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Die Geschichte des Untermenzinger Kirsch-Geländes

Stadtteilhistoriker Dr. Walter G. Demmel berichtet über Untermenzings einzigen Industriebetrieb

Bild 1 (Bild: Demmel)

Die entscheidende Entwicklung Allachs und Untermenzings vom bäuerlichen Straßendorf zum Münchner Stadtteil wurde nicht nur von der nahen Stadt beeinflußt, sondern in hohem Maße von der 1892 für den Personenverkehr eröffneten Eisenbahnlinie München-Ingolstadt. Allach erhielt seinen Bahnhof bereits mit der 1867 eröffneten Eisenbahnlinie München-Ingolstadt, das südlich anschließende Untermenzing seinen Haltepunkt der S-Bahn erst 2006 im Rahmen des Ausbaus der Schnellfahrtstrecke München – Ingolstadt – Nürnberg. Am 14.11.1867 wurde die Bahnlinie München – Ingolstadt mit einem Bahnhof in Allach offiziell eröffnet, der auch für Untermenzing fast 140 Jahre Station war. Sicher trugen auch die beginnende Industrialisierung, der langsam steigende Lebensstandard und die rasch wachsende Bevölkerung zum überall sichtbaren Wandel der Dorfstruktur bei. Einen wesentlichen Beitrag zu den Veränderungen in Untermenzing leistete die Ansiedlung der Firma Kirsch & Söhne auf Menzinger Flur. Das Untermenzinger Kirschgelände erstreckt sich von der Hintermeierstraße im Norden bis zur Allacher Straße im Süden und von der Kirschstraße im Westen bis zur Bahnlinie im Osten und ist heute ein reines Gewerbegebiet.

Die ursprüngliche Ausgangssituation auf dem Kirschgelände beschrieb ein von Rudolph (S. 79) zitierter, aber inzwischen verstorbener Zeitzeuge wie folgt: „Als ich zur Schule ging war nichts in Allach und Untermenzing als eine Schneidsäge bei Kirsch. Es waren zwei Gatter, aber noch ohne Zaun. Unser Sonntagsvergnügen war das Rollwaglfahren bis wir wieder Türmen mußten.“ Wer war nun aber dieser Kirsch, woher kam er und auf welche Weise hat er sich, wie H. Dollinger schreibt, um Allach verdient gemacht, wenn der Betrieb doch in Untermenzing war?

In der Festschrift "70 Jahre Epiphanias-Kirche" vom 25. September 2002 der evangelischen Kirchengemeinde München-Allach lesen wir unter der Überschrift "Ein Haus zum Lobe Gottes": "... Am 25. September wurde das Kirchlein geweiht. ... Noch war die Wand hinter dem Altar schmucklos. Doch im November 1934 entschloss sich Kommerzienrat Theodor Kirsch (1872-1941), ein Sohn des Eduard Kirsch, zur Stiftung eines Wandgemäldes. Nach etlichen Skizzen und Verhandlungen entschieden sich Stifter und Gemeinde schließlich für die 'Geburt Christi'. Den Auftrag erhielt für ein Honorar von 800 Mark der Kunstmaler Hermann Frobenius, im August 1936 wurde die Wand feierlich enthüllt" (Bild 1). Nun zur Firma.

Ein Theodor Kirsch (1814-1874) gründete 1869 mit seinen beiden Söhnen Eduard und Emil sein Geschäft als offene Handelsgesellschaft mit dem Firmennamen „Theodor Kirsch & Söhne“.1885 nahm das Dampfsägewerk Theodor Kirsch & Söhne in Gehren/Thüringen seine Tätigkeit auf. Es wurde schnell der bedeutendste Industriebetrieb der Stadt und entwickelte sich zum größten Sägewerk Mitteldeutschlands (Bild 2).

Emil Kirsch, Kommerzienrat und zweiter Sohn des Firmengründers Theodor Kirsch, zog vermutlich um 1881 nach München um und baute dort ein weiteres Dampfsägewerk auf. Aber erst im "Adreßbuch von München für das Jahr 1892" wird er als in München wohnend angegeben.

1895 wurde die Zweigniederlassung München der Firma Theodor Kirsch & Söhne mit dem Hauptwerk in Allach (richtig ist: in Untermenzing bei München und das Gründungsjahr 1892 , A.Thurner) gegründet (Bild 3). Dafür spricht auch, dass im Stadtarchiv München die Arbeitsordnungen für Kirsch & Söhne von 1892-1911 vorliegen. A. Thurner beschreibt den Grundstückserwerb in aller Ausführlichkeit auf den Seiten 34 f. in seiner CD: „Theodor Kirsch & Söhne Untermenzing“. Später kamen noch die Dampfsägen in Freilassing und in Altenau (Ortsteil der Gemeinde Saulgrub in den Ammergauer Alpen) hinzu. Die Leitung der oberbayerischen Betriebe übernahm Emil Kirsch.

