"München macht es richtig"
Werbe-Spiegel-Leser diskutieren mit Stadtschulrat Rainer Schweppe über die Zukunft der Kinderbetreuung in München
Im Sommer 2013 ist es soweit: Dann haben alle Eltern eines ein- bis dreijährigen Kindes in Deutschland einen gesetzlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz. Bund, Länder und Kommunen verständigten sich im Jahr 2007 deshalb darauf, bis zum Jahr 2013 bundesweit für 35 Prozent der unter Dreijährigen Betreuungsplätze in Kitas oder in der Kindertagespflege zu schaffen. Die gute Nachricht: München hat dieses Ziel bereits erreicht. So liegt der Versorgungsgrad für Kinder im Alter von einem bis drei Jahren nach offiziellen Angaben des Referates für Bildung und Sport (RBS; Stand: Juli 2012) bereits bei 51 Prozent. Bis Ende 2013 werden durch Bauvorhaben der Stadt und von freien Trägern rund 4.000 weitere Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren entstehen und so ein Versorgungsgrad für Kinder von einem bis drei Jahren von annähernd 70 Prozent erreicht.
Die Kinderbetreuungsplätze sind also da, doch gibt es in der Stadt überhaupt genügend Erzieherinnen und Erzieher? Nach offiziellen Angaben des RBS werden bis 2015 rund 1.000 zusätzliche Erziehungskräfte und 450 neue Kinderpflegerinnen und –pfleger benötigt. Rund um das also brandaktuelle Thema „Erzieher/innen gesucht! Was muss jetzt für die Zukunft der Kinderbetreuung getan werden?“ diskutierten im Rahmen der Werbe-Spiegel-Reihe „Sommergespräche im Hirschgarten“ interessierte Leserinnen und Leser mit Rainer Schweppe, Stadtschulrat und Bildungsreferent der Stadt München. Er leitet seit Juli 2010 das Referat für Bildung und Sport, das das sowohl finanziell als auch personell größte Referat der Stadtverwaltung ist und in dessen Aufgabenbereich seit 2011 auch die Kinderkrippen fallen.
Was tut die Stadt?
Der gesellschaftliche Wandel und das massive Wachstum Münchens würden zu einem steigenden Bedarf an Betreuungsplätzen führen, erklärte Rainer Schweppe gleich zu Beginn des Werbe-Spiegel-Sommergespräches. Man sei sich im RBS dieser besonderen Lage bewusst: „In den kommenden drei Jahren wird die Stadt 304 Millionen Euro in die Hand nehmen, um neue Krippen-, Kindergarten-, Tagesheim- und Hortplätze zu schaffen“, so der Stadtschulrat. Ziel sei die vollständige Abdeckung des in München vorhandenen Bedarfs. Was die personelle Situation betrifft, so hat sich auch hier das RBS schon einiges einfallen lassen: Neben einer bundesweiten Werbekampagne und Einladungen zu Schnupperwochenenden für Erzieherinnen und Erzieher wurde auch die Ausbildungskapazität an den Fachakademien in München um 160 Plätze erhöht, wie Schweppe erklärte. Derzeit habe die Stadt noch ausreichend Personal, um alle ihre Einrichtungen betreiben zu können, aber es werde immer schwieriger freiwerdende Stellen nachzubesetzen.
Auch bei den freien Trägern und Verbänden gibt es Probleme: „Wir bezahlen übertariflich, aber wir sind schon seit über einem Jahr auf der Suche nach einer neuen Kraft“, berichtete etwa Julia Pollert von der Stiftung „Gesellschaft macht Schule“ und selbst Mutter zweier Kleinkinder. „Es ist aber auch bei uns so, dass Stellen derzeit nicht besetzt sind“, so Schweppe. Im Stellenplan sei noch ein Betrag in Millionenhöhe für das Personal in Krippen, Kindergärten, Horten und Tagesheimen vorgesehen.
Wo sind die Erzieherinnen?
Doch warum gibt es überhaupt zu wenig Erzieherinnen und Erzieher in Deutschland? „Die niedrige Entlohnung alleine kann, glaube ich, nicht der Hauptgrund sein“, meinte Julia Pollert. Es gebe durchaus junge Frauen und Männer, die eine Ausbildung beginnen wollten, doch es gebe nicht genügend Plätze an den Fachakademien. „Auf lange Sicht gesehen müsste man wohl auch die Ausbildungszeit der Erzieherinnen von fünf auf maximal vier Jahre verkürzen, wenn der Beruf auch in Zukunft noch attraktiv sein soll“, so Schweppe. Das Einkommen der Münchner Erzieherinnen und Erzieher sei dagegen auch im Vergleich mit dem Einkommensniveau anderer Berufe „nicht schlecht“.
Ursula Winkler von der „diakonia inhouse“, ein gemeinnütziger Betrieb, der Kinderbetreuungseinrichtungen bewirtschaftet und Cafeterien für Mitarbeiter betreibt, sieht vor allem die Rahmenbedingungen des Berufs in der Schuld: „Ich habe vor 30 Jahren den Beruf gelernt und seither hat sich meiner Ansicht nach kaum etwas verändert.“ Die betreuten Gruppen seien zu groß und die Bürokratie zu zeitraubend. Zeitfresser seien insbesondere fachfremde Nebenarbeiten wie Lebensmittelbestellungen und -einkäufe sowie Küchen- und Reinigungsarbeiten, die die Erzieherinnen oft selbst übernehmen müssten. „Dadurch gehen natürlich wertvolle Stunden am Kind verloren“, so Winkler.
Gibt es zu viel Bürokratie?
Nikolaus Hoenning von der Eltern-Kind-Initiative „Hirschgartenzwerge“ wünscht sich vor allem, dass die Stadt den Eltern bei der Gründung von Einrichtungen noch stärker unter die Arme greift und den Marathon an bürokratischen Hürden, den man durchlaufen müsse, abbaut: Schon seit Monaten sei die Initiative auf der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten und habe damit viel Pech gehabt. Mit ihrer Geschichte haben es die „heimatlosen Hirschgartenzwerge“ sogar schon ins Bayerische Fernsehen geschafft. Die Probleme seien aber nicht allein auf das RBS zurückführen, in welchem es sehr kompetente und nette Mitarbeiter gebe, sondern vor allem auch auf das oftmals nicht funktionierende Zusammenspