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„Fehler gehören dazu“

Wie kommen wir zu unseren Entscheidungen?

Wie treffen wir Entscheidungen? (Bild: colourbox.com)

Impulsiv oder mit Bedacht? Mit dem Verstand oder mit dem Bauch? – Wie treffen wir Entscheidungen? Und welche Rolle spielt die Zeit bei der Entscheidungsfindung? „Kommt Zeit kommt Rat“ heißt es im Volksmund. Aber ist die Zeit wirklich ein guter Ratgeber? Manche Entscheidungen drängen, lassen keine Zeit zum Überdenken, weil sie rasch gefällt werden müssen. Wer oder was uns letztendlich dabei hilft zu entscheiden, hängt von der Situation und von der zu treffenden Entscheidung ab – darüber sind sich unsere sieben Gäste beim Sommergespräch im Hirschgarten einig. „Manche Entscheidungen brauchen Zeit, andere nicht“, meint Fußball-Nationalspielerin Melanie Behringer. „Bei einem Elf-Meter zum Beispiel muss ich schnell entscheiden, wer den schießt. Wenn es um einen Vereinswechsel geht, dann dauert die Entscheidung länger. Da werden Familie, Freunde und Berater gefragt. Dann holt man sich Rat.“ Neben der Zeit spielen also auch andere Faktoren eine tragende Rolle bei der Entscheidungsfindung: Wir brauchen Informationen, wir bauen auf unsere Erfahrung und unser Wissen, wir hören auf unser Herz oder den gesunden Menschverstand. Manche Entscheidungen fußen auf der Weisung unserer „inneren Stimme“, andere auf unserem Gottvertrauen und dem Glauben an göttliche Führung.

„Ich bin entscheidungsfreudig“

„Ich bin sehr entscheidungsfreudig und entschlossen“, erklärt Staatsminister Georg Eisenreich. Das müsse man in seinem Beruf auch sein, wo täglich viele Entscheidungen anstehen. Gut durchdacht, abgewogen und vorbereitet sind die Entscheidungen dennoch. Die Verwaltungsmitarbeiter um den bayerischen Staatsminister recherchieren, holen Fachwissen, verschiedene Meinungen und Erfahrungsberichte ein und legen dieses Gesamtpaket zur Entscheidung auf den Tisch. „Manchmal, wenn noch etwas fehlt, dann wird die Entscheidung vertagt, um noch weitere Informationen einzuholen. Aber auch das ist eine Entscheidung“, so Eisenreich. Besonders politische und bürokratische Entscheidungsprozesse erscheinen jedoch manchen Bürgern zu langwierig. Vom Beschluss bis zur Umsetzung etwa einer lang gewünschten Ampel oder auch Gesetzesreform können oft Jahre vergehen. Dem Entscheidungswillen und der Entscheidungsbereitschaft der meisten Politiker sei dies jedoch nicht geschuldet, meint Bürgermeistrein Eva John aus Starnberg: „Politische Entscheidungen sind auch an Gesetze gebunden. Wir haben in Starnberg eine leistungsstarke Verwaltung, die gut ausgebildet ist und bürgerorientiert arbeitet. Aber auch wir verzweifeln manchmal an den Vorschriften.“ Oft hänge es auch an der Finanzierung, dass beschlossene Projekte nicht sogleich umgesetzt würden, ergänzt Georg Eisenreich. Wenn sich Politiker die Zeit nehmen würden, den Bürgern die Entscheidungsschritte im Nachhinein zu erklären, könnte man – nach Ansicht von Sophie Opitz, Projektmanagerin bei der Stiftung ICP – manchen Bürger-Verdruss verhindern.

Eine Nacht darüber schlafen

Während uns also manch eine Entscheidung zu langwierig erscheint, halten wir andere wiederum für übereilt. Pfarrerin Andrea Borger etwa findet, dass einige Entscheidungen mehr Zeit bedürften, als man sich nimmt: „Ich denke, dass wir manches nicht so gut hinterfragen, wie wir es sollten.“ Sich die Freiheit zu nehmen auch einmal eine Nacht über eine Entscheidung zu schlafen, hält auch ASZ-Leiter Peter Pinck für manche Situationen, etwa im beruflichen Alltagsleben, für sinnvoll.

