Wochenanzeiger München Wir sind Ihr Wochenblatt für München und Umland

„Ich bin hier am richtigen Fleck“

Engagement für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Migrationsbiographien

Frieda Ottmann (l.) und Nele Oldenburg unterstützen geflüchtete Kinder beim Lernen. (Bild: InitiativGruppe e.V.)

Frieda Ottmann und Nele Oldenburg unterstützen geflüchtete Kinder beim Deutschlernen. Die beiden jungen Frauen lassen sich immer wieder neue Ideen einfallen, wie man Spaß am Lernen spielerisch entwickelt und beobachten dabei, wie schnell die Kinder Deutsch erlernen und an ihrem neuen Heimatort ankommen.

Gemeinsam bewältigt

Frau Oldenburg, Frau Ottmann, Sie engagieren sich seit ca. einem Jahr ehrenamtlich bei InitiativGruppe e.V. Was genau machen Sie und was bewegt Sie dazu?

Frieda O.: Eigentlich habe ich bereits 2015 nach einer Unterstützungsaufgabe für geflüchtete Menschen gesucht und mich schon damals bei einigen Einrichtungen danach erkundigt, aber die passende Aufgabe habe ich bei InitiativGruppe e.V. gefunden. Sehr geholfen hat mir dabei die Tatsache, dass ich mich mit Nele zusammengeschlossen habe und wir gemeinsam den entscheidenden Schritt in Sachen Ehrenamt gemacht haben.

Nele O.: Ja, die Hemmschwele vor dem „ersten Schritt“ haben wir gemeinsam bewältigt und uns im Projekt Bürgerschaftliches Engagement bei InitiativGruppe e.V. erkundigt, auf welche Art und Weise wir geflüchteten Menschen helfen könnten. Zunächst wollten wir eine kleine Konversationsgruppe mit erwachsenen Frauen durchführen, aber die Lockdown-Einschränkungen ließen das Projekt leider ins Stocken geraten, sodass ich beschlossen habe, eine neue Aufgabe zu übernehmen. Jetzt betreue ich einmal wöchentlich zwei Mädchen (6 und 9 Jahre) beim Lernen und bei den Hausaufgaben.

Oft spielerisch geübt

Was sind die Herausforderungen bei den ehrenamtlichen Aufgaben?

Frieda O.: Auch ich habe die Lernunterstützung für ein Kind einer geflüchteten Familie übernommen und betreue den Grundschüler seit mehreren Monaten. Der Junge hat in dieser Zeit eine wahnsinnig schnelle Entwicklung gemacht, wenn man bedenkt, dass er anfangs noch kein Wort Deutsch verstand. Anfangs habe ich schon mal gegrübelt, wie man einem Kind beim Buchstabieren hilft, wenn es die Bedeutung der meisten Wörter noch gar nicht gelernt hat. Das war eine große Herausforderung, aber wir haben das Sprechen oft spielerisch geübt und inzwischen beherrscht er erstaunlich gut Deutsch.

Immer mit Maske

Welche Rolle spielt die Pandemie mit ihren „Begleiterscheinungen“ bei Ihrem Engagement?

Nele O.: Beim ersten Einsatz war es der Lockdown, der uns die Durchführung eines Gruppenangebots unmöglich gemacht hat. Aber im Moment spielt die Pandemie zum Glück keine entscheidende Rolle. Selbstverständlich halten wir die Hygienevorgaben ein und ärgern uns manchmal über das Maskentragen, vor allem, wenn man ein Wort besonders deutlich aussprechen und erklären will. Trotzdem haben wir uns alle schon längst an die Einschränkungen gewöhnt.

Frieda O.: Aufgrund der ehrenamtlichen Aufgabe konnte ich mich sogar früher impfen lassen. Bei den Treffen mit meinem Schüler tragen wir beide immer einen Mundschutz und auch hier im Haus wird sehr auf die Sicherheitsmaßnahmen geachtet, sodass ich mich stets sicher gefühlt habe. Ich denke, das Schlimmste wäre, wenn die Schulen wieder schließen würden und die Kinder erneut keinen Kontakt zur Außenwelt hätten. Das könnte den Sprachlernprozess wieder enorm verlangsamen.

