Am Ende des Weges
Sommergespräch zum Umgang unserer Gesellschaft mit Sterben und Tod
Während noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts das Sterben als natürlicher Vorgang des Lebens meist zuhause innerhalb der Familie geschah, verlagerte sich das Lebensende im Laufe der Jahrzehnte immer mehr in die Krankenhäuser, wo Sterbende für ihre letzten Stunden oft in ein kahles, leeres Zimmer, das sogenannte Sterbekammerl geschoben und allein gelassen wurden. Diese Vernachlässigung veranlasste die englische Sozialarbeiterin und Ärztin Cicely Saunders 1967 in London das erste moderne Hospiz zu gründen. In Deutschland wurde 1983 an der Universitätsklinik Köln die erste medizinische Palliativstation eingerichtet. Gleichzeitig entstanden die ersten Hospize außerhalb von Krankenhäusern. Das erste Hospiz in München, das Christophorus Hospiz, entstand im Sommer 1985.
Durch die Begleitung der Sterbenden und ihrer Angehörigen sowie den Ausbau der Palliativmedizin ist in den letzten 30 Jahren ein Prozess in die Wege geleitet worden. Doch ist damit das Sterben wirklich in unserer Gesellschaft angekommen, die sich gerne mit Schlagworten wie jung, gesund, dynamisch und leistungsorientiert schmückt? Und wie ist in diesem Zusammenhang einzuordnen, dass sich immer mehr Menschen anonym begraben lassen und sich damit ganz "verschwinden" lassen möchten? Ist es nicht der Ort des Gedenkens und sind es nicht bestimmte, traditionelle Rituale, die den Hinterbliebenen helfen, mit ihrer Trauer umzugehen?
Über unseren Umgang mit dem Thema Sterben und Tod diskutierten im Rahmen unserer Sommergespräche Beate Urich, Leiterin Ambulanter Hospizdienst der Caritas im Krankenhaus Barmherzige Brüder, der Palliativmediziner Dr. Berend Feddersen vom Ambulanten Palliative Care Team (SAPV) am Klinikum der Universität München, Florian Rauch, Inhaber von AETAS Lebens- und Trauerkultur, Pfarrer Hans-Martin Köbler der ev. Himmelfahrtskirche Pasing sowie Stadtrat und SPD-Landtagskandidat Andreas Lotte (SPD) und der Bundestagsabgeordnete Dr. Hans-Peter Uhl (CSU).
Ist Sterben wieder Teil des Lebens?
Beate Urich, die seit drei Jahren den ambulanten Hospizdienst der Caritas im Krankenhaus Barmherzige Brüder leitet, und sich auch davor in ihrem Berufsleben als Krankenschwester viele Jahre lang um Schwerstkranke gekümmert hat, sieht eine langsame, aber wirklich auch nur langsame Änderung bei Betroffenen und Angehörigen, was sie auf verstärkte Öffentlichkeitsarbeit aber auch auf die Präsenz des Themas in den Medien zurückführt. Deutlich positiver gestimmt zeigt sich Berend Feddersen. Die Patienten wüssten genau, wo sie stehen, erklärte er. Oft sei es so, dass Sterbende ihre Angehörigen schonen wollten, und umgekehrt, und die Ärzte darum bäten, nichts über den genauen Zustand zu sagen. Wenn es aber gelänge, alle an einen Tisch zu bringen und über den "großen Elefanten" zu sprechen, dann sei eine Befreiung spürbar. Auch bei den Studenten verändere sich etwas. Es gehe nicht mehr nur um medizinisch Machbares sondern "sanftere Aspekte rücken in den Vordergrund". Es werde immer mehr ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt. "Ich habe von 1993 bis 1999 studiert und habe das Wort Palliativmedizin kein einziges Mal gehört" verdeutlichte er den Unterschied zum jetzigen Medizinstudium."Ich habe das Gefühl, dass Sterben daheim wieder möglich wird."
Der Tod wird "wegdelegiert"
Aussegnungen (sie finden am Bett des Verstorbenen statt, Anm. der Red.) seien inzwischen zwar selten geworden, doch insgesamt sehe er, dass das Thema in den Familien präsent sei und auch darüber gesprochen werde, meinte auch Pfarrer Hans-Martin Köbler. Wie groß das Interesse sei, zeige sich schon daran, dass viele Menschen regelmäßig Todesanzeigen lesen. Allerdings seien die traditionellen Rituale inzwischen in den Hintergrund getreten und es sei ein großer Anspruch eigene Rituale zu finden.
