Wochenanzeiger München Wir sind Ihr Wochenblatt für München und Umland

"Schön, dass ihr da seid!"

Förderschüler übernehmen für Senioren Fahrten zum Wertstoffhof

Peter Hagmann (Mitte) hat Thomas und Annica mit Projektbetreuer Oliver Berand bereits erwartet. (Bild: pst)

„Ich sage nichts, kein Wort“, sagt die 14-jährige Annica. Nicht einmal klingeln möchte die Siebtklässlerin und eigentlich am liebsten gleich ganz im Transporter warten. „Thomas, das musst du machen“, meint sie kategorisch. Ihrem Klassenkameraden ist das Ganze ebenfalls nicht geheuer. Seine Schritte Richtung Haustür werden immer langsamer. Es ist der erste Einsatz der Schüler des Germeringer sonderpädagogischen Förderzentrums, der Eugen-Papst-Schule, bei ihrem Projekt „Wir entsorgen – ohne Sorgen“. Seit Sommer 2013 holen dabei die Schüler der siebten bis neunten Klassen bei Senioren und mobilitätseingeschränkten Bürgern Wertstoffe ab und bringen sie zum Recyclinghof. Telefondienst, Terminierung, Route, Organisation - all das wird von der Schülerfirma eigenständig durchgeführt. Im Sommer fahren die Schüler mit der Schulfahrradflotte, die anschließend vom Zweiradmechanikerkurs der Schule gewartet wird und die Wertstoffe werden mit einer kultigen Piaggio APE abtransportiert. Jetzt ist aber Winter und Projektbetreuer Oliver Beran fährt die Schüler im VW-Bus.

Bei den Einsätzen hält sich Beran bewusst im Hintergrund. „Die Schüler schaffen das alleine“, ist er sicher. Vorstellen sollen sich die beiden, erklären wer sie sind und was sie wollen, muntert er auf. Die Schüler sind mittlerweile an der Haustür eines Reihenhauses angekommen. Thomas gibt sich einen Ruck und klingelt. Die Schüler werden schon erwartet: „Schön, dass ihr da seid“, freut sich Peter Hagmann. Ihr Sprüchlein brauchen die beiden gar nicht mehr aufzusagen. Altglas, Altpapier und ein paar Bretter stehen bereit. Seit drei Wochen sei er gesundheitlich angeschlagen, erklärt der über 80-Jährige. „Es ist eine große Hilfe, dass die Schüler die Wertstoffe abholen“, lobt er. Überhaupt sei er beeindruckt, dass Gemeinwohl und Hilfsbereitschaft in der heutigen Zeit noch praktiziert werden. Hagmann hat den Schülerdienst schon öfter in Anspruch genommen. Die Schüler seien stets ausnehmend höflich und freundlich, schwärmt er. In seinem Bekanntenkreis wirbt er immer wieder für diesen Service. Viele hätten aber Vorbehalte gegenüber Jugendlichen. „Da müssen die Alten auch noch dazu lernen“. Hagmann bedankt sich herzlich bei den Schülern. Vor allem bei Annica, mit der er im Vorfeld den Termin ausgemacht hatte. Von der Ehefrau gibt es noch Schokolade und Geld für die Klassenkasse als Spende. Der Abholservice ist nämlich kostenlos. Annica hat angesichts des freundlichen Empfangs ihre Schüchternheit abgelegt. „Wir freuen uns, wenn Sie wieder anrufen“, meint sie beim Abschied. „Voll nett“ lautet das Urteil der beiden Schüler zurück im Auto. „Der hat sich sogar meinen Namen gemerkt“, staunt das Mädchen.

Sortieren am Wertstoffhof

Bei der nächsten Kundin werden die Kinder ebenfalls freundlich empfangen. Seit fünf Monaten könne sie aus gesundheitlichen Gründen nicht Autofahren, erklärt die ältere Dame aus der Wohnblocksiedlung. Den Abholservice hat sie zum ersten Mal gebucht. Die Wertstoffe stehen schön säuberlich sortiert für den Abtransport bereit. Auch hier gibt es ein paar Scherze, viel Lob und einen Obolus für die Klassenkasse. Bei diesem Erfolg steigt das Selbstbewusstsein der Kinder sichtlich und bei der letzten Kundin für diesen Tag sind die Schüler fast schon Routiniers. Schnell werden Gläser, Schachteln und kleiner Sperrmüll eingesammelt. Die Zeit drängt ein wenig, denn um 12 Uhr macht der Wertstoffhof zu.

Dort angekommen steht die Hauptarbeit den Schülern noch bevor. Sie ziehen Arbeitshandschuhe an und werfen Papier und Sperrmüll in die Container. Annica bedauert, dass sie ihren schönen Anorak angezogen hat, denn ohne Spuren geht die Arbeit nicht vorbei. Am Sortiertisch des Wertstoffhofs trennen die Jugendlichen den Plastikabfall. Tetrapacks, PET-Flaschen, Becher und Folien werden sortiert und in unterschiedliche Säcke geleert. Den Neulingen hilft ein Mitarbeiter des Wertstoffhofs. „So etwas gab es an meiner früheren Schule nicht“, lobte er das Projekt.

Ersten Platz des Prämien-Programms

Bayernweit ist das Projekt „Wir entsorgen ohne Sorgen“ einzigartig. Vor kurzem hat die Eugen-Papst-Schule dafür vom Landkreis Fürstenfeldbruck den ersten Platz des Prämien-Programms für Landkreisschulen belegt. „Die Schüler planen die Fahrten im Team selbstständig und setzen sich aktiv mit Entsorgung und Mülltrennung auseinander. Sie werden sozial aktiv, indem sie älteren und gebrechlichen Menschen helfen und erwerben durch die Wartung der Fahrzeuge vertiefte technische Kenntnisse“, lobte Stellvertretende Landrätin Martina Drechsel bei der Preisverleihung.

Und noch etwas: Mit ihrer hilfsbereiten, zupackenden Art helfen die Schüler Vorurteile gegenüber einer angeblich faulen und uninteressierten Jugend abzubauen. Die Schüler wiederum werden durch den respektvollen Umgang und dem Bewusstsein, wirklich sinnvoll helfen zu können, in ihrer Persönlichkeit gestärkt. Darüber hinaus erlernen die Kinder ein souveränes Auftreten gegenüber Erwachsenen. „Für spätere Bewerbungen und das Berufsleben ist das sehr wichtig“, weiß Beran.

„Wir haben gelernt mit Senioren nett umzugehen, auch wenn sie mal schlecht gelaunt sind“, so lautete das Resümee, das Naomi und Marie nach einem halben Jahr Projektarbeit gezogen haben. Mitschülerin Servin ist sogar ein bisschen traurig, dass sie nun keinen Kontakt mehr zu den „netten Senioren“ haben wird, die immer auch ein wenig von sich erzählt hätten. „Das hat Spaß gemacht“.


Verwandte Artikel

Startseite Anzeige aufgeben Zeitung online lesen Jobs Kontakt Facebook Anfahrt