Für die Zukunft der Kinder

Mit Ihrer Unterstützung helfen Sie nicht nur den Kindern, sondern tragen Sie zum Integrationsprozess der ganzen Familie bei. Wie erleben Sie das?

Nele O.: Wir können auf jeden Fall die Entwicklung beobachten und die Menschen bei dem Lern- und Integrationsweg begleiten. Ich selbst habe gesehen, wie schnell eine junge Frau sich hier in München heimisch gefühlt hat. Nach den unermesslichen, traumatisierenden Erlebnissen kommen die Menschen hier zur Ruhe und nehmen München deshalb sehr schnell als ein neues „Zuhause“ wahr.

Frieda O.: Die Familie des von mir betreuten Schülers ist auch sehr bemüht, sich hier in Deutschland in jeglicher Hinsicht schnell einzuleben. Die Eltern legen sehr viel Wert auf die Zukunft der Kinder, deren Bildung aber auch die Freizeitgestaltung. Wenn sie dabei Unterstützung bekommen, sind sie wirklich sehr dankbar. Das bekommen wir, die Ehrenamtlichen oft zu spüren. Wir werden regelmäßig mit Essen versorgt und lesen die Dankbarkeit und Freude über unsere Tätigkeit bei jedem Blick in die Augen aller Familienangehörigen.

"Die Aufgabe gibt meinem Alltag mehr Sinn"

Was bekommen Sie denn zurück? Würden Sie andere Freiwillige ermuntern, sich für Menschen mit Migrationsbiographien zu engagieren?

Frieda O.: Auf jeden Fall beeinflusste die ehrenamtliche Aufgabe mein Weltbild und machte mir die Augen für politische Themen wie Flucht- und Migration noch deutlicher auf. Gleichzeitig wird einem bewusst, wie privilegiert das eigene Leben ist und dieses Gefühl ruft das Bedürfnis hervor, etwas zurückgeben zu wollen. Heute bereue ich nur, mit dem Engagement nicht schon früher begonnen zu haben. Ich war mir lange unsicher, ob ich geeignet bin, anderen Menschen die Sprache beizubringen oder den Kindern beim Lernen zu helfen. Dabei braucht man dafür keine Vorkenntnisse oder Erfahrung, das Meiste macht man intuitiv. Aber das Wichtigste ist, wie viel man dabei selbst zurückbekommt: Seit ich mich um den Schüler ehrenamtlich kümmere, bringt jede Begegnung mit dem Kind irgendwie mehr Sonne in meinen Wochenablauf und macht einfach unfassbar viel Spaß!

Nele O.: Auch für mich persönlich spielt die ehrenamtliche Tätigkeit eine besondere Rolle. Da meine Familie nicht in München wohnt und ich sie nicht oft besuchen kann, habe ich gemerkt, dass die Begegnungen mit den Mädchen, die ich beim Lernen unterstütze, auch einen wichtigen emotionalen Platz in meinem Herzen haben. Die Aufgabe gibt meinem Alltag mehr Sinn und ich habe das Gefühl, hier einfach am richtigen Fleck zu sein. Also überlegt nicht zu lange, sondern macht einfach mit!

Ehrenamtliche gesucht

Das Projekt Bürgerschaftliches Engagement für Integration und Geflüchtete vermittelt ehrenamtliche Unterstützerinnen und Unterstützer an Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Migrationsbiographien in der ganzen Stadt. Derzeit wird besonders im Stadtteil Obersendling nach neuen Freiwilligen gesucht, die Zeit und Lust haben, eine Hausaufgabenbetreuung, Nachhilfe in einzelnen Fächern oder Unterstützung beim Deutschlernen zu übernehmen. Kontakt aufnehmen kann man unter Tel. (089) 544671-70 oder per Mail an ehrenamt@initiativgruppe.de. Ansprechpartnerinnen sind Lidia Bosak und Aycag Yalcin.

 


Verwandte Artikel

Startseite Anzeige aufgeben Zeitung online lesen Jobs Kontakt Facebook Anfahrt