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"Der Stoff, der unsere Stadtgesellschaft zusammenhält"

SPD-Landtagskandidatin Micky Wenngatz spricht über Themen, die bewegen

"Wir" hat ganz vielfältige Gesichter", sagt Landtagskandidatin Micky Wenngatz (Bild: job)

Micky Wenngatz tritt für die SPD zur Landtagswahl an: Sie kandidiert im Stimmkreis 101 Hadern, zu dem neben Hadern Sendling-Westpark, die Hälfte von Forstenried und Fürstenried sowie ein Teil Laims zählen. Die 57-Jährige ist zudem Vorsitzende des Vereins "München ist bunt". Wochenanzeiger-Chefredakteur Johannes Beetz sprach mit ihr über die Sicherheit in der Großstadt, Extremismus und die Frage, wer "wir" ist.

Allzu lange die Augen verschlossen

Der aktuelle Verfassungsschutzbericht spricht von einer Zunahme von Links- wie Rechtsextremisten, von "Reichs"bürgern und von Islamisten. Wie erklären Sie sich das?

Micky Wenngatz: Gewalt, Terror und Hass sind zu verfolgen und zu bestrafen, egal wodurch sie motiviert sind. Allerdings wurden allzu lange die Augen vor den Umtrieben von Rechtsradikalen und sogenannten Reichsbürgern verschlossen. 2017 registrierten Sicherheitsbehörden rund 18.000 Anhänger der Reichsbürger und weit mehr als 1.000 rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten. Diese Entwicklung hat ganz gewiss etwas mit der politischen Rhetorik in unserem Land zu tun – wenn permanent vor Asylwellen und gefährlichen Islamisten gewarnt wird, dann fürchten sich die Menschen auch leicht, die Empfänglichkeit für politische Extreme steigt, auch wenn es den meisten Menschen verhältnismäßig gut geht.

Vielfältige Gesichter

München ist bunt: Es gibt unzählige Menschen, die die Stadtgesellschaft mitgestalten. Wie definieren Sie in einer Welt, die in immer mehr Einzelinteressen zersplittert, das "Wir", das eine - ja durchaus erfolgreiche - Stadt trägt?

Micky Wenngatz: Das Ehrenamt ist der Stoff, der unsere Stadtgesellschaft zusammenhält. „Wir“ hat ganz vielfältige Gesichter. Im Sportverein, im Hospiz, in der Eltern-Kind-Initiative, in der Flüchtlingshilfe, bei der Tafel, bei Green City oder einem der vielen anderen Vereine oder Initiativen in München.

Auf die Gefahren hinweisen

Wer die freiheitlich demokratische Grundordung bekämpft, verwirkt Grundrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit, das hat das Grundgesetz festgelegt. Andererseits behandeln Teile der Gesellschaft rechtsradikale Gruppen wie normale Parteien und machen Lügen mit dem Etikett Fake "News" zu einer Art von Nachrichten. Sind wir zu tolerant gegenüber der Intoleranz?

Micky Wenngatz: Meinungs- und Pressefreiheit sind neben der Menschenwürde die höchsten Güter eines freiheitlichen Rechtsstaates. Da muss man bei deren Einschränkung wirklich gute Gründe haben. Auf der anderen Seite müssen wir alle noch mehr auf die Gefahren von Rassismus, Hass und Diskriminierung von Minderheiten hinweisen. Und wir müssen darüber nachdenken, was Meinungsfreiheit heißt. Für mich heißt Meinungsfreiheit nicht, dass ich jedem Hassprediger ein Podium bieten muss. Hass und Rassismus sind keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

Aufklärung leisten

Ihr Verein "München ist bunt" glaubt, gegen Rechtsextremismus am wirksamsten mit Initiativen und Projekten vor Ort angehen zu können. Deswegen arbeitet der Verein mit den Bezirksausschüssen und anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammen. Welche sind das? Und wie erreicht man die Menschen, die nicht „bunt“ sind?

