"Es muss viel mehr reguliert werden"
Haben wir Respekt vor der Zukunft der nächsten Generation?
Viele junge Leute zeigen bei den "Fridays for future" ein überraschend großes Engagement. Etliche werfen den Alten vor, die Zukunft der Jungen vertan zu haben. Aber ist die junge Generation nicht auch die, die wie keine andere zuvor von all dem profitiert, was ihre Vorgänger erwirtschaftet haben? Und ist es nicht auch der oft bequeme Lebensstil gerade der Jungen, die wie keine andere Generation einen Ressourcen verbrauchenden Online-Handel, Handynutzung und globale Mobilität nutzt?
Bei unserem Sommergespräch im Biergarten des Gasthofs Widmann, dem „Oberen Wirt“, war sich die Runde einig, dass ein Umdenken erfolgen muss – und zwar nicht nur von jedem Einzelnen, sondern auch von der Politik. „Um tatsächlich etwas zu ändern, braucht es nicht alleine Freiwilligkeit, das geht nur mit politischer Regulierung, unterstützt von Politik“, so Juliana Daum. Viele Menschen würden sich für die Umwelt einsetzen, trotzdem habe sich die Klimabilanz nicht sehr verändert. „Es muss viel mehr reguliert werden. Man kann nicht einfach nur sagen 'ihr Verbraucher esst anders, kauft anders ein, bewegt euch anders'“, betonte Daum. Diejenigen, die engagiert und informiert sind, seien nämlich nur die Minderheit.
Diese Aussage unterstrich Solveig Tietz mit einem Vergleich. So habe ein Referent bei einem Vortrag Pappkartons gestapelt, zuerst große und dann am Schluss kleine Eierkartons. Dann habe er begonnen, umständlich die kleinen Kartons wegzunehmen. Schließlich habe er einfach einen großen Umzugskarton rausgezogen und alles ist eingebrochen. Damit sollte demonstriert werden, dass es schneller ginge, wenn die Politik etwas macht, als wenn sich die kleinen Vereine abmühten. „Gesetze sind hilfreich“, so Tietz, die am liebsten Plastik aus dem Schulkiosk verbannen würde.
Erst die Bürgerbewegung – dann das Gesetz
Den politischen Willen etwas zu verändern, vermisste Katharina Habersbrunner bei Themen wie CO2-Steuer, Klimaschutzgesetz, Fahrradbegehren oder dem Aus für Steinkohle. Nachhaltigkeit müsse zur Normalität werden und das gehe nur durch Gesetze. "Wer hätte gedacht, dass einmal keiner mehr im Oktoberfestzelt raucht, wer hätte gedacht, dass sich alle Menschen im Auto anschnallen. Das sind zuerst Bürgerbewegungen gewesen und dann folgten Gesetze.“
Dabei ginge es nicht alleine um Bewusstsein, gab Daniel Hahn zu bedenken. „Wir sind in einer Blase, die sich Nachhaltigkeit leisten kann", sobald man jedoch in eine finanziell schwierige Lage komme, stelle sich die Frage, ob man es sich leisten könne, Lebensmittel nicht zu nehmen, die zwar verpackt, aber günstiger seien als unverpackte. Besser wäre es, wenn Verpackungen durch gesetzliche Vorgaben so besteuert würden, „dass es wirtschaftlich nicht mehr Sinn macht Sachen einzupacken“.
Dann wäre es auch für Verbraucher einfacher, umweltschonend einzukaufen. Derzeit müsse man nämlich lange entsprechende Artikel suchen, sagte Rebecca Rohde. „Ich wollte eine Bambuszahnbürste kaufen, doch dann war nur der Stil aus Bambus und die Borsten waren aus Plastik." Daniel Hahn versucht zumindest abbaubare Produkte zu wählen, „die nicht wie beim Plastik in tausend Kleinteile zerfallen und sich komplett über die ganze Welt verteilen“. Allerdings sei es schwierig, Vorsätze konsequent durchzuhalten. „Da stoße ich häufig an meine Grenzen.“
Politik alleine ohne ein Bewusstsein in der Bevölkerung bringe gar nichts, entgegnete Ursula Männle. Als Beispiel nannte sie das Rauchverbot. Es habe darüber endlose Diskussionen im Parlament gegeben. „Erst als das Volksbegehren erfolgreich war, konnte man sagen, das ist der Wille der Mehrheit und dann ist das Rauchverbot akzeptiert worden.“ Sie sei aber gegen einen Staat, der alles reglementiert und vorschreibt: „Letztlich muss die Entscheidung des Einzelnen respektiert werden.“
Das sieht Christiane Lüst anders. Ob man sich Nachhaltigkeit leisten könne, sei längst nicht mehr eine Frage der Einstellung, sondern eine Frage des Überlebens. Es werden zu viele Ressourcen verbraucht, kritisierte sie und skizzierte ein Szenario mit Dürren und Katastrophen und der "Mehrheit der Menschen, die ausgerottet wird“.
