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"Ein Spaß gehört dazu, böse ist man deswegen nicht!"

Bella Hinterhof: Italien beginnt hinter dem Pasinger Bahnhof

Astrid am Spinnrad. (Bild: Mino)

Es ist ein sonniger Sommertag. Ein halbes Dutzend Stühle stehen verstreut im Kreis herum. Die Wäsche weht in der warmen Sommerbrise an den Leinen. Vor den Häusern wachsen bunte Blumen. Die Menschen hier sitzen im Schatten der Bäume, genießen das schöne Wetter und trinken selbstgemixte Fruchtsäfte. Einige dösen vor sich hin. Andere lesen ein Buch oder unterhalten sich. An den meisten der geöffneten Fenstern dieses Hinterhof sind gepflegte Blumenkästen zu sehen. Die dunkelbraunen Fensterläden bringen die Farben der Pflanzen erst richtig zum Leuchten. Es ist früher Nachmittag. Sind wir in einem verschlafenen italienischem Dorf gelandet? Irgendwo in Sizilien oder Neapel?

Ein Paradies

Eher nicht! Denn die Bäume, die hier stehen, sind keine Pinien, Feigen- oder Olivenbäume, sondern Kastanien. Die Muttis rufen ihre Kinder auch nicht Giuseppe, sondern Benedikt oder Moritz. Es wird auch nicht italienisch, sondern überwiegend bayrisch gesprochen. Also sind wir nicht in Italien, das ist jetzt klar! Nein! Wir sind mitten in Pasing. Umgeben von alten, liebevoll renovierten Genossenschaftshäusern. Ein U-Block der 40er Jahre, wie sie früher gerne gebaut wurden und bis heute erhalten sind. "Hier ist unser kleines Italien, unser Paradies!" Da sind sich die Anwohner einig, obwohl sie lieber von ihrem "Kaffee Hinterhof" sprechen. Jung und Alt sitzen gemütlich zusammen und verbringen gemeinsam ihre freie Zeit.

Kleine Feuerwehrmänner

Die Kleinsten sausen mit den Dreirädern auf den hübsch gepflasterten Wegen im Hof herum. An heißen Tagen spritzen sie mit dem Gartenschlauch und gießen die Sträucher. Kleine Feuerwehrmänner sind sie dann und das mit entsprechender Geräuschkulisse, an der sich hier keiner stört. Größere spielen fangen und verstecken in den Büschen. Manche ruhen sich auf der Nestschaukel einfach faul aus. Die älteren Kinder lachen zusammen über die neuesten YouTube-Videos, die sie auf dem Handy abspielen. Die Erwachsenen tauschen Neuigkeiten aus und erzählen sich alte Geschichten von Früher. Manchmal auch öfter. Immer wieder hört man sie zusammen lachen. Die Nachbarn, die noch in ihren Wohnungen sind, werden aus der Mitte des Hinterhofes gegrüßt. Oder es wird einfach gewunken.

Leben und leben lassen

Die Menschen, die hier gemeinsam leben, sind zwischen zwei und 82 Jahre. Zumindest so ungefähr. Friedlich und lustig geht es in der Hofgemeinschaft zu. Eigentlich nichts Besonderes, möchte man meinen. Und doch ist dieser private Hinterhof eine ganz besondere Oase. Da gibt es einen kleinen Schrebergarten neben dem Aschentonnenhaus, den sie gemeinsam angelegt haben. Nicht größer als 4 mal 5 Meter. Ein Manneken Pis verrichtet an sonnigen Tagen dank seiner solarbetriebenen Pumpe sein kleines Geschäft. Dabei beobachten ihn ein Plastikferkel, eine Keramikentenfamilie und ein Gartenzwerg, der seine Finger als Peace-Zeichen in die Luft streckt. Auch ein kleiner Buddha lächelt gnädig. Kitsch oder Kult? Darüber ist die Hinterhofgemeinde nicht einer Meinung. Gestritten wird hier aber nicht darüber. "Leben und leben lassen" ist die Devise.

