"Meine einzige Angst war, dass ..."
Dietmar Prell ist seit bald einem halben Jahrhundert Nikolaus
Dietmar Prell ist Nikolaus - seit 49 Jahren. Heute kommt er manchmal in Familien, bei denen er schon die Eltern besucht hat, als die selbst noch Kinder und gespannter Erwartung waren. Angefangen hatte alles beim Arbeitsamt - das suchte für den Studentenschnelldienst in den 70er Jahren Nikoläuse. Prell erfüllte damals alle für nötig erachteten Eigenschaften, die ein Nikolaus haben muss: Er war groß, bayerisch, "pädagogisch".
Prell sieht den Nikolaus als Freund und Anwalt der Kinder. So schulte er bald seine Kollegen im Nikolaus-Diemst des Arbeitsamtes: Die Kinder, sagt er, gehören in den Mittelpunkt. Für Arbeitsamt koordinierte er jahrelang gut 60 Nikoläuse und ihre 2.000 Auftritte in jedem Advent. 2007 stellte das Amt seinen Nikolaus-Dienst ein. Prell machte trotzdem weiter. Bis heute. Vor dem Nikolaus-Tag beantwortete er Fragen von Johannes Beetz:
"Besser im Loben als im Tadeln"
Für Kinder ist der Besuch des Nikolaus ein aufregender Abend. In seinem Buch ist ja oft auch die eine oder andere kleine Unartigkeit verzeichnet. Hatten Sie als Kind Angst vor ihm oder dem Krampus?
Dietmar Prell: Natürlich ist die Aufregung am Nikolausabend bei den Kindern sehr groß, da sie nicht wissen, wer und was auf sie zukommt. Im Vorgespräch mit den Eltern bitte ich um eine vorweihnachtliche Atmosphäre für den Nikolausbesuch zu schaffen (Fernseher aus, ohne Blitz fotografieren, Kerzen an, gemütliches Beisammensein mit Apfel, Nuss und Mandelkern). Ich selbst beginne bereits an der Wohnungstüre mit sonorer und freundlicher Stimme nach den braven Kindern zu fragen, um die Kinder zu entspannen. Mit Mitra bin ich 2,40 m groß, also setze ich mich auf den bereitgestellten Sessel zur Familie und beginne das Gespräch mit den Kindern (ob sie Angst haben, ob sie geschichtliches Wissen haben und dass der heilige Nikolaus besser im Loben als im Tadeln ist, anders als der Krampus). Ich beginne mit drei Mal loben und ende mit einem wichtigen Tadel. Ich lasse mir dann von dem Kind versprechen, dass es mindestens bis Weihnachten “brav” ist. Danach dürfen mir die Kinder etwas vortragen, vorsingen oder Gebasteltes zeigen. Spätestens ab der Bescherung strahlen die Kinderaugen regelmäßig.
Bis 1955 lebte ich in der Au und dort wurden Nikolause und speziell Krampusse von uns Kindern regelrecht gejagt, bedroht und mit Schneebällen beworfen. Meine einzige Angst war, dass am Nikolausvorabend der rausgestellte Schuh nicht gefüllt worden wäre.
Das Drama mit dem Lama
In fast einem halben Jahrhundert haben sie unzählige Familien besucht. An welches Nikolaus-Erlebnis erinnern Sie sich besonders gern?
Dietmar Prell: In einem großen Kaffee in Planegg sollte ich zur Überraschung der Kinder samt Buch, Sack, Stab auf einem Lama einreiten. Auf den nassen Fliesen im Eingangsbereich rutschte das Lama aus und lag platt am Boden und der Nikolaus noch oben drauf. Die vielen Kinder hatten nur Mitleid mit dem Lama und streichelten es liebevoll. Der Nikolaus war überhaupt nicht mehr wichtig und erst als das Lama wieder wohlbehalten stand, erinnerten sich die Kinder an die Geschenke. Das Drama mit dem Lama!