Wer ist denn nun „schuld“ an der Situation. Hat die „ältere“ Generation zu wenig für Klima- und Umweltschutz getan? Bei dieser Frage gab es von der Sommergesprächsrunde eine klare Absolution. „Ich selbst gehöre einer Generation an, wo man sparsam sein musste, wo alles aufgehoben wurde“, berichtete Männle. Diese Haltung habe sie geprägt. Ein Beispiel nannte sie: „Ich kann kein Papier wegwerfen. Das schneide ich zu, damit man es wieder verwenden kann“ und Daum ergänzte, für die Großelterngeneration sei das Thema Ressourcen schonen und Nachhaltigkeit selbstverständlich. „Die wecken ein, stopfen Socken, schmeißen nicht weg, die würden nie eine Plastiktüte an der Kasse kaufen.“ Das seien auch nicht diejenigen, die durch die Welt jetten und dadurch Flugbenzin verbrauchen. Es sei die Generation der Jugendlichen und der älteren bis Mitte fünfzig, die umlernen müsste. „Die sind zwar sehr engagiert und gehen freitags demonstrieren, aber dann „streamen“ sie im Internet und verbrauchen damit irre viel Energie.“
"Man muss eben kleine Schritte tun"
„Ich schaue auch gerne Videos online an“, gab Rebecca Rohde freimütig zu und für das Auslandsjahr in Australien ist sie mit dem Flugzeug geflogen. Allerdings ist sie die 20 Kilometer zum Sommergespräch mit dem Rad gefahren, "dadurch habe ich die Umwelt geschont und noch dazu sechs Euro Fahrkosten bei der S-Bahn eingespart". In den Sommerferien geht es bewusst mit der Bahn nach Italien. „Man muss eben kleine Schritte tun“, sagte sie. Hahn kennt die Situation: „Ich lebe in einem nachhaltigen Umfeld, aber viele meiner Bekannten und Freunde waren beispielsweise schon in Südamerika. Reisen ist ein hohes Kulturgut geworden. Nur die Hardliner sagen, 'ich will nicht fliegen, ich reise nur dahin, wo ich mit dem Zug hinfahren kann'."
Das Problem sei, dass Zugfahren nicht günstiger als Fliegen sei, ärgerte sich Daum. Das müsse sich ändern. Flugbenzin müsste besteuert werden, auch um die Klimaziele zu erreichen und es müssten mehr und günstigere Bahnverbindungen geschaffen werden. "Neulich hat eine Abiturientin in der S-Bahn erklärt, dass sie in den Urlaub nach Barcelona fliegt, weil es billiger ist als Flixbus und der Zug." Zugfahren könne man durchaus attraktiver machen, betonte Lüst mit einem Blick nach Großbritannien. "Dort sind die Zugverbindungen so gut, das schafft man nicht mit dem Flugzeug." Einig war sich die Tischrunde, dass mehr in den öffentlichen Nahverkehr investiert werden müsse und die Fahrten günstiger werden müssten.
