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„Die Gründe liegen in der Vergangenheit“

Lehrermangel – Zwei Schulen im Westend geben Einblick

Die städtische Carl-von-Linde Realschule (Ridlerstraße 26) ist die einzige Realschule auf der Schwanthalerhöhe: 750 Schüler besuchen die Schule und 80 Lehrkräfte sind hier beschäftigt. (Bild: kö)

„Corona bestimmt den Alltag“, sagt Philipp Volkmer, Schulleiter der Carl-von-Linde-Realschule. „Es fehlt das Schulleben! Schule ist doch mehr als nur Abstandhalten, Lücken schließen und Noten einbringen.“ Dass aber Lehrer fehlen, Fächer aufgrund dessen nicht gleichmäßig besetzt oder Vertretungslehrer angefordert werden müssen, daran sei Corona nicht schuld: „Der Mangel an Lehrkräften hat weniger etwas mit Corona zu tun als vielmehr mit der Tatsache, dass es zu wenige Realschullehrkräfte gibt – das wird noch ein paar Jahre so bleiben und die Gründe dafür liegen auch in der Vergangenheit.“ Dabei ist der Lehrerberuf doch durchaus erstrebenswert – so sieht es zumindest Schulleiterin Hanna Bogdahn von der Grundschule an der Schwanthalerstraße. „Ich liebe meinen Beruf“, sagt sie. „Lehrerin bzw. Lehrer und auch Schulleiterin oder Schulleiter sein, ist eine abwechslungsreiche, sinnvolle Aufgabe“, betont die Schulleiterin. Warum der Nachwuchs fehle, verstehe sie nicht recht und ruft dazu auf: „Leute! Werdet Lehrerin oder Lehrer! Es ist ein toller Beruf und wir brauchen euch.“

„Ja, es gibt zu wenig Lehrerinnen und Lehrer“

750 Schüler besuchen die Carl-von-Linde- Realschule, 80 Lehrkräfte sind regulär für sie zuständig. Aktuell jedoch sind nicht alle im Dienst: „Acht fehlen wegen Elternzeiten, Schwangerschaften, langfristigen Erkrankungen“, erklärt Schulleiter Volkmer auf Anfrage. Der Pflichtunterricht sei zwar abgedeckt, jedoch seien die Fächer nicht alle gleich besetzt. „Wenn hier jemand ausfällt, haben wir ein Problem“, sagt der Schulleiter der Realschule. Lehrkräfte unterrichten zum Teil fachfremd, auch sind an die Realschule Lehrkräfte aus anderen Schulen entliehen.

„Ja, es gibt zu wenig Lehrerinnen und Lehrer“, findet Norbert Knupp, Vorsitzender des Elternbeirates der Carl-von-Linde-Realschule. Projekte für mehr Inklusion oder auch die Umsetzung neuer Lernkonzepte, z.B. das Lernhaus, könnten aufgrund fehlender Lehrkräfte und zu großer Klassen meist nicht umgesetzt werden.

Einen Lehrermangel wie er u.a. auch vom Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) für die bayerischen Schulen beklagt wird, verzeichnet Schulleiterin Hanna Bogdahn von Grundschule an der Schwanthalerstraße hingegen nicht: „In den Grundschulen ist es nicht ganz so schlimm gekommen wie befürchtet.“

„Die Solidarität im Kollegium war großartig“

Auf 169 Schüler kommen in der Grundschule an der Schwanthalerstraße 16 Lehrkräfte, von denen aktuell alle im Einsatz sind. „Wenn eine Lehrkraft fehlt, was zum Glück bisher nur tageweise der Fall war, legen wir Gruppen zusammen, es werden Kinder in andere Klassen aufgeteilt, Lehrkräfte vertreten zusätzlich (das ist für drei Stunden im Monat erlaubt) oder wir entlassen Kinder in Absprache mit den Eltern und Horten früher“, erklärt Hannah Bogdahn. Die Herausforderungen der vergangenen Wochen und Monate, wie etwa die Kinder mit Lernmaterial zu versorgen, haben die Lehrkräfte mit „große Anstrengungen“ gemeistert. Materialumschläge wurden zusammengestellt, Übergabe-Termin im Freien veranstaltet oder Schüler zu Hause besucht. „Gleichzeitig haben wir Lehrkräfte am Vormittag, am Nachmittag dann die Teams vom Offenen Ganztag und vom Hort, die Notbetreuung aufrechterhalten, auch in den Ferien Unsere WG-Lehrerin, die katholische Religionslehrerin und unser Islam-Lehrer haben ebenfalls mitgeholfen“, so Bogdahn. „Die Solidarität im Kollegium war großartig.“ Und auch vom Staatlichen Schulamt, vom Referat für Bildung und Sport sowie vom Referat für Gesundheit und Umwelt sei die Grundschule „bestmöglich unterstützt“ worden.

