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Kindheit und Jugend in Allach

Erinnerungen aus einem gelebten Leben (Teil 1)

Bild 1 (Bild: Titelseite ohne Verfasser, Kopie Demmel)

Eines Tages sah ich auf einem meiner Streifzüge durch unseren Stadtbezirk einen alten Herrn (ca. Mitte 80) am Gartentor seines Hauses in Untermenzing stehen. Ich war mir gleich sicher, dass ich hier an der richtigen Stelle für eine meiner Recherchen wäre. Nachdem ich mich vorgestellt hatte, lud mich Herr H. zum Gespräch in seinen Garten ein. Es wurde der Beginn einer Serie von Besuchen, bei denen ich immer mehr über sein Leben in Erfahrung brachte. Er hatte in Allach die Jahre des Dritten Reiches erlebt und in seiner Zeit als Rentner diese Jahre in einem Buch aufgezeichnet, das mir hier als einmaliges und vom Bruder ausgeliehenes Zeitdokument vorliegt (Bild 1).

Es ist voller subjektiver Sichtweisen und Einschätzungen und zeigt dem Leser, wie ein Kind und Jugendlicher jener Zeit politische und öffentliche Vorgänge gesehen, einfach hingenommen und manchmal sogar verarbeitet hat.

Die frühe Kindheit: Die Familie wohnte ursprünglich in Schwabing, man kaufte sich aber 1927, im Jahr der in Deutschland einsetzenden Arbeitslosigkeit, ein Grundstück am Allacher Wiedweg (Bild 2, bei Rudolph Widweg), der heutigen Franz-Nißl-Straße, und fing mit Familienhilfe zu bauen an. Ein abenteuerlicher „Spielplatz“ für den erst Zweijährigen! Als Allacher Lokalereignisse blieben offensichtlich in Erinnerung der Brand beim Mooseder-Bauern, der strenge Winter 1928/29 mit der Überschwemmung durch die zugefrorene Würm, die erste Autofahrt und die Landung des Luftschiffes Graf Zeppelin auf dem Oberwiesenfeld, eine Zugreise von Allach nach Bamberg, 1929 die Gründung eines Textilgeschäftes durch die Eltern, das erste Radio (die Eltern waren in Allach die Dritten) und das sonntägliche Freibad im Würmkanal (Bild 3) beim Karlsfelder Schloß (oder Hauser, Allacher oder Gilm-Schloß).

Auf den noch nicht asphaltierten Straßen wirbelten die angeblich ersten Allacher Autos der beiden Ärzte Dr. Stuhlberger und Dr. Yblacker mächtig Staub auf, der Wiedweg aber blieb ein Idyll, ideal als Spielplatz für alle Kinder der nahen und ferneren Nachbarschaft. Sie konnten noch ungestört Kanäle und Rinnen auf der regennassen Straße ziehen, barfüßig im „Baaz“ waten, das „mit großen schmierigen Ketten angetriebene Löwenbräuauto mit seinen Vollgummireifen bestaunen und hinter den Pferdefuhrwerken für die Mutter die „Roßboin“ für die Gartendüngung einsammeln. Fußball auf der Wiese hinter den Krauss-Blöcken wurde grundsätzlich barfuß gespielt, die Füße mußten dann am Abend mit der „Wurzelbürste“ traktiert werden.

Als Spielfreunde nennt mein Autor den Otto von Poten (1914-2008), dessen Todesanzeige ich zufällig im Internet gefunden habe, den Erhart Kurti, den Reichert Alfred, die Baumann Annelies (vom Schuster), die Baumann Marianne (vom Konsum), den Estermann Ernstl und die Kinder von den Krauss-Blöcken. Gespielt wurde mit dem „Radlrutsch“ (Roller) und verrosteten Fahrradfelgen, die es in der Bahnhofskiesgrube zu finden gab, mit den man dann ein wildes „Reifentreiben“ veranstaltete.