Der Sprung von „mehr haben“ zu „weniger haben“ sei vom Kopf her nicht leicht zu bewältigen, sagte Männle. Sie empfahl, bei den Kindern anzufangen. Bei Daniel Hahn hat das gut funktioniert. Seine Brüder und er leben umweltbewusst. „Die Sensibilisierung hat bei mir in der Erziehung begonnen. Meine Mutter hat immer sehr darauf geachtet, dass wir nicht so viel Müll produzieren, dass die Lebensmittel regional sind.“
"Total gut angenommen"
„Wie schafft man es aber die Menschen zu motivieren und dabei alle zu erreichen?“, fragte Habersbrunner. „Da gibt es vielleicht keinen Weg. Da hilft nur politisch regulieren“, entgegnete Daum. Nicht jeder würde Umwelt-Tipps annehmen. Aufklärung müsse anders passieren. Ein positives Beispiel sei die „Ernährungsampel“. „Gerade bei denen, die sich nicht so für den Inhalt von Lebensmitteln interessieren, wurde sie total gut angenommen.“
Wichtig sei, dass Aktionen nicht zu komplex sind, "sonst verlieren die Mitbürger das Interesse daran", fügte Habersbrunner an. Ein konkretes Projekt sind Solaranlagen auf Schulen und Mehrzweckhallen. "Da kann man sich beteiligen, es gibt schöne Renditen und es wird ökologisch gewirtschaftet." Hahn berichtete von dem Projekt „Plastikhäkeln“. Studenten und Anwohner hätten Plastik gesammelt und daraus einen Teppich gehäkelt. „Es war ungeheuerlich wie groß der geworden ist.“ Da habe man gesehen, wie groß das Interesse der Bürger an solchen Dingen sei. „Unser Verband hat Plastikfasten gemacht“, so Daum. Dadurch hätten die Teilnehmer ein Bewusstsein dafür bekommen, wo man Plastik einsparen könne.
Lüst berichtete von Paris. Dort könnten sich Bürger Scheine für Bäume abholen, um sie in ihre Gärten zu pflanzen. Auf den Häusern gebe es tausende von Quadratmetern Gewächshäuser und sogar Restaurants würden Lebensmittel auf den Dächern anbauen. Ursula Männle hat festgestellt, dass sich in den Tagungshäusern der Hanns-Seidel-Stiftung durch Anregungen von Teilnehmern viel verändert habe. Oft sind es kleine Dinge, zum Beispiel, dass Zahnbecher nicht in Plastik verpackt werden und eine Aufladestelle für Elektroautos. "Es ist gerade für die junge Generation wichtig, dass Anregung praktisch umgesetzt werden", so Männle. Das fand Solveig Tietz auch. "Es läuft sehr viel von unten. Die jungen Menschen spornen sich gegenseitig zu allem Möglichen an."
„Ich fände es toll, wenn man die Aktionen der Jungen bei den Demonstrationen und das Bewusstsein der Eltern und Großeltern zusammen bringen könnte", wünschte sich Daum und erntete dafür allgemeines Kopfnicken.
Unsere Sommer-Frage
Jede Generation versucht, für sie wichtige Dinge an die nächste Generation weiterzugebem. Welcher Rat Ihrer Eltern an Sie war der wichtigste? Unsere Gäste antworten:
Juliana Daum: "Nimm dich selbst nicht zu ernst."
Katharina Habersbrunner: "Nimm dich selbst zurück."
Prof. Ursula Männle: "Man weiß nie, ob man das nicht nochmal brauchen kann."
Daniel Hahn: "Diesen Satz kenne ich auch von meinen Eltern, da schließe ich mich an."
Christiane Lüst: "Ich habe keinen Rat, aber mir wurde vorgelebt, dass man einen Garten hat und dass man die Obstbäume nutzt."
Rebecca Rohde: "Mach das, was du wirklich willst."
Dr. Solveig Tietz: "Kenne die Arten, bewundere sie, tu etwas für ihren Schutz, aber komm damit nicht mit den Menschen in Konflikt."
Unsere Gäste
Bei unserem Sommergespräch diskutierten:
Juliana Daum, Landesvorsitzende des VerbraucherService Bayern im KDFB e.V.
Katharina Habersbrunner, Sprecher MIN (Münchner Initiative Nachhaltigkeit) und Vorständin WECF (Women Engage for a Common Future)
Daniel Hahn, Alternatives Kulturzentrum "Bahnwärter Thiel"
Christiane Lüst, Umweltzentrum Öko & Fair
Prof. Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung
Rebecca Rohde, Schülerin an der Umweltschule Thomas-Mann-Gymnasium München
Dr. Solveig Tietz, Biologie- und Chemielehrerin sowie Umweltbeauftragte an der Umweltschule Thomas-Mann-Gymnasium München
Respekt zeigen
Respekt meint nichts anderes als guten Willen: Aushalten, dass es andere Bewertungen und Erfahrungen neben den eigenen gibt. Die unmittelbare Folge daraus ist, Mitgefühl empfinden zu können. Jedes familiäre, jedes soziale und politische Problem lässt sich durch das Maß an Mitgefühl definieren, das wir füreinander aufbringen oder eben nicht. Welchen Menschen und Einrichtungen, welchen Leistungen, Fähigkeiten und Tätigkeiten begegnen wir mit Respekt?
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