Florian Rauch mochte sich diesen Ausführungen nicht anschließen. "Sterben und Tod sind nach wie vor ein Tabuthema", betonte er. Der Tod werde immer noch "wegdelegiert". Viele Aufgaben, die die Hinterbliebenen vielleicht selbst übernehmen könnten, wie zum Beispiel das Waschen und Ankleiden des Verstorbenen würden an die Beerdigungsinstitute übertragen. Dabei sei dies eine Chance für die Angehörigen, sich zu verabschieden und den Tod zu realisieren. "Viele Menschen haben Angst davor, den Toten nochmal zu sehen", konstatierte er. "Wir sehen es als unsere Aufgabe an, Menschen zu begleiten." Wenn man die Angehörigen sensibilisiere, merkten sie, dass sie sich dem Thema nicht verschließen können.
Ein schwerer Gang
Dass der Tod mit einer Barriere verbunden ist, hat auch SPD-Landtagskandidat Andreas Lotte erfahren. Er berichtete von seinen Großeltern, von denen drei in den letzten Jahren in gesetztem Alter gestorben sind. Vor allem der erste Todesfall habe ihn sehr getroffen, da er sich vorher nicht mit der Möglichkeit auseinander gesetzt habe und es sehr schnell gegangen sei. Seine Oma sei nach einem Schlaganfall ins Koma gefallen und sein Großvater sei die ganze Nacht am Sterbebett gesessen. Er selbst habe erst nach ihrem Tod am nächsten Tag, die Möglichkeit gehabt sich zu verabschieden. "Es war ein schwerer Gang", berichtete Andreas Lotte. Er habe dabei erfahren, wie wichtig die Trauerrituale sind. Dass er seine Oma nochmals sehen konnte, habe ihn mit einem "inneren Frieden" erfüllt. Bei den anderen Großeltern sei es eher ein schleichender Prozess gewesen. Sein Großvater habe die Wohnung Stückchen für Stückchen leer geräumt und seine Sachen verschenkt. Dies sei seine Art gewesen, sich von seiner Familie zu verabschieden.
Lebenslanger Begleiter
"Der Tod begleitet uns ein Leben lang wie ein Schatten, den man nicht abschütteln kann", stellte Hans-Peter Uhl fest. Das Verhältnis Einzelner zum Tod verändere sich nicht, aber das Verhältnis der Gesellschaft zum Tod verändere sich. "Was kann die Politik tun, um humanes Sterben zu unterstützen?", fragte er in die Runde und gab gleich selbst die Antwort, dass besonders die Ehrenamtlichen, die Sterbende begleiten, gestärkt werden müssten. "Die Befassung mit dem Tod kann bereichernd sein", meinte Uhl und berichtete von seinem Vater, einem "äußerst sparsamen Beamten", der auf die Rückseite eines alten Formblattes der Forstverwaltung eine genaue Liste erstellt hatte, was die Familie im Falle seines Todes tun sollte. "Das ist ein Vorbild für mich, das will ich auch tun", sagte der Bundestagsabgeordnete. Allerdings werde er seine Wünsche auf ein weißes Papier schreiben.
Ein Ort ist wichtig
Einig waren sich die Gesprächsteilnehmer darüber, dass die "Verortung der Trauer sehr wichtig" ist, wie es Florian Rauch ausdrückte. "Der Platz der Toten ist der Friedhof", sagte er. "Wir brauchen diese Orte", betonte auch Pfarrer Hans-Martin Köbler, der darauf hinwies, dass bereits in der Bibel geschrieben stehe, dass Abraham ein Grab für seine Frau Sarah gekauft habe. Als eine Mittellösung nannte er den "Friedwald". Die Asche Verstorbener wird in einer biologisch abbaubaren Urne, direkt an den Wurzeln eines Baumes, beigesetzt. Eine Gedenktafel am Baum mit dem Namen des Verstorbenen erinnert an ihn.
Orte können man sich aber auch schaffen, wenn man weit vom Verstorbenen weg sei, konstatierte der Geistliche und erinnerte an die Gedenktafeln für im Krieg gefallene Soldaten. Andererseits werde er von Jugendlichen aber auch gefragt, warum man die Asche eines Verstorbenen nicht mit nach Hause nehmen und ins Wohnzimmer stellen dürfe. Seine Antwort lautet dann: "Wir geben ihn Gott zurück. Er gehört nicht mehr uns."
