusagen und dann oft nicht rechtzeitig oder gar nicht abzusagen. „Das ist absolut unhöflich, kommt aber heute leider immer öfter vor“, klagt Sterzer. „Schließlich kalkuliert der Gastgeber ja mit der Anzahl der Gäste, bereitet eventuell Büfett und Getränke entsprechend vor und bleibt dann darauf sitzen."
Die vier wichtigsten Wörter
Ähnlich sieht es Christian Schiller. Er findet: „Das Miteinander ist ein Ausdruck unserer Kultur.“ Er stammt aus einem, wie er selbst sagt, „sehr strengen“ Elternhaus und sei dankbar, gelernt zu haben, die seiner Meinung nach vier wichtigsten Wörter zum richtigen Zeitpunkt zu sagen, nämlich: „Grüß Gott, bitte, danke und Auf Wiedersehen.“ Und diese Worte solle man möglichst auch in den Sprachen der Länder beherrschen, die man bereist. „Wenn man das beherrscht, kommt man eigentlich ohne größere Schwierigkeiten durch fast jedes Land.“ Christian Schiller findet es auch wichtig, „dass wir diese Werte unserer Kultur in der Kommunikation weitergeben und sie selber auch vorleben.“ Er hält es daher eher mit Johann Nepomuk Vogl und meint: „In der Regel kommt man weiter, wenn man Höflichkeit und Benimmregeln praktiziert .“ Auf dem Land drücke sich, vor allem bei älteren Mitbürgern, Höflichkeit und Respekt oft dadurch aus, dass man dem Namen des Angesprochenen dessen Titel voranstelle oder nur den Titel beziehungsweise dessen Amtsposition als Anrede gebrauche, also etwa der „Herr Lehrer Müller“, der „Herr Pfarrer“ oder der „Herr Bürgermeister“.
Auch Kristina Frank bedauert, dass gerade in Zeiten von Social Media die eine oder andere Höflichkeit „unter den Tisch fällt“. Da werde eben alles nur sehr komprimiert dargestellt, weil nur eine begrenzte Anzahl von Zeichen zur Verfügung stehe. Da müssten gewisse Höflichkeitsformen einfach wegfallen, weil sonst nicht genug Zeichen für die eigentliche Botschaft mehr bleibe. Was die Anrede mit Titeln oder Positionen betrifft, so stellt sie hier kein besonderes Stadt-Land-Gefälle fest. „Das gibt es bei uns in der Stadt schon oft auch“, erklärt sie. Doch es gibt etwas ganz anderes, das ihr vor allem in den letzten Jahren bitter aufstoße: „Was ich leider feststelle ist, dass die Debattenkultur stark gelitten hat. Nehmen wir da etwa nur die Höflichkeit, einander ausreden zu lassen.“
Höflichkeit und Macht
„Ein ganz weites Feld“ ist das Thema „Höflichkeit“ für Andreas Wolf. Und er ist überzeugt davon, dass „Höflichkeit kontextabhängig ist“. Was die sozialen Netzwerke betrifft, ist er nicht verwundert: Aus den schon geschilderten Umständen sei dort die Höflichkeit sehr reduziert. Höflichkeit, meint er, sei oft mit einer Geste verbunden – und die brauche Raum und Zeit. „Nehmen wir beispielsweise einen Händedruck, der ganz verschieden ausfallen kann, oder ein freundschaftliches oder mitfühlendes Schulterklopfen.“ Das habe unter Umständen mit dem Status zu tun. „Höflichkeit hat also auch etwas mit Macht zu tun, ist durchaus auch eine Frage der sozialen Stellung.“ So sei der gesellschaftlich niedriger eingeschätzte Gesprächspartner oft eher höflich und zurückhaltend, während der Höhergestellt sich hier und da gönnerhaft verhalte. Ganz besonders gelte das zum Beispiel, wenn der eine etwas vom anderen wolle.
"Man bekommt man den Spiegel vorgehalten"
Die Höflichkeit und Rücksichtnahme fängt früh an, nämlich bereits bei Kindern. Kristina Frank: „Man ist als Eltern unglaublich stolz, wenn man sieht, dass das eigene Kind die Höflichkeitsregeln einhält. Sich etwa bedankt oder freundlich bitte sagt, wenn es etwas haben möchte. Man freut sich darüber.“ Gerade aber weil man Kindern Höflichkeit vorleben solle, passiere es unter Umständen schon mal, dass man selbst manchmal „ein Wort benutzt, von dem man nicht möchte, dass es das Kind benutzt – natürlich passiert dann aber genau das. Und so bekommt man den Spiegel vorgehalten.“ Und ganz wichtig für sie: auch Kinder können berechtigt zurechtweisen. „Wenn ich meinen Kindern predige, sie sollen auf dem Radweg fahren, wenn einer vorhanden ist, und ich tue es dann selbst nicht, dann muss ich mir schon gefallen lassen, wenn sie zu mir sagen: ‚Mama, du sollst auf dem Radweg fahren!‘“, lacht sie.