„Über all dem dominierten bei uns die Gemeinschaftsspiele, zu denen sich stets ein zahlreicher Kreis von Kindern aus der Nachbarschaft zusammenfand: Kreuzlhupfen und Schussern.“ Im Herbst nach der „Arnt“ (Ernte) ließen die Buben auf dem Stoppelfeld gleich neben dem Haus ihre selbstgebastelten Drachen steigen. Man stelle sich das heute vor: Mitten neben der Franz-Nißl-Straße!

Die Schulzeit: ABC-Schütze war damals keine so aufregende Sache wie heute, wohlgefüllte Schultüten waren nämlich in Bayern unbekannt. Von der Mutter begleitet und mit einem Schulranzen aus gelackter Preßpappe ging man in das alte Allacher Schulhaus in der Eversbuschstraße und wurde dort bei der Lehrerin abgeliefert. Ein neues Schuljahr begann damals in Bayern im April, für unseren Kandidaten vom Schülerjahrgang 1924/25 (Bild 4 mit Lehrerin Engelhardt) also im Jahr 1931. In diesem Jahr wurde die westliche Seite der Hauptstraße (Eversbuschstraße) verbreitert und geteert, die östliche war bereits gepflastert. Der Wiedweg zwischen der Südenstraße (Vesaliusstraße) und Höcherstraße, ein Feldweg ohne Untergrund, wurde von der Firma Sager & Woerner mit Kies aufgeschüttet und mit einer Dampfwalze verdichtet. Natürlich lockten diese Baumaßnahmen die Kinder magisch an.

Die neben der Straße aufgeschütteten Erdwälle ließen schnell Kriegsspiele zu, bei denen sich die Knaben mit Erdknödeln und Steinen bewarfen. Ein besonders schwerer mit einem Stein im Erdknödel führte bei unserem Zeitzeugen zu einer so schweren Kopfverletzung, dass er wochenlang nicht in die Schule gehen konnte. Der Steinwerfer war einer der beiden Söhne des Polizeikommissärs Penzkofer von der Allacher Gendarmerie. Windpocken und Grippe kosteten weitere Wochen ohne Schulbesuch. Dass viele Schüler Scharlach und Windpocken bekamen, führt unser Gewährsmann auf die „kolossale Unterernährung in vielen Familien und die schlechten Wohnverhältnisse“ zurück. Es gab damals noch keinen Impfstoff und keine Medikamente gegen diese Krankheiten.

In Allach wurde schon früh ein Kino eröffnet, vermutlich Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre. „Kino? Eigentlich war es eine alte Wellblechgarage an der Bahnhofstraße (Georg-Reismüller-Straße), die den Sensers gehörte – im Haus daneben. Das Kino lag fast genau gegenüber der zur Krautheim-Fabrik führenden Straße, die bei der Schranke über die Bahngleise ging.“ Auf Bild 5 sieht man im Hintergrund das Allacher „Wellblechkino“ mit dem Besitzerhaus, im Vordergrund ganz rechts einen Hitlerjungen in Uniform. Das Foto betrifft eine andere Familie, die es mir überlassen hat. Die Geschichte dieses Kinos aber ist so interessant, dass sie einen speziellen Artikel geradezu fordert.

Wenn man die richtigen Eltern hatte, kam man aber auch über Allach hinaus. So bei der ersten Bergtour unseres Schülers zum Herzogstand, auf die er sich zuerst wahnsinnig freute, deren wirklicher Verlauf mit ganz frühem Aufstehen, einer Bahnfahrt mit dem Vorortszug zum Hauptbahnhof München, weiter nach Kochel und einem unendlich langen Fußhatsch über die alte Kesselbergstraße verbunden war. Es ging so steil bergauf, dass die Eltern für unseren kleinen Mann einige Male rasten mußten. Vier Stunden bergauf, ein „Kracherl“ zum Trinken und oben endlich der „Schwammerl“ (Bild 6) als ersehnten Endpunkt, den es heute so nicht mehr gibt! Das Zurück war eine weitere Tortur. Und zur Erinnerung einen über Tage dauernden Muskelkater. Wie schön war es in Allach zu Hause.

Teil 2 folgt!

 

 

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