Von Lehrermangel spürten die Schüler sowie die Eltern an der Grundschule Schwanthalerstraße bislang sehr wenig, sagt Stephanie Gantke-Eiringhaus Elternbeiratsvorsitzende der Grundschule an der Schwanthalerstraße: „Darüber sind wir auch sehr froh.“

 

„Zum Glück keine längerfristigen Ausfälle“

Stephanie Gantke-Eiringhaus, Elternbeiratsvorsitzende der Grundschule an der Schwanthalerstraße

Von dem in der Presse viel diskutierten Lehrermangel spüren wir, die Schülerinnen und Schüler sowie die Eltern an der Grundschule Schwanthalerstraße bis dato sehr wenig. Darüber sind wir auch sehr froh. In diesem Schuljahr entfallen zwei Arbeitsgemeinschaften, die jedoch auch coronabedingt (in Abhängigkeit von den Warnstufen) derzeit nicht hätten stattfinden können. Zum Glück haben wir keine längerfristigen Ausfälle von Lehrkräften zu verzeichnen und somit kann der Unterricht regulär stattfinden.

Während der Schulschließung ab 13.März sind wir optimal von unseren Lehrerinnen und Lehrern betreut worden. Zum einem konnten die Wochenpläne auf dem Schulhof bei der Lehrkraft abgeholt werden; die Klassenlehrerin meiner Tochter ist sogar persönlich zu ihren Schülerinnen und Schülern gefahren und hat sie „besucht“ und die Hausaufgaben verteilt bzw. wieder eingesammelt. Das war in dieser für die Kinder schwierigen Phase unglaublich toll. Diesen persönlichen Einsatz des Kollegiums schätzen wir als Eltern auch sehr. Seitens der Schulleitung sind wir auch über die Schul-Homepage immer auf dem aktuellen Stand gehalten worden, wann und vor allem wie (Hygieneplan) es mit dem Schulbetrieb wieder weiter geht.

 

„Werdet Lehrerin oder Lehrer“

Hanna Bogdahn, Schulleiterin der Grundschule an der Schwanthalerstraße

Mangelt es an Lehrern?

Hanna Bogdahn: In den Grundschulen ist es nicht ganz so schlimm gekommen wie befürchtet. Es wurde uns im Bereich der Sprachförderung ein Teil der Stunden gestrichen. Wie auch sonst bekamen wir einige Stunden extra, die wir z.B. für AGs verwenden dürfen. Aber in diesem Jahr sind diese Stunden alle für „Brückenangebote“ vorgesehen; das heißt, die durch Corona entstanden Lücken sollen durch zusätzliche Förderung geschlossen werden. In den Mittelschulen ist der Lehrermangel allerdings dramatisch. Deswegen wurden auch in diesem Jahr Grundschullehrkräfte gesucht, die für einen Tag pro Woche in einer benachbarten Mittelschule Unterricht halten sollten.

Wie waren die letzten Wochen und Monat?

Hanna Bogdahn: Es ist mir ein Anliegen zu betonen, dass wir (auch) in dieser schwierigen Zeit vom Staatlichen Schulamt, vom Referat für Bildung und Sport und auch vom Referat für Gesundheit und Umwelt bestmöglich unterstützt wurden und werden. Zum Beispiel haben wir Schulleitungen eine extra Corona-Hotline. Einmal schrieb ich eine Mail mit einem dringenden Anliegen von zu Hause aus am Sonntagabend. Am Montag um 6.54 Uhr war die Antwort da!

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Hanna Bogdahn: Ich schließe mich der Forderung der Lehrerverbände an, dass die Attraktivität des Lehrerberufes durch eine bessere Bezahlung erhöht werden sollte. Die Grundschullehrer und -lehrerinnen arbeiten mehr Stunden und bekommen viel weniger Geld als die Kolleginnen bzw. Kollegen im Gymnasium. Ich liebe meinen Beruf! Jedenfalls: Ich verstehe es einfach nicht, warum der Nachwuchs fehlt. Leute! Werdet Lehrerin oder Lehrer! Es ist ein toller Beruf und wir brauchen euch!

