"Langsam geht es nicht mehr"
Sommergespräch zum Thema Wohnen in München
Das Wohnen wird zum Luxusgut. Hohe Mieten, fehlende Wohnungen und ein ungebrochen hoher Zuzug nach München bereitet den Mietern Sorgen. Wenn es so weiter geht, droht eine Gentrifizierung. Das bedeutet, ärmere Bevölkerungsschichten müssen wegziehen, weil sie sich München nicht mehr leisten können. Die Wohnungen bleiben den Besserverdienenden. Aber es sind nicht nur die Mieter, die klagen. Die extrem gestiegenen Bodenpreise, die gestrichenen steuerlichen Subventionen und die wegen der Auflagen für Neubauten sowie wegen energetischen Sanierungen gestiegenen Immobilienpreise lassen auch die Eigentümer stöhnen. Angesichts dieses Dilemmas baten die Münchner Wochenanzeiger Beatrix Zurek, Vorsitzende des Mietervereins München, Rudolf Stürzer, Vorsitzender des Haus- und Grundbesitzervereins, Landtagskandidat Andreas Lotte, wohnungspolitischer Sprecher der SPD-Stadtratsfraktion und Helga Feder, Rentnerin und Mieterin gemeinsam an den Tisch, um die Situation kritisch zu beleuchten und über Lösungsmöglichkeiten aus der Wohnungsmisere zu diskutieren.
Als ehemalige Buchhalterin ist Helga Feder gewöhnt zu kalkulieren. In den letzten Jahren fällt es ihr aber immer schwerer über die Runden zu kommen, „dabei habe ich früher nicht schlecht verdient“. Der Grund ist die gestiegene Miete. Im Gegensatz dazu sei ihre Rente nur minimal gestiegen, liegt aber ein wenig über der Grenze für Wohngeld, das sie folglich nicht bekommt. „Am 2. Oktober gibt es wieder eine Mieterhöhung. Langsam geht es nicht mehr“, klagt sie. Um ein bisschen dazuzuverdienen, stellt sich Helga Feder auf den Flohmarkt. Ein Einzelfall ist Helga Feder nicht, bestätigten die Gesprächspartner.
Hohe Nebenkosten belasten
„Wir sehen das Problem der Rentner, die sich schwer tun die Wohnung zu halten“, stimmte Stürzer zu. Es seien allerdings lediglich vier Prozent der Mieter, die mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben müssten. „Der Durchschnitt liegt bei 23 Prozent“, sagte Stürzer. „Ein guter Wert, der auch nicht höher ist als in anderen Städten“. Bei der Diskussion um hohe Mieten werde häufig die Schuld den Vermietern in die Schuhe geschoben. Dabei seien die reinen Nettomieten in München weniger stark gestiegen als die Lebenshaltungskosten und Löhne. „Es sind die Nebenkosten, die so exorbitant gestiegen sind und das belastet Vermieter und Mieter gleichermaßen." In den letzten 20 Jahren seien beispielsweise die Gaskosten um 154 Prozent, Müllabfuhr und Strom um 60 Prozent gestiegen, wusste Stürzer. Thematisiert werde stets, dass sich der Mieter das Wohnen nicht mehr leisten könne, „aber der Eigentümer kann es auch nicht."
Die mittleren Einkommen haben Probleme
Es seien gar nicht die „ganz Armen“, die ein Problem hätten „und auch nicht die ganz Reichen“, hat Beatrix Zurek festgestellt. „Die einen bekommen eine Sozialwohnung und den anderen ist es egal. Es geht um die, die dazwischen liegen." Für diese Mittelklasse-Mieter fehle bezahlbarer Wohnraum. Andreas Lotte erinnerte in diesem Zusammenhang an die klassischen „Zinshäuser“ früherer Zeiten: „Da ging es dem Vermieter nicht um Rendite, sondern um ein einträgliches Auskommen." Man wohnte mit den Mietern unter einem Dach und lebte von den Einnahmen. „Heute gibt es den Investor“, konstatierte Lotte. Falls die Rendite zu schlecht sei, dann lasse der Bauherr energetisch sanieren, lege Kosten auf die Mieter um „oder er kalkuliert mit der Preissteigerung, versucht die alten Mieter loszuwerden und das Objekt teurer weiterzuverkaufen. "Doch wie kann man bezahlbaren Wohnraum, der gerecht auf alle aufgeteilt wird, bekommen?", wollten die Münchner Wochenanzeiger wissen.
Seit 15 Jahren werden zu wenig Mietwohnungen gebaut
Um den derzeitigen Wohnbedarf zu decken, müssten eigentlich mehrere tausend Wohnungen im Jahr zusätzlich gebaut werden. Warum seit 15 Jahren zu wenig Mietwohnungen gebaut werden, das begründete Stürzer folgendermaßen: „Schuld sind die hohen Baukosten." Dadurch seien die Renditen im Mietwohnungsbau drastisch gesunken, so dass sich Bauen „für den Investor nicht mehr lohnt." Auch werden die Vorschriften für Neubauten „jedes Jahr verschärft“.
Während die Förderungen im Wohnungsbau praktisch auf null gesunken seien, seien die Grundstückspreise geradezu explodiert. Stürzer forderte deswegen mehr Subventionen für Bauherren. „Ein Neubau geht nur über Förderung und nicht über Daumenschrauben für die Vermieter im Bau- und Steuerrecht." Dieser Argumentation wollte Zurek nur teilweise zustimmen. „Ich gebe Herrn Stürzer Recht, dass man sich im Bereich Wohnungsbau steuerlich zu wenig Gedanken gemacht hat. Aber das hält niemanden ab, eine Wohnung zu bauen."