Wie steht es mit den Jugendlichen? Nehmen sie sich noch Zeit für ihre Entscheidungen? Oder ist Zeit gar nicht der ausschlaggebende Faktor für sie, um etwa über ihre berufliche Zukunft zu entscheiden. „In der Gesellschaft sind kaum mehr Grenzen vorhanden. Viele Wege sind offen, was schön ist, aber ich denke, das überfordert viele Jugendliche. Viele wissen nicht, was sie machen wollen“, erklärt Alexander Wenzl von der Agentur für Arbeit. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, jungen Menschen Orientierungs- und Entscheidungshilfe beim Übergang von der Schule in den Beruf zu geben. Digital versiert und technisch fit seien die Jugendlichen. „Sie können viele Infos schnell erfassen, was eine Stärke ist. Was aber fehlt, ist in die Tiefe zu gehen, Sachen zu durchdenken und dann zu entscheiden.“ In den Einrichtungen der Stiftung ICP werde jungen Erwachsenen mehr Zeit und Raum gegeben, um ihre Neigung zu entdecken und ihren Beruf zu finden, erklärt dazu Sophie Opitz: „In unserem Berufsbildungswerk gibt es die Möglichkeit ein Jahr lang verschiedene Ausbildungsberufe auszuprobieren und Entscheidungshilfen zu bekommen. Das könnten auch andere Jugendliche brauchen.“

Mut zu entscheiden

Die perfekte, die „richtige“ Entscheidung können wir jedoch beruflich wie privat oft nicht treffen. Meist zeigt sich erst im Rückblick, ob eine Entscheidung gut oder schlecht war. Fehlentscheidungen zu treffen, gehört zum Leben. Zu Entscheidungen zu stehen, aus falschen Entscheidungen zu lernen und sie zu korrigieren sei daher eine wichtige Tugend – darin sind sich die Teilnehmer des Sommergesprächs einig. „Aus Negativbeispielen lernt man oft mehr als aus Jubelbeispielen“, davon ist Peter Pinck überzeugt. Sich dennoch den Mut zu bewahren zu entscheiden, hält Bürgermeisterin John für wichtig. Georg Eisenreich ergänzt: „Das schlimmste, was passieren kann, ist nicht zu entscheiden. Entscheiden heißt immer auch Verantwortung zu übernehmen.“ Aber werden Fehlentscheidungen in unserer Gesellschaft überhaupt noch akzeptiert? Darf man Entscheidungen noch revidieren oder droht gleich Rauswurf oder Rücktritt? Pfarrerin Andrea Borger meint, dass man heute sogar tolerant gegenüber Fehlentscheidungen sei. Nur ehrlich müsse man bleiben: „Die Akzeptanz für Fehlentscheidungen ist meiner Ansicht nach größer als früher. Wenn Personen des öffentlichen Lebens sagen ´Da habe ich etwas falsch gemacht` und dazu stehen und Verantwortung in welcher Form auch immer übernehmen, dann haben die Menschen dafür Verständnis. Das was biblisch „Umkehr“ heißt, also ich korrigiere mich mit anderen zusammen – ich glaube, dass dieser Wert sehr stark gestiegen ist.“

„Noch eine andere Instanz“

Was also zählt, wenn wir Entscheidungen treffen? Wie finden wir zu unseren Entscheidungen? Genügend Informationen, Wissen, Erfahrung oder genug Zeit zum Abwägen? „Ich bezweifle, dass die vielen Informationen für die Entscheidungsfindung ausschlaggebend sind“, sagt Pfarrerin Borger. Peter Pinck lässt das Gefühl mitentscheiden: „Bauch und Verstand gehören für mich zusammen. Man kann nicht nur faktengestützt handeln.“ Alexander Wenzel, der „eigentlich ein Kopfmensch“ ist, baut auf seine Werte, zunehmend auch auf seine Intuition. Nicht alle entscheiden aber nur aus sich selbst heraus. Wo die einen auf sich vertrauen, und „in sich hineinhorchen“, um eine Entscheidung zu finden, bauen andere auf ihren Glauben an Gott: „Wenn ich morgens ein Schriftwort lese und eine kurze Zeit des Gebets habe, dann habe ich noch eine andere Instanz, die für meine Entscheidungen da ist und mir Rückhalt gibt“, erklärt Pfarrerin Borger. Auf diese Führung zu vertrauen, habe auch sie erst lernen müssen. Jetzt ist sie gewiss: „Das Leben ist mehr und größer als die ganzen Erwartungen um mich herum. Da gibt es noch einen, der hinter mir steht und mir den Rücken stärkt.“

