"Es geht darum, langsamer zu werden"
Landschaftsökologin Doris Nebel erklärt das "Waldbaden"
Nicht wenige Trends aus Asien setzen sich früher oder später auch bei uns durch. Einer dieser aktuellen Trends ist das so gennante "Waldbaden". Gerade in Pandemie-Zeiten sehnen sich viele Menschen nach Zerstreuung und Ablenkung vom allgegenwärtigen Corona-Desaster. Und "Raus in die Natur" - das geht immer. Stefan Dohl hat sich mit Dipl.-Landschaftsökologin Doris Nebel darüber unterhalten.
"Es geht sogar auf dem Balkon"
Was hat es mit dem Waldbaden auf sich?
Doris Nebel: So wie wir in der Sonne baden und uns entspannen, können wir auch in der Athmosphäre des Waldes baden. Ich erweitere den Begriff auch gerne auf "Landschaftsbaden", da es nicht auf den Wald und Bäume begrenzt ist und in jeder Landschaft, in jedem Park und sogar auf dem Balkon oder mit den Zimmerpflanzen praktiziert werden kann. Es geht darum, die Wahrnehmung mit allen Sinnen zu öffnen, langsamer zu werden (entschleunigen) und eine Beziehung aufzubauen.
"Wohlfühlen und entspannen"
Wie funktioniert das Waldbaden?
Doris Nebel: Ich gebe eine Reihe von “Einladungen”, die die aufmerksame Wahrnehmung mit allen Sinnen fördern. Dies sind Vorschläge - gleichzeitig erlauben sie den Teilnehmern auch ihren eigenen Impulsen zu folgen um eine ganz individuelle Erfahrung mit dem Wald und seinen Wesen zu ermöglichen. Der Wohlfühl- und Entspannungseffekt steht im Vordergrund. Es geht nicht darum, Pflanzen zu identifizieren und beim Namen nennen zu können, sondern mit allen Sinnen in dieser Welt und in diesem Moment anzukommen, sowie eine Beziehung und Komunikation mit dem Wald und seinen Wesen einzugehen.
"Es wirkt"
Was macht das Waldbaden mit uns?
Doris Nebel: Es wirkt zum einem durch die Stoffe, die wir durch die Lunge und die Haut aufnehmen und einatmen gesundheitsfördernd und imunisierend. Ausserdem stresslindernd und entspannend auf das Nervensystem, der Parasympaticus wird gestärkt. ADHS-Symptome werden vemindert, die Konzentrationsfähigkeit erhöht. Physiologisch hat man unter anderem die ausgleichende Wirkung auf den Blutdruck festgestellt, senkend oder erhöhend, je nach Bedarf. Es senkt den Cortisolspiegel und beruhigt die Herzfrequenz. Die Begegnung mit den Tieren und Pflanzen regt möglicherweise die Neugier und den Forscherdrang an, so dass man mehr über das Tier oder die Pflanze erfahren möchte. So hat dieser entspannte Aufenthalt im Wald eine nachhaltige Wirkung, die auch dazu führt, dass wir Anteil nehmen an der Natur, und es ein persönliches Anliegen wird für sie zu sorgen. Wenn wir die Vernetzung von Zusammenhängen erkennen und da ist die Natur eine wunderbare Lehrerin, dann kann es dazu führen, dass wir auch unser Verhalten verändern und mit einem anderem Bewustsein durch unser Leben gehen. Das schließt viele Aspekte ein, zum Beispiel auch die Ernährung und Gesundheit.
"Es unterstützt die Immunabwehr"
Woher kommt dieser Trend überhaupt?
Doris Nebel: 1980 in Japan: Die Entwicklung hin zu einer technisierten Gesellschaft, die zu immer mehr Krankheiten wie Krebs und Autoimunkrankheiten führte. So starteten sie verschiedene Projekte, um herauszufinden, wie sie dieser Epidemie begegnen könnten. Darunter auch die Frage, wie der Wald auf die Gesundheit der Menschen wirkt. Die Bäume senden Duftstoffe aus, Terpene, um sich selbst vor Angriffen von Pilzen und ähnlichem zu schützen. Wir Menschen nehmen diese Terpene durch den Atem und die Haut auf und sie wirken auch als Killerzellen in unserem Körper. So stellten die Japaner durch ihre Studien fest, dass das bloße “Baden im Wald” (“Shinrin Yoku”) unsere Immunabwehr unterstützt. Inspiriert davon und auch von der Wildnispädagogik hat die ANFT (Association of Nature and Foresttherapy) diese Praxis noch erweitert. Denn bei der von Amos Clifford und seinem Team entwickelten Forest Therapy liegt der Fokus auch auf der Naturverbindung, die die Beziehung beinhaltet, die wir zu unserem Körper und Sinnen, den Pflanzen, Tieren und den Elementen der Natur haben.
"Einen Ausgleich schaffen"
Was meinen Sie, haben die Leute wegen der Pandemie einen anderen Bezug zur Natur?
Doris Nebel: Ja, ich glaube schon. Es entsteht mehr Wertschätzung für den Raum der Natur als ein Ort wo man zur Ruhe kommen und einen Ausgleich schaffen kann. Ich glaube, dass es vor allem auch für die Kinder sehr wichtig ist, einen Raum zu betreten, wo man sich noch normal und ohne Masken aufhalten und begegnen kann. Dazu kommt natürlich die gesundheitsförderne, abwehrsteigernde und stressvermindernde Wirkung, die wir in diesen Zeiten ganz besonders brauchen können.
"Nicht als Kullisse benutzen"
Kann man Waldbaden alleine oder auch in der Gruppe machen?
Doris Nebel: Ja, das geht beides. In der Gruppe hat man die Möglichkeit sich über die Erfahrungen auszutauschen, aber die Erfahrung macht jeder überwiegend für sich allein. Es geht darum, mit allen Sinnen und ganzer Aufmerksamkeit den Wald zu erfahren und ihn nicht als Kullisse zu benutzen, wie wir es häufig gewohnt sind.
"Täglich 2 bis 3 Stunden"
Haben Sie einen "Lieblingswald"?
Doris Nebel: Ja, in der Nähe meines Wohnortes gibt es ein Naturschutzgebiet, dort halte ich mich fast täglich auf. Erst gehe ich im Moorsee baden und dann in der Landschaft baden. Am liebsten gehe ich täglich 2 bis 3 Stunden. Wenn ich wenig Zeit habe, dann auch nur 1 Stunde.
Live-Anleitung zum Wald- und Landschaftsbaden
Alle, die Interesse am Waldbaden bekommen, sollten sich den 27. März vormerken. Von 13.45 bis 16.15 Uhr gibt Doris Nebel eine Anleitung zum Wald- und Landschaftsbaden über eine Online-Plattform. Das soll natürlich nicht in der Wohnung stattfinden. Jeder Teilnehmer sucht sich einen schönen Platz im Freien, wo er ungestört mit allen Sinnen die Natur um ihn herum wahrnehmen kann. Dies darf der eigene Garten oder Balkon sein, genauso ein ruhiger Platz im Park, im Wald oder in der Heide. Durch einfache Wahrnehmungs-Übungen, die alleine durchgeführt werden, kommt jeder für sich ins Hier und Jetzt. Zwischendurch und am Ende besteht die Möglichkeit zum Austausch. Es wird kein Teilnehmer-Beitrag erhoben. Eine Spende zur Förderung der Umweltbildungsarbeit des Heideflächenvereins wird erbeten. Anmeldung online bei unter http://heideflaechenverein.de.
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