"Es wir keiner jünger"

Aber das ist nicht der einzige Grund, der diese Gemeinschaft so besonders macht. Und auch nicht die Tatsache, dass hier jeder auf den anderen achtet. "Schon morgens, wenn ich im Garten die Wäsche aufhänge", so erzählt eine Dame, "schaue ich, ob etwas auffällig ist. Sind bei meiner Nachbarin die Fensterläden noch zu, klingel ich einfach und sehe nach dem Rechten. Man weiß ja nie. Es wird ja keiner jünger!" Es sind bunt gemischten Leute, die hier im Genossenschafts-U-Block leben und die das Paradies "Kaffee Hinterhof" so perfekt machen. Irgendwie bekommt man den Eindruck, dass hier jeder etwas ganz Besonderes ist und kann. Da gibt es eine Künstlerin, die aus Speckstein Skulpturen und Ketten Anhänger zaubert. Eine Buchautorin, die den Kindern die Abenteuer des Regenwurms Mino aus ihrem eigenen Kinderbuch vorliest. Wieder andere fädeln und knoten Halsketten und Armbänder. Auch das kunstvolle Verzieren von Fingernägeln wird hier beherrscht. Selbst Leinwand, Pinsel und sportliche Aktivitäten kommen nicht zu kurz. "Unsere Kinder können hier einfach viel Neues ausprobieren und eigene Erfahrungen im Umgang mit verschiedenen Materialien machen. Das ist eine tolle Bereicherung!" berichtet der, den hier alle spaßeshalber nur den Bürgermeister vom Hinterhof nennen

Fast vergessene Technik

Hier gibt es für viele Bewohner Kosenamen, wie Häkelinge. Es wird aber auch gestrickt und gehäkelt und, im wahrsten Sinne des Wortes, gesponnen und zwar von Astrid. Ihr Spinnrad ist fester Bestandteil der illustren Runde. Nicht nur die klassische Schafwolle wird dabei verwendet. Auch spezielle Hundehaare finden ihren Einsatz. "Meine neueste Idee ist die Natur- oder Sonnenfärbung!" erzählt Astrid auf Nachfrage und zeigt stolz auf ihre Einweggläser, die in dem liebevoll angelegten kleinen Gärtchen in der Sonne stehen. "Naturbelassene Wolle, vermischt mit speziellen Blumenmischungen. Eine fast vergessene Färbetechnik! Ich bin schon sehr auf das Ergebnis gespannt!" Denn so schnell geht sie nicht, die Naturfärbung. Das kann schon einige Wochen dauern, bis die Fasern der Wolle die Farben der Pflanzen angenommen haben. "Vielleicht lässt sie damit ja sogar irgendwann ein paar Euro verdienen, wenn die Testphase erfolgreich verläuft und abgeschlossen ist!" fügt die Briefzustellerin hoffnungsvoll hinzu.

Stolz auf die Gemeinschaft

Aber selbst das ist nicht alles, was diesen Hinterhof so ausgesprochen liebenswert macht. Es ist die wahrscheinlich die Tatsache, dass die Lederhose hier nicht nur zum Oktoberfest anzogen wird. Jeder redet mit jedem, egal woher man kommt oder was man ist. Man ist hier mächtig stolz auf die gewachsene Gemeinschaft und pflegt sie auch nach besten Kräften. Auch das anstehende, jährlich stattfindende Hoffest ist ein geliebtes Ritual geworden, ebenso wie das alljährliche Weihnachtssingen bei Kerzenlicht mit Kirchenchor. Dann ist es 18 Uhr geworden. Ein alter, runder Biergartentisch wird aufgestellt. Weitere Anwohner des U-Blocks genießen die laue Sommerluft mit ihren Nachbarn. Besteck und Teller beginnen zu klappern. Ein Feierabendbier bloppt. Essenszeit. Wer Lust hat, isst im Freien und stört sich nicht daran, dass die Nachbarn auf den Teller schauen und den einen oder anderen Kommentar dazu abgeben.

"Ein Spaß gehört dazu, böse ist man deswegen nicht!" sagt die selbsternannte Hausmeisterin und Rentnerin. Dabei lacht sie. "Auch neu zugezogene Nachbarn des U-Blocks werden herzlich in der Runde aufgenommen. Nur die fremden Leute, die ihre Hundsviecher in unseren Hinterhof machen lassen, mögen wir nicht!" führt sie aus und erklärt, dass sie da sehr allergisch darauf reagiert.

Dann geht der Sommerabend in Bella Hinterhof langsam zur Neige. "So schön könnte es das ganze Jahr sein!" flüstert einer und macht sich auf den Weg in seine Genossenschaftswohnung. Es ist 22 Uhr. Genossenschaftlich angeordnete Nachtruhe. "Ein paar Zwiderwurzen gibt es immer, die einem das Paradies auf Erden nicht gönnen! Da kann man halt nichts machen! Manchmal würden wir schon noch gerne länger unten sitzen. Aber des dürf ma ned!" Sein Augenzwinkern verrät, dass sich die Hinterhofgemeinschaft auch mal über die verordnete Sperrfrist hinwegsetzt. Aber das ist eine andere Geschichte.


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