Stärkung durch den Glauben

Fußballerin Melanie Behringer kennt für sich die Stärkung durch den Glauben in ähnlicher Weise: „Ich bin gläubig und gehe auch so in den Tag, weil ich dadurch eine gewisse Sicherheit habe, egal was kommt. Ich kann dadurch auch mit Fehlentscheidungen viel besser umgehen, weil ich weiß, da wird nichts Böses daraus.“ Durch ihren Glauben erfahren auch Staatsminister Eisenreich und Bürgermeisterin John Halt und Leitung: „Persönlich achte ich viel auf mein Gefühl bei Entscheidungen. Der Pfarrer gibt mir sehr oft am Sonntag Anknüpfungspunkte während oder nach der Predigt, um nachzudenken“, so Eva John. Georg Eisenreich schließt das Sommergespräch mit den Worten: „Es ist gut zu wissen, dass es noch eine größere Dimension gibt und einen, der uns trägt und schützt und der größer ist als wir. Und es ist auch gut, sich nicht zu überhöhen und sich nicht so wichtig zu nehmen. Fehler gehören zum menschlichen Sein dazu. Entscheidungen muss man trotzdem treffen und auch dazu stehen.“

 

Unsere Sommer-Frage

Welche Ihrer Entscheidungen würden Sie gerne rückgängig machen? Unsere Gäste antworten:

Melanie Behringer: Ich habe keine, die mich negativ berührt hat.

Andrea Borger: Ich war alleinerziehend und habe sofort nach der Geburt meines Kindes wieder angefangen zu arbeiten. Diese Entscheidung habe ich oft bedauert, weil ich und das Kind im ersten Jahr dadurch zu viel Druck hatten. Aber ich weiß auch nicht, ob ich heute unter den gleichen Bedingungen anders entscheiden würde.

Georg Eisenreich: Die großen Entscheidungen, die mir persönlich wichtig sind, waren alle richtig. Ob Beruf, Studium, oder dann für meine Frau. – Ich bin auch froh, dass sie sich für mich entschieden hat.

Sophie Opitz: Mir fallen nur Situationen ein, wo ich nicht entschieden habe und mich hinterher darüber geärgert habe.

Eva John: Ich bedaure nur, dass ich als junge Frau keinen Motoradführerschein gemacht habe.

Peter Pinck: „Non, je ne regrette rien!“ Ich habe bestimmt viele falsche Entscheidungen getroffen und dann auch falsch gehandelt, aber dadurch gelernt. Deswegen ist da kein Hadern.

Alexander Wenzl: Ich stehe zu meinen Entscheidungen, so wie ich sie getroffen habe. Das einzige ist, dass ich vielleicht früher mutiger Entscheidungen getroffen hätte.

 

Unsere Gäste

Bei unserem Sommergespräch diskutierten:

Melanie Behringer (Fußball-Nationalspielerin: Weltmeisterin 2007, Olympiasiegerin 2016, Deutsche Meisterin 2015 und 2016, Bundesligaspielerin FC Bayern Fußball-Frauen)

Andrea Borger (Pfarrerin Christuskirche Gauting, bis 30. Juni an der Himmelfahrtskirche Sendling)

Georg Eisenreich (bayerischer Staatsminister für Digitales, Medien, Europa)

Sophie Opitz (Berufsbildungswerk der Stiftung ICP - Integrationszentrum für Cerebralparesen)

Eva John (Erste Bürgermeisterin Starnberg)

Peter Pinck (Leiter des Alten- und Service-Zentrums Laim)

Alexander Wenzl (Teamleiter, U25, Agentur für Arbeit München)

 

Unsere Zeit und wir

Ehrenamtliche schenken Zeit, Kinder brauchen Zeit und Erwachsenen fehlt sie häufig: Unser redaktionelles Schwerpunktthema 2018 mit vielen Beiträgen dazu ist „Zeit“. Auch alle unsere Sommergespräche beschäftigen sich mit einem Aspekt der Zeit: Dieses Gespräch über Entscheidungen fußt auf dem Sprichwort „Kommt Zeit, kommt Rat.“

Alle unsere Gespräche

Lesen Sie hier alle unsere Sommergespräche:

"Mit Verständnis füreinander“

Wann machen Veränderungen Angst?

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2599)

 

"Geil, krass, super!"

Wie wählen wir Worte?

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2586)

 

„Eine Entschuldigung ist keine leere Floskel“

Wie gelingt Versöhnung?

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2587)

 

"Wir bedeutet füreinander da zu sein"

Wer ist "Wir"?

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2588)

 

„Zuhören verbindet!“

Nehmen wir uns Zeit zum Zuhören?

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2589)

 

"Zur Kreativität gehört Leerlauf"

Lassen wir Kindern genug Zeit zum Kindsein?

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2593)

 

„Alle Generationen mitnehmen“

Wie werden wir älter?

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2590)

 

"Man gibt etwas und bekommt viel zurück"

Warum übernehmen Menschen Ehrenämter?

www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2591)

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