"Wir hätten jahrelang Leerstand!"
Erneute Stadtrats-Debatte um "Haus mit der roten Fahne"
"Macht bei diesem Unfug, bei diesem Abenteuer nicht mehr länger mit!", rief Sibylle Stöhr der SPD-Fraktion im Münchner Stadtrat zu. Ihr Ruf verhallte jedoch ungehört: Auch bei der jüngsten Stadtratssitzung sprach sich die Mehrheit aus SPD und CSU dafür aus, die Kündigung und Räumungsklage gegen die Mieter des "Hauses mit der roten Fahne" aufrecht zu erhalten. Sibylle Stöhr (Grüne), die als Vorsitzende des Bezirksausschusses Schwanthalerhöhe (BA 8) Rederecht vor der Vollversammlung hatte, bezeichnete das Handeln der Stadt als "höchst abenteuerlich und ein Trauerspiel".
Die Stadt müsse an der Tulbeckstraße 4f bezahlbaren Wohnraum schaffen, lautete das Argument für die Kündigung in der Beschlussvorlage vom Februar 2017. Für eine soziale Nutzung sei das Grundstück aufgrund seiner Größe und Form nicht geeignet. "Im November 2018 ist also nun alles ganz anders, obwohl sich an Größe und Form nichts geändert hat", sagte Stöhr in ihrer Rede. Laut aktueller Beschlussvorlage soll nämlich an der Tulbeckstraße 4f das Projekt "Lebensplätze für Frauen" entstehen, in Verbindung mit dem seit drei Jahren leer stehenden Gebäude Westendstraße 35. "Dass man die Westendstraße 35 nun ist Spiel bringt, bewerte ich als Ablenkungsmanöver", warf Stöhr den Verantwortlichen vor.
Die Räumungsklage gegen den Verlag "Das Freie Buch" läuft derzeit vor dem Landgericht. Das Gericht hat von Seiten der Stadt und der zuständigen städtischen Wohnungsbaugesellschaft GWG schon mehrmals eine sachgerechte Begründung für die Räumung und eine konkrete Planung für das Objekt angemahnt, um den Anschein von Willkür zu vermeiden. "Das ist bisher nicht gelungen und nun versucht man es auf diesem Wege", so Stöhr vor dem Stadtrat. "Angenommen die Stadt gewinnt den Prozess: Die bisherigen Mieter müssten raus, wir hätten erst einmal einen Leerstand, auszugehen ist von mehreren Jahren. Das kann doch niemand wirklich wollen!"
"Das wissen wir doch alle"
Brigitte Wolf (Linke) und Gülseren Demirel (Grüne) setzten sich vehement für den Erhalt des sozio-kulturellen Zentrums ein. "Dass in diesem Hinterhof im Leben kein bezahlbarer Wohnraum entsteht, das wissen wir doch alle", so Brigitte Wolf. Es gehe um politischen Dogmatismus. Demirel argumentierte mit dem der Stadt wichtigen Thema Quartiersentwicklung: Hier solle ein gewachsenes sozio-kulturelles Begegnungszentrum zerstört werden, in dem sich die unterschiedlichsten Menschen des Stadtteils, "von links bis links-liberal bis nichts mit links zu tun" begegnen.
Für die SPD-Fraktion trat Christian Müller ans Rednerpult. Man müsse die Geschichte des Hauses betrachten: Vor fünf Jahren hätten auch die Grünen noch für die Kündigung mitgestimmt, weil es keine Einigung zwischen Mieter und städtischer Eigentümerin gegeben habe, wie es mit dem unbestritten sanierungsbedürftigen Haus weitergehen soll. "Diese Kündigung ist weder die erste noch die besonderste, die wir in dieser Stadt haben", wiegelte Müller ab. Wenn man die Kündigung jetzt zurücknehme, stehe man ja wieder da, wo man vor fünf Jahren schon gestanden habe, und finde wieder keine Lösung.
"SPD im Dilemma"
Sibylle Stöhr erklärte nach der Sitzung auf Nachfrage unserer Zeitung zu Müllers Beitrag: "Es ist der Versuch, sich aus einer für die SPD-Stadtratsfraktion unangenehmen Geschichte herauszureden. Die SPD in München ist in dem Dilemma, dass es immer wieder Themen gibt, bei denen sie eigentlich mit den Grünen und/oder Linken stimmen müsste, aber den Koalitionsfrieden mit der CSU nicht gefährden will. Es gibt auch SPDler in der Fraktion, die für den Erhalt der roten Fahne sind, dies aber nicht lautstark äußern, sondern bei der Abstimmung den Sitzungssaal verlassen. Auf Parteitagen ziehen führende SPDler wie OB Reiter gerne die Grüne Weste an, aber wenn es um die Realpolitik geht, will die SPD den Autofahrern dann doch nicht weh tun. Jüngstes Beispiel in der letzten BA-Sitzung, als es um den Bürgerinnen-Antrag um die Verkehrsberuhigung der Landsberger Straße ging. Wir Grüne waren eindeutig, die SPD ist über ein ,Ja, aber' nicht hinausgekommen."
"Willkürliches Handeln"
Zum Stadtratsbeschluss meint die BA-Vorsitzende: "Ich bedauere es sehr, dass einem sozio-kulturellen Zentrum, das über Jahrzehnte gewachsen ist, auf diesem Wege der Garaus gemacht wird. Es war aber zu erwarten. Wie es vor Gericht weitergeht, ist schwer zu beurteilen. Ich persönlich würde es auf ein Urteil ankommen lassen, weil nun endgültig der Nachweis erbracht wurde, dass willkürlich gehandelt wurde."
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