"Furchtbare Verarmung"
Andreas Lotte berichtete über die Initiative "Urnen teilen", über die kürzlich im Stadtrat diskutiert wurde und die ihn "sehr nachdenklich gestimmt" habe. Es sei darum gegangen, ob dies mit der Münchner Friedhofssatzung zu vereinbaren sei, wenn mehrere Menschen in einer Urne beigesetzt werden. "Ich weiß nicht, ob es zwangsläufig ein Grab sein muss, aber ein konkreter Ort ist hilfreich", meinte er.
Hans-Peter Uhl erzählte von einer anonymen Beerdigung, an der er in Berlin teilgenommen und die ihn erschüttert hatte. "Das ist eine furchtbare Verarmung", sagte er. "Wir brauchen eine Erinnerungskultur." Sie sei für die Menschen wichtig, auch wenn die Grabpflege immer komplizierter werde, weil aufgrund der heutigen Mobilität die Menschen oft sehr weit von den Gräbern ihrer Angehörigen entfernt wohnten. "Aber das sind profane Schwierigkeiten", stellte er fest. Wichtig sei, dass man sich an Orten festhalten könne. Beate Urich konnte dies nur bestätigen. Das Grab ihrer Mutter, die vor 30 Jahren starb, ist tatsächlich hunderte Kilometer entfernt. Der Vater kann es jetzt seines Alters wegen nicht mehr pflegen. "Wir wollen den Platz behalten", darüber ist sie sich mit ihren Geschwistern einig, auch wenn die nun von einer Gärtnerei übernommene Grabpflege etwas kostet.
Initiative Sternenkinder
Es müsse keine aufwändige Pflege sein, man könne ein Grab auch ganz einfach begrünen, erläuterte Florian Rauch. Seiner Erfahrung nach nehmen acht von zehn Hinterbliebenen von der Idee einer anonymen Beerdigung Abstand, wenn sie sich durch ein Gespräch mit ihm eingehender damit auseinandersetzten. Auch Krankenhäuser müssten totgeborenen Kindern jetzt einen festen Platz schaffen. Für Mütter sei der Verlustschmerz beim Tod eines ungeborenen Kindes der gleiche wie beim Tod eines lebenden Kindes, nur die Erinnerungen seien anders. Er sehe das an den Gedenkveranstaltungen für Eltern ungeborener Kinder, die Aetas unterstützt und kostenlos durchführt. Dazu kämen meist 40 bis 50 Eltern. Viele Eltern von Kindern, die im 6. oder 7. Schwangerschaftsmonat sterben, wollen diesen einen Namen, eine Urkunde und einen Ort geben, ergänzte Hans-Peter Uhl und wies auf die Initiative Sternenkinder hin.
Feuerbestattung nimmt zu
Medienberichte über Menschen, die sich auf einer Art Verkaufsfahrt eine billige Einäscherung in Tschechien verkaufen lassen, hält Florian Rauch für populistisch. Das sei einfach nur "medienwirksam", sagt er und auch der Name des Privatsenders fällt, der für solche Beiträge bekannt ist. "Das wird kein Trend", ist er sich sicher. Fakt sei, dass die Feuerbestattung zunehme. Und was es ebenfalls gebe, um Kosten zu sparen, sei die Möglichkeit, dass zehn Verstorbene gemeinsam zum Krematorium gefahren würden. "Es gibt in München auch Discountbestatter." Aber das müsse jeder selbst entscheiden, wie er einen Abschied gestalten wolle. "Jeder trauert anders. Jeder hat andere Emotionen."
"Von mir nicht!"
Da der "Umgang mit Sterben und Tod" auch die Sterbehilfe mit einschließt, wollten wir von den Gesprächsteilnehmern ihre Einstellung zu diesem heiklen Thema erfahren. Beate Urich erzählte, dass sie als Krankenschwester auf der Palliativstation des Öfteren nach Tabletten oder einer Spritze gefragt worden sei und sie habe immer Nein gesagt. "Von mir nicht!" Beim intensiven Gespräch mit dem Sterbenden sei meist deutlich geworden, dass der Gedanke aus einer inneren Not wie Alleinsein oder starken Schmerzen entstanden ist. Bei einer guten Begleitung würden die meisten Todkranken Abstand von dem Wunsch nehmen, nur einige wenige würden immer wieder darauf zurückkommen.