Für uns Untermenzinger ist noch interessant, dass der bekannte Bauunternehmer Korbinian Beer das Kesselhaus (Bild 4) für Kirsch baute.

Im Jahr 1912 wird mit dem Bau einer Dampfmaschine durch die Maschinenfabrik Esslingen begonnen, geliefert wurde dann 1918 auch eine Maschine durch die Görlitzer Maschinenbauanstalt. Im Jahre 1911 wurde die bis dahin als Offene Handelsgesellschaft (oHG) bestehende "Firma Theodor Kirsch & Söhne" mit Hauptsitz in Gehren und Zweigstelle in Untermenzing in eine Kommanditgesellschaft (KG) umgewandelt. 1912 wurde unter anderem noch ein Maschinenhaus gebaut. Und natürlich hatte Kirsch auch einen Gleisanschluß zum Allacher Bahnhof erhalten. 1914 konnte dann der Gesamtbesitz mit „Portier- und Werkmeisterhaus mit Stall, Dampfschneidsäge mit Hobelwerk, Bürogebäude, Autogarage, Waschhaus, Lagerhallen, Kistenfabrik mit Holztrockenräumen und Lagerplatz“ beschrieben werden. Dazu kam noch die Villa mit Veranda, Keller, Speise und Hofraum und Garten, insgesamt in etwa 3 Hektar (Bild 5).

Nach dem Ausbruch des I. Weltkrieges machte sich die allgemeine Verknappung an Materialien aller Art, z.B. auch an Pferden und an Arbeitskräften, im Werk deutlich bemerkbar. Im vorletzten Kriegsjahr verlor Albin Kirsch noch seinen älteren Bruder Emil Kirsch, der 35 Jahre lang sehr erfolgreich für die Firma in der Zweigniederlassung Untermenzing gewirkt hatte und 1917 in München 73-jährig starb. Das Grab ist dem Autor leider bis heute nicht bekannt.

In der späteren Hauptniederlassung Untermenzing der Theodor Kirsch & Söhne AG gab es weder nach dem ersten noch nach dem zweiten Weltkrieg Enteignungen. Das sogenannte Entnazifizierungsverfahren durch die Alliierten führte jedoch dazu, dass sämtliche Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglieder ihrer Posten enthoben wurden. Der Firmenleitung gehörten nun keine Nachkommen des Gründervaters Theodor Kirsch mehr an. Die Untersuchung der Spruchkammerakten durch den Autor steht noch an.

Aber in München wie in Gehren war die Geschäftslage der Holzbranche schlecht. Das Rundholz wurde immer teurer, Importe drückten die Schnittholzpreise. Die Firma konnte schon nach kurzer Zeit die immens hohen Verluste, die auch durch die Einbußen des Vermögens in Thüringen entstanden waren, nicht mehr verkraften. Die Aktienmehrheit gelangte in die Hände eines Bankhauses. Der gesamte Geschäftsbetrieb wurde Ende Oktober 1954 stillgelegt und alsbald das ganze Unternehmen "Theodor Kirsch & Söhne AG" liquidiert. Damit verschwand das erste und bis heute einzige Untermenzinger Industrieunternehmen.

Was für Jahre aber noch blieb und vielen Mitbürgern sicher noch in Erinnerung ist, war „Die Gaststätte zur Dampfsäge“ (Bild 6) von Georg Trinkl, die erst 1992 einem Wohnblock Ecke Kirsch-/ Esmarchstraße weichen mußte.

Geblieben ist aber auch das von Kommerzienrat Kirsch 1934 gestiftete Wandgemälde von Hermann Frobenius in der Allacher Epiphanias-Kirche und damit eine einmalige Erinnerung an die „Kirschzeit“. Heute ist das Untermenzinger Kirschgelände in neuer Hand, aber wie das Gelände ausschauen wird, ist bisher noch unbekannt. (Einige Textabschnitte wurden in Auszügen und Verkürzungen mit freundlicher Genehmigung des Verfassers entnommen aus: Adolf Thurner „Theodor Kirsch & Söhne. Untermenzing“, München 2009 auf CD). Wer also auf 56 Seiten mit vielen Abbildungen die Geschichte von Kirsch & Söhne erleben will, der besorge sich diese CD.

 

 

 

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