Micky Wenngatz: Die meisten unserer Mitglieder engagieren sich in ihrem Viertel, oft in den Bezirksausschüssen. Darüber hinaus leistet der Verein Aufklärung zum Beispiel durch Wanderausstellungen, die Schulen, Vereinen und Organisationen kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

Entschieden entgegentreten

Müsste man nicht in den Schulen mehr tun, um gegen Extremismus anzugehen?

Micky Wenngatz:

Unbedingt muss man Rassismus, Homophobie, Sexismus oder Antisemitismus entschieden entgegentreten. Gerade in Schulen. Es braucht eine bessere politische Bildung und Aufklärung.

Den Nazis die Stirn geboten

Was hat den Ausschlag gegeben, „München ist bunt!“ e.V. zu gründen? Was bewerten Sie als den bisher größten Erfolg des Vereins?

Micky Wenngatz: Als 2010 Neonazis zum 8. Mai durch mein Stadtviertel Fürstenried mit Fackeln und Stahlhelmen ziehen wollten, haben wir, die Mitglieder im Bezirksausschuss, innerhalb weniger Tage ein riesiges Kulturfest als Gegenprotest auf die Beine gestellt. Über 4.500 Bürgerinnen und Bürger Fürstenrieds kamen und haben den Nazis die Stirn geboten. Das war die Geburtsstunde des Vereins. Als größten Erfolg sehe ich, dass wir zu einem von allen Seiten anerkannten Akteur der Münchner Stadtgesellschaft geworden sind, der dem zivilgesellschaftlichen Protest Münchens gegen Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Sexismus ein Gesicht gegeben hat.

Lügen entlarven

Populisten versuchen, extremistische Positionen in den politischen Prozess einzubringen. Sogar nationalsozialistische Begriffe und Gedanken werden als „man wird doch wohl mal sagen dürfen“ geäußert. Wie begegnen Sie dem?

Micky Wenngatz: Wir machen es zum Thema. Wir zeigen auf die Hassprediger, wir entlarven ihre Strategie und wir entlarven ihre Lügen. Das ist alles nicht ganz einfach. Zu häufig suchen die Menschen einfache Antworten auf komplizierte Fragen einer ungerechten Welt. Wir dürfen nicht müde werden, Hass, Diffamierung und Diskriminierung einzelner oder ganzer Gruppen entschieden entgegen zu treten.

Enormer Wert

Eine stabile Demokratie bedeutet, immer wieder Kompromisse zu finden, nicht Mehrheitsentscheidungen durchzusetzen. Haben wir die Achtung vor dem Kompromiss verloren?

Micky Wenngatz: Eine Demokratie zeichnet sich auch dadurch aus, wie sie mit Minderheiten umgeht und diese in Entscheidungsprozesse mit einbezieht. Es gilt eben nicht das Recht des Stärkeren oder des Lauteren. Das alles hat einen enormen Wert, und diesen müssen wir immer wieder vermitteln.

Esskultur, Kultur und Arbeitsplätze

"München ist bunt" vertritt eine Politik, die Vielfalt als Chance begreift. Nennen Sie drei Beispiele, in denen Vielfalt eine im Alltag spürbare Chance ist?

Micky Wenngatz: Ich denke da zuerst an die Bereicherung unseres Speiseplans. Wer geht nicht gerne Pizza essen, holt sich ein Döner um die Ecke, geht zum Griechen oder isst beim Asiaten ein Curry-Gericht? Sie alle bereichern uns durch ihre Esskultur enorm. Stichwort Kultur: Denken wir an all die Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt, die die Kunstmetropole München erstrahlen lassen. Der Dirigent Kent Nagano etwa oder die Sopranistin Edita Gruberová. Oder auch die internationalen Firmen, die in München Arbeitsplätze schaffen, zu unserem Wohlstand beitragen und durch die wir Tritt halten bei der Globalisierung.


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