Die Hierarchie der Straße
Eine interessante These in Sachen Höflichkeit, die auf Zustimmung traf, stellte Andreas Wolf auf: „Es gibt keinen Ort, wo größere Unhöflichkeit herrscht, als im Straßenverkehr.“ Das Recht auf Vorfahrt werde oft gnadenlos und ohne Rücksicht durchgesetzt, auch wenn ein Verzicht ratsam erscheine. Kristina Frank bestätigt, dass gerade hier die Aggressivität besonders hoch sei. Hier herrsche Krieg, resümiert Franz Deutsch. Das stärkere Auto beziehungsweise dessen Fahrer beansprucht die Vorfahrt quasi „per Herstellermarke“. „Da fliegen mittlerweile schärfste Beleidigungen durch die Gegend“, sagt Kristina Frank. In solchen Situationen, rät sie, solle man durchaus mal zurückstecken. Sie erinnert sich dabei an einen Spruch, den ihre Mutter ihr ins Poesiealbum geschrieben habe: „Wer lächelt statt zu schreien, ist immer der Stärkere!“ Mit Sicherheit ein Satz, den man so stehen lassen kann.
"Ich bereue keine Sekunde"
So zogen denn die Gesprächsteilnehmer jeder für sich ein Fazit aus der Runde.
Franz Deutsch: „Es war schön und interessant, neue Leute kennenzulernen, es war interessant und ich habe Meinungen gehört, die für mich alle nachvollziehbar waren.“
Julia Sterzer: „Es war eine sehr gelungene und spannende Diskussionsrunde. Ich könnte noch stundenlang weitermachen. Da sind Sachen angestoßen worden, wo ich mir sage: da muss man echt noch mal drüber nachdenken.“
Neugier war es, die Christian Schiller veranlasst hatte, die Einladung anzunehmen. „Jetzt finde ich es schade, dass die Zeit schon rum ist. Ich bereue keine Sekunde, die ich hier gewesen bin.“
Eine gelöste und angenehme Atmosphäre bescheinigte Kristina Frank der Runde. "Es war von den Teilnehmern her sehr unterschiedlich, was es spannend gemacht hat, weil sich nicht alle nur gegenseitig auf die Schulter geklopft haben. Vielleicht gibt es ja mal eine Runde 2?“
Sehr inspirierend fand Andreas Wolf das Gespräch. „Ich finde das Thema super. Die Atmosphäre war geprägt von Höflichkeit und Respekt. Leider war bei der Größe des Themas viel zu wenig Zeit.“
Die Sommerfrage: Auf welche Höflichkeit möchten Sie nicht verzichten?
Franz Deutsch: „Auf Ehrlichkeit in beide Richtungen.“
Julia Sterzer: „Den anderen wahrzunehmen und ihn somit wirklich zu sehen und umgekehrt.“
Christian Schiller: „Mir ist der persönliche Kontakt wichtig. Sich dabei in die Augen zu schauen und klare Worte zu sprechen. Und sich somit gegenseitig zu respektieren.
Kristina Frank: „Ich halte es mit dem Sprichwort: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“
Andreas Wolf: „Den Menschen als Ganzes wahrzunehmen.“
Unsere Gäste
Bei unserem Sommergespräch diskutierten:
Franz Deutsch, Vorstand Musikwerkstatt Jugend und Neue Philharmonie München
Kristina Frank, Kommunalreferentin München und Oberbürgermeister-Kandidatin (CSU)
Christian Schiller, Bürgermeister Herrsching
Julia Sterzer, Geschäftsführerin AWO München Stadt
Andreas Wolf, fastfood theater
Respekt zeigen
Respekt meint nichts anderes als guten Willen: Aushalten, dass es andere Bewertungen und Erfahrungen neben den eigenen gibt. Die unmittelbare Folge daraus ist, Mitgefühl empfinden zu können. Jedes familiäre, jedes soziale und politische Problem lässt sich durch das Maß an Mitgefühl definieren, das wir füreinander aufbringen oder eben nicht. Welchen Menschen und Einrichtungen, welchen Leistungen, Fähigkeiten und Tätigkeiten begegnen wir mit Respekt?
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