"Ich spreche gerne in ganzen Sätzen"
Der Nikolaus ist kein Weihnachtsmann. Wie stehen Sie zum Weihnachtsmann?
Dietmar Prell: Seit dem 3. Jahrhundert n. Chr., als Bischof Nikolaus in Myra (Kleinasien) tätig war, ist er Schutzpatron der Seefahrer und Bedrängten, heute eher “Freund oder Anwalt der Kinder”, weil er neben den Geschenken auch Ratschläge gibt.
Der Weihnachtsmann ist für mich ein norddeutscher Brauch. Der “Santa Claus “(roter Radler) ist eine amerikanische Erfindung von Coca Cola (hohoho). Ich spreche gerne in ganzen Sätzen.
"Als Nikolaus an Grenzen gestoßen"
Kinder sind sehr offen, da lässt sich bestimmt nicht immer absehen, wie ein Nikolausbesuch verläuft. Haben Kinder Sie einmal ganz aus dem Konzept gebracht?
Dietmar Prell: Seit Beginn meiner Nikolaustätigkeit hatte ich das Glück und später auch die Routine, den gesamten Ablauf gedanklich vorwegzunehmen. Die Bereitschaft der Kinder, “sich verzaubern zu lassen”, ist so groß, dass es mir immer gelungen ist, nach ein paar Minuten, bereits die Kinder um mich geschart zu haben oder sie fragten mich, ob sie sich auf meinen Schoß setzen dürften. Vorlaute, meist ältere Kinder, durften dann den Stab halten oder gleich etwas vortragen.
Ich erinnere mich an einen Auftritt in der Innenstadt, wo ich gebeten wurde, einen kostenlosen Auftritt in einem Heim für obdachlose, schwangere Frauen zu machen. Schnell merkte ich, dass meine flotten Sprüche und mein Lob und Tadel fehl am Platz waren. Als dann bei den Frauen jede Menge Tränen flossen, vermutlich in Erinnerung an eine glücklichere Kindheit, stimmte ich mit belegter Stimme vorweihnachtliche Lieder an, die wir gemeinsam sangen. Danach gab es für jede ein kleines Geschenk und ich merkte, dass ich als Nikolaus erstmalig an meine Grenzen gestoßen bin.
"Alles ist möglich"
Die Adventszeit ist oft alles andere als die "staade Zeit", die sie doch sein soll. Mit Ihren Besuchen nehmen Sie sich Zeit für Kinder und schenken Familien einen Moment des Innehaltens. Haben wir früher solche Traditionen des "sich füreinander Zeit nehmens" mehr geschätzt? Oder spüren Sie heute vielleicht sogar ein größeres Bedürfnis nach solchen kleinen "Auszeiten" in den Familien?
Dietmar Prell: Es gibt die nette bayerische Redensart "Wenn die staade Zeit amoi vorbei ist, kehren auch wieder ruhigere Zeiten ein ..." Ich glaube, dass die Art der Nikolausfeiern nicht von der Zeit, sondern vom familiären Hintergrund bestimmt wird. Vom “Nikolaus-Event” bis zur adventlichen Familienfeier ist alles möglich und es gilt sich darauf einzustellen und gegebenenfalls angemessen zu moderieren.
Ratschläge, Geschenke und Antworten geben
Mal ganz, ganz ehrlich: Gibt es den Nikolaus und das Christkind wirklich?
Dietmar Prell: Christkind (24.12.) war ich noch nie und kann deshalb auch nichts dazu sagen. Den Bischof Nikolaus gab es natürlich, seine Gebeine ruhen heute auf Bari. Der traditionelle Nikolaus besucht die Kinder, gibt ihnen Ratschläge, aber auch Geschenke. Wenn er das nicht macht, sitzt er beim Chefredakteur der Münchner Wochenanzeiger im Interview und versucht, schlaue Antworten zu geben.
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