Wer kann sich noch eine Eigentumswohnung leisten?
Das sah Lotte genauso: „Das Phänomen, das wir in München haben, ist, dass wir seit Jahren eine vergleichsweise geringe Rendite haben im Gegensatz zu anderen Immobilienmärkten in Deutschland." Das Kapital ströme trotzdem weiterhin nach München, „da wird alles gekauft, egal, was. Der Markt ist regelrecht leergefegt." Um sich eine Eigentumswohnung kaufen zu können, rät der Haus- und Grundbesitzerverein früh mit dem Sparen anzufangen, „dann muss man im Alter nur die Nebenkosten zahlen“. Für Zurek und Lotte war dies keine Option, schließlich sei es vielen Familien gar nicht möglich, Geld zu sparen. "Ich hätte mir das gar nicht leisten können", meinte auch Feder. „Auch bei normalen Einkommensverhältnissen kann man sich in München keine Eigentumswohnung leisten und die Möglichkeiten Geld zu sparen sind beschränkt, es sei denn man erbt“, so Lotte.
Den Anwesenden stellte er ein Modell vor, durch das auch „Normalbürger“ zu Eigentum kommen können. Wenn die Stadt Grundstücke verkauft, könnte man das an Bedingungen knüpfen. „Wir versuchen in München derzeit mit dem München Modell mehr bezahlbares Bauland für alle zu schaffen." Hier habe der Stadtrat die förderungsfähigen Einkommensgrenzen erhöht. „Über die Hälfte der Münchner Bevölkerung ist grundsätzlich förderfähig“, erklärte Lotte. Der geförderte Wohnungsbau sei äußerst attraktiv, „die Angebote sind immer sofort weg“. Die Stadt habe allerdings nur begrenzt Flächen zur Verfügung. „Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein“, gab Stürzer zu bedenken.
Massive Fehlbelegung bei Sozialwohnungen
Die derzeitige Wohnungsnot ist laut Stürzer der Tatsache geschuldet, dass „sehr viel Geld in den sozialen Wohnungsbau gesteckt wurde mit der Folge einer massiven Fehlbelegung." Viele Mieter, die sich eigentlich eine Wohnung auf dem Wohnungsmarkt leisten könnten, blockierten Sozialwohnungen, denn die Fehlbelegungsabgabe sei viel zu gering. „Besser wäre es, das Wohngeld für bedürftige Mieter massiv zu erhöhen." Diesen Vorschlag lehnte Zurek als „Vermieterförderung“ ab. Schließlich komme dabei das Geld nicht dem Mieter, sondern dem Vermieter zugute. Es wäre jedoch sinnvoll, die Fehlbelegungsabgabe „so zu erhöhen, dass es weh tut." Außerdem regte sie an, die Bodenpreise zu deckeln. Ein Vorschlag, den Stürzer vehement als „absolut verfassungswidrig“ zurückwies. „Das sind provokante Vorschläge aus der sozialistischen Schublade, denen wir uns gar nicht anschließen können“, meinte er.
Einig waren sich die Diskutanten, dass die Wohnungspolitik aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden müsse. „Das Thema muss man ganzheitlich sehen“, meinte Zurek. Wohnen habe mit Klimaschutz zu tun, mit Mietern und mit Bodenpreisen. So sollten in München beispielsweise die Bodenpreise reglementiert werden, es werde ein Wohngeld mit Heizkostenkomponente benötigt, der soziale Wohnungsbau und Wohnungsgenossenschaften sollten gleichermaßen gefördert werden.
Genossenschaften als Ansatz
Vor allem Wohnungsgenossenschaften („da ist man Eigentümer und Mieter gleichzeitig“) sind für Lotte ein wichtiger Ansatz. „Das Problem ist, dass die Genossenschaften in der Vergangenheit zu wenig Baugrund gekauft und bebaut haben. Es muss für sie wieder interessant werden zu bauen, um dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Ein weiterer Ansatz könnte sein, bei städtischen Grundstücken Bindungen vorzugeben. „Also gezielt Mietwohnungsbau vorzuschreiben. Wir haben schon Signale von Bauträgern bekommen, die hohes Interesse daran haben."
Wie geht es nun weiter? Stürzer befürchtet, dass sich die Situation auf dem Wohnungsmietmarkt sogar noch verschärfen könnte: „Wenn es der Staat nicht schafft, den Wohnbau attraktiv steuerlich zu fördern und wenn er weiterhin in das Mietrecht eingreift, dann werden die Mieten wirklich dramatisch steigen."
Zum Abschluss des Sommergesprächs gab es für die Teilnehmer noch eine spezielle Frage zu beantworten: „Sie haben die Aufgabe, 30 Schulkinder durch die Münchner Innenstadt zu führen. Mit welchem der Anwesenden könnten Sie sich das vorstellen?“
Helga Feder: „Ich würde den Herrn Lotte mitnehmen. Der ist ein sympathischer junger Mann".
Lotte: "Ich würde den Herrn Stürzer mitnehmen, weil ich ihm dann meine Seiten von München näherbringen könnte."Stürzer: "Ich würde mit allen gehen, dann bekämen die Kinder ein differenziertes Bild vermittelt".
Zurek: "Ich würde auch mit allen gehen, dann hätten wir die Chance uns genauso wie Kinder in einem Disput zu verlieren, da würden wir denen in nichts nachstehen."
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