 

„Ja, es gibt zu wenig Lehrerinnen und Lehrer“

Norbert Knupp, Vorsitzender des Elternbeirates der Carl-von-Linde-Realschule

Meinen beiden Kindern, die die 8. und 10. Klasse der Carl-von-Linde-Realschule bis zu den Sommerferien besuchten, ging es unterschiedlich. Die jüngere, die eine Leseschwäche hat, war mit dem Online-Unterricht überfordert, die ältere, die den Abschluss machte, hatte damit kaum Probleme. Die Schule konnte den Unterricht der zehnten Klassen so organisieren, dass nur noch die Prüfungsfächer seit dem März unterrichtet wurden.

In der Anfangszeit gab es ein wirres Durcheinander der Messengerdienste bzw. Plattformen unter denen die Aufgaben und Besprechungen zu gewissen Uhrzeiten stattfanden; die Frage, inwieweit diese Dienste in der Schule und zuhause benutzt werden dürfen, ob sie der Schule Kosten verursachen und im Datenschutz eingebunden sind hat uns als Elternbeirat auch beschäftigt. Die Tatsache, dass in unserem Haushalt zwei Kinder „ im Homeschooling“ beschäftigt waren und zwei Erwachsene z.T. selbständig arbeiteten überforderte teileweise unsere Medientechnik. Ja, es gibt zu wenig Lehrerinnen und Lehrer. Seit Jahren werden z.B. Lehrer und Lehrerinnen mit befristetem Vertrag vor den Sommerferien in die Arbeitslosigkeit geschickt, um eine Woche vor Wiederbeginn noch nicht zu wissen, wo sie das nächste Schuljahr leisten – das macht keine Lust auf diese Arbeit!

In der Regel liegt die Klassengröße bei 30 und mehr; ehrgeizige Projekte wie Inklusion und Verwirklichung neuer Lernkonzepte, z.B. das Lernhaus, können aufgrund fehlender Lehrkräfte und zu großer Klassen meist nicht umgesetzt werden. Seit dem Beginn des Schuljahres und des Präsenzunterrichts ist für die Kinder und uns wieder ein Stück Normalität eingetreten.

 

„Pflichtunterricht ist abgedeckt“

Philipp Volkmer, Schulleiter der Carl-von-Linde-Realschule

Mangelt es an Lehrern?

Philipp Volkmer: Unser Pflichtunterricht ist abgedeckt – allerdings sind die Fächer nicht gleichmäßig besetzt. Wenn hier jemand ausfällt, haben wir ein Problem. Der Mangel an Lehrkräften hat weniger etwas mit Corona zu tun als vielmehr der Tatsache, dass es zu wenige Realschullehrkräfte gibt – das wird noch ein paar Jahre so bleiben und die Gründe dafür liegen auch in der Vergangenheit.

Wie überbrücken Sie die Lücken?

Philipp Volkmer: Einige Lehrkräfte unterrichten fachfremd, also in Fächern, die sie eigentlich nicht studiert haben. Wir haben auch Lehrkräfte mit dem Studium für ein Gymnasium im Einsatz. Die können natürlich bei Anfragen eines Gymnasiums schnell weg sein.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Philipp Volkmer: Wenn die Maskenpflicht bestehen bleibt, muss man sich etwas für die Ganztagesklassen überlegen. Ich finde, hier müssten Inhalte gekürzt und die Tage anders gestaltet werden. Das ist aber leichter gesagt als getan, denn es gibt den Schulen übergeordnete Vorgaben, die eine Verkürzung schwierig machen. Abgesehen davon wäre es eine Herausforderung für viele Eltern. Meine Idee ist es, Mittagessen anzubieten und den Unterricht am Nachmittag für die, die ihn unbedingt brauchen, offener zu gestalten, so dass zumindest die Maskenpflicht ab 13.30 Uhr wegfallen kann, weil in kleineren Gruppen gearbeitet wird.

Worauf hoffen Sie?

Philipp Volkmer: Dass nicht so viel gefroren wird – das ständige Lüften macht die Räume kalt und unbehaglich. Ich denke, wir werden heiße Getränke anbieten müssen und vielleicht Decken oder dergleichen kaufen. Ich hoffe aber, dass wir die Schulen offen halten können, denn alles andere würde weitere Unruhe verursachen, das braucht im Moment niemand. Ich wünsche mir noch mehr Gewöhnungseffekte – die machen es einfacher. Ich wünsche mir auch, dass das Schulleben und soziale Leben wieder eine größere Rolle spielen.


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