"Wir können uns nicht abschotten"
Gesine Schwan warnt bei IDIZEM vor Illusionen
"Ich hoffe auf ein Leben ohne Gewalt" - ein naiver Wunsch? Nicht für Mehmet Pekince, den Geschäftsführer des Vereins IDIZEM (Interkulturelles Dialogzentrum): "Ich bin zuversichtlich"; sagt er beim Dialog-Dinner seines Vereins vor 180 Gästen, "denn es bleibt uns gar keine andere Wahl!"
Türkischstämmige Studenten und Akademiker gründeten den Verein 2001. Mit vielen Veranstaltungen, darunter dem alljährlichen Dialog-Dinner im Künstlerhaus, will der Brücken bauen: Durch die Förderung des Dialogs zwischen Kulturen und Religionen möchte IZIDEM gegenseitige Vorurteile abbauen und einen Beitrag zur besseren Verständigung der Menschen in München und Bayern leisten. Institutionen wie Schulen, Kindergärten, Volkshochschulen, Universitäten, Behörden, Vereine und alle interessierten Menschen möchte er über die türkische Kultur und den islamischen Glauben informieren.
Unantastbare Werte
Kurz nach den Anschlägen in Paris war für Pekince vor allem ein Satz wichtig: "Wer einen Menschen tötet, tötet die ganze Menschheit". So stehe im Koran (und nicht nur dort). Die Anschläge seien ein Angriff auf Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit - unantastbare Werte. Der Weg, diese Werte in Europa durchzusetzen, sei kein einfacher gewesen, erinnerte Pekince.
"Wir sind schon lange global voneinander abhängig", meinte Festrednerin Prof. Gesine Schwan. Daher sei das Schließen von Grenzen, um sich zu schützen, nicht möglich. "Ich warne davor, diese Illusion zu schüren", betonte sie, "wir können uns nicht abschotten. Wir können uns nur miteinander verständigen!" Die Brutstätten des Hasses könne man nur bekämpfen, indem man allen Menschen Perspektiven für ihr tägliches Leben gebe.
Das Leben ändert sich
Eine Rückkehr zu den "Dublin-Regeln" (Flüchtlinge müssen in dem Vertragsstaat Asyl beantragen, den sie zuerst erreichen) lehnte sie ab: Das Leben verändert sich, daher müssen auch Gesetze immer wieder an die realen Bedingungen angepasst werden. Das gelte immer und generell - z.B. beim Eherecht (das in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche Anpassungen erfahren habe) ebenso wie bei den Gesetzen, die Flüchtlinge betreffen.
Für Einwanderung Regeln setzen
"Viele Deutsche werden noch viel lernen müssen", meinte Gesine Schwan: Es geht nicht darum, Ankommende in eine homogene Gesellschaft zu integrieren; vielmehr müsse sich die ganze Gesellschaft immer wieder neu zusammenfinden. Schwan forderte handfeste Regelungen für Einwanderung und mehr Investitionen in Bildung. Hier seien inzwischen auch viele Deutsche abgehängt.
"Wenn wir ohne Terror leben wollen, sind Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität zentrale Punkte", unterstrich Schwan, "diese drei gehören seit der französischen Revolution zusammen." Dass es ohne sie nicht gehe, habe mancher indes schon früher gewusst, erinnerte sie an den spätantiken Kirchenlehrer Augustinus. In seinem Werk "De civitate Dei" fragte dieser: Was sind Staaten ohne Gerechtigkeit denn anderes als große Räuberbanden?
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