Mit voller Kraft ans Werk
Industriedenkmal wird neue Attraktion: das Heizkraftwerk in Obersendling
Kunst aus Recycling-Materialien liegt zur Zeit groß im Trend: Kaffeepulver-Kapseln werden zu Halsketten verarbeitet, Tetrapaks zu Taschen, Plastikflaschen zu Blumen. In einer riesigen Dimension passiert das gerade in Obersendling: Das stillgelegte Heizkraftwerk an der Drygalskiallee mit den beiden charakteristischen, fast 80 Meter hohen Türmen bleibt als Industriedenkmal erhalten, wird schön gestaltet und mit neuem Leben erfüllt.
"Ein Projekt, das den Stadtteil bereichern wird", freute sich Hans Bauer, Vorsitzender des örtlichen Bezirksausschusses (BA 19). Zusammen mit Bauherren, Architekten und künftigen Nutzern stellte er das "Kraftwerk", wie es auch weiterhin heißt, einer großen Schar von interessierten Journalisten vor. "Ich habe schon immer gesagt, dass das Kraftwerk ein Denkmal ist", betonte Bauer, "ein Denkmal für eine zukunftsweisende Technologie - der 60er Jahre".
Eröffnung in einem Jahr
Baulärm dröhnt durch die riesige Halle, hohe Lüftungsschächte, gigantische Betonwände und archaische Stahlkonstruktionen bilden eine beeindruckende Kulisse: Architekt Markus Stenger führt durch die Baustelle und verdeutlicht mit großen Gesten, wie der Luftstrom gelenkt wurde - damals, als im Versuchs-Kraftwerk Strom durch Gasverbrennung erzeugt und die Abluft als Fernwärme genutzt wurde. Die Faszination ist ihm anzumerken, wenn er davon spricht, dass die Strukturen erhalten und "neu bespielt" werden. Das Kraftwerk wurde schon umfangreich von Schadstoffen befreit und die Technik abgebaut, im März kam die Baugenehmigung und im Moment sind die Arbeiten für die Neugestaltung in vollem Gange. "Alles, was Sie hier noch an Technik sehen, wird erhalten und als Zitat mit eingebaut", erklärt Stenger. "Es steckt so viel Kraft in diesem Gebäude." Nach 14 Monaten Bauzeit soll der erste Teil Mitte nächsten Jahres eröffnet werden.
Designmöbel, Terrasse, Veranstaltungen
Das Münchner Möbelunternehmen Kare wird in dem rauen, authentischen Umfeld seine Designmöbelausstellung präsentieren. Fest eingeplant ist dazu eine "attraktive, bezahlbare Gastronomie", versprach Jürgen Reiter, einer der beiden Kare-Inhaber, inklusive Dachterrasse mit Alpenblick. Er plant im Kraftwerk außerdem Veranstaltungen wie Workshops, Konzerte, Talk-Runden. Im Turm, dem kleineren Teil des Gebäudes, entstehen Büroflächen. Zum größten Teil werden sie wohl von Kare selbst genutzt, erklärten die Kare-Inhaber. Ganz oben sind auch noch zwei Betriebswohnungen vorgesehen. Die Tiefgarage bietet 110 Stellplätze.
Nachdem jetzt klar sei, dass das als Eon-Brache bekannte Nachbargelände mit 1.000 Wohnungen bebaut wird, freut er sich über die hier entstehenden rund 140 Arbeitsplätze, erklärte BA-Vorsitzender Bauer. Auch dass es ein Münchner Unternehmen sei, das hier einzieht, hob er positiv hervor. "Verkehrsfragen müssen wir noch lösen", meinte er.
Kritische Begleitung
Seit drei Jahren werden die Planungen vom Bezirksausschuss 19 kritisch begleitet. Das Gremium war anfangs vergrätzt, weil es nicht darüber informiert worden war, dass die Stadtwerke das stillgelegte Kraftwerk im April 2010 an die KFV Immobilienverwaltungs GmbH verkauft hatten. Es gab auch Stimmen im Stadtteil, die forderten, der "Schandfleck" müsse abgerissen werden. Architekt Stenger ist ganz im Gegenteil stolz darauf, dass ein Teil der Identität des Ortes als Münchner Industriegeschichte, wie er in vielen Viertel noch mehr oder weniger vorhanden ist, erhalten bleibt. "Denken Sie nur daran, was hier alles drin steckt - an Beton und an Arbeitskraft. Es ist doch nur sinnvoll, das Vorhandene umzunutzen, an die Struktur anzuknüpfen", so Stenger. Dieser Blick auf die Vergangenheit könnte als Weg in die Zukunft für viele andere Indsutrieflächen wie etwa das Diamaltgelände in Allach Vorbild sein
Kare-Inhaber Peter Schönhofen bezeichnete das markante Obersendlinger Gebäude als "Theater, wo wir uns inszenieren können", und Kompagnon Reiter ist stolz, "dass das schönste Designmöbelhaus nicht in London oder Paris stehen wird, sondern in München." Die in Obersendling investierende Firma KFV ist darauf spezialisiert, leerstehende Bürogebäude zu kaufen und neu zu verwerten, gerade in Obersendling, wo sie schon ehemalige Siemens-Bürohäuser umgewidmet hat. In den Umbau des Kraftwerks investiert sie einen zweistelligen Millionenbetrag. Bei den Planungen bestimmt übrigens ein Wanderfalke kräftig mit, der seinen Horst in luftiger Höhe an einem der beiden Türme hat.
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