Nicht schneller aber auch nicht langsamer
"Durch gute Symptomkontrolle rückt das Thema in den Hintergrund", weiß Berend Feddersen. Oft sei die Angst vor Atemnot, vor Ersticken der Auslöser für den Wunsch nach Sterbehilfe. Wichtig sei vor allem die Aufklärungsarbeit. In Deutschland sei man in der glücklichen Lage, den Zugang zu jenen Medikamenten zu haben, mit denen die Patienten weitgehend schmerzfrei eingestellt werden könnten. "Wir machen nichts schneller, aber auch nichts langsamer", betonte der Palliativmediziner. Der Patient könne dennoch vieles selbst entscheiden, etwa ob eine zusätzliche aufgetretene Lungenentzündung noch behandelt werden soll oder bei Krebs, ob er nochmal eine neue Chemotherapie beginnen möchte. "Natürlich gibt es noch weiße Flecken in der Palliativversorgung", konstatierte Feddersen und hob die wichtige, unterstützende Rolle der ehrenamtlichen Helfer hervor.
Mehr finanzielle Unterstützung nötig
Die Rechtslage sei klar, erläuterte Hans-Peter Uhl. "Eine Tötung auf Verlangen kann nicht rechtmäßig sein." Auch er vermutete, dass es vor allem die Hilflosigkeit sei, auf die ein solches Ansinnen zurückgeht. Seine letzten Dinge zu regeln sei schwierig, konstatierte er und verwies auf die Patientenverfügung, die doch ein wenig Klarheit gebracht habe. Vor allem dankte er aber in diesem Zusammenhang den Anwesenden, die Sterbende unterstützen. Dies veranlasste Beate Urich, die finanzielle Seite der Hospizarbeit anzusprechen. Die Finanzierung erfolgt hauptsächlich über die Krankenkasse und endet mit dem Tod des Menschen, der begleitet wird. Dass die Angehörigen vielleicht weiterhin noch Trost und Unterstützung benötigen, ist nicht miteinkalkuliert. Ohne Spenden wäre zum Beispiel eine Trauerbegleitung der Angehörigen gar nicht möglich. "Kann der Gesetzgeber da einwirken?", fragte die Leiterin des Ambulanten Hospizdienstes der Caritas, und Hans-Peter Uhl versprach, diese Frage mitzunehmen.
Wandel in der Kirche
Die veränderte Einstellung der Religionen zum Thema Suizid sprach Pfarrer Köbler an. Lange sei der Selbstmord als große Sünde verdammt worden, heute verdamme die Kirche den Suizid, aber nicht den Selbstmörder. Es gebe inzwischen zwei Positionen. Die eine besage, dass das Leben ein Geschenk Gottes sei, das nicht verschleudert werden dürfe und deshalb bringe ich mich nicht selbst um; die andere stelle die Frage, ob man nicht in bestimmten Situationen seinem Schöpfer sein Leben zurückgeben dürfe. "Gerade von der christlichen Auferstehungshoffnung her, könnte man sagen: Ich falle dann ja nicht in ein Nichts hinein. Ich kann nicht tiefer fallen, als in Gottes Hand." Wünschenswert sei dies allerdings nicht. Besser sei es zu sagen, ich tue es nicht, "weil ich begleitet werde von Ärzten, von Schwestern, von meiner Familie, von Menschen, die da sind".
Wer mit wem?
Die obligatorische Abschlussfrage bei jedem unserer Sommergespräche lautet: Sie haben die Aufgabe, 30 Schulkinder durch die Münchner Innenstadt zu führen. Mit wem der Anwesenden könnten Sie sich das vorstellen? Beate Urich, Florian Rauch, Berend Feddersen und Andreas Lotte zogen sich alle sehr diplomatisch aus der Affäre und erklärten übereinstimmend, sie würden alle mitnehmen, weil 30 Schulkinder unterhalten werden möchten und jeder der Anwesenden viel Potential und eine große Kompetenz mitbringe. Hans-Martin Köbler gab Berend Feddersen den Vorzug, da er sich von ihm noch viele weitere Informationen über Krankenhäuser erhoffen würde und Hans-Peter Uhls Wahl fiel auf Pfarrer Köbler. Mit ihm und den Kindern würde er dann zum alten Südfriedhof wandern, auf dem viele bekannte Persönlichkeiten begraben sind. Hier, so meinte Uhl, bekämen die Kinder hochinteressante Eindrücke und Pfarrer Köbler könnte mit ihnen über Leben und Tod sprechen.
Was denken Sie?
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Unser nächstes Sommergespräch
Immer mehr alte Menschen und Pflegebedürftige und zugleich immer weniger Pfleger und Gesundheitspersonal: "Gesundheits- und Sozialberufe" ist der Titel unseres nächsten Sommergesprächs. Lesen Sie mehr in unseren nächsten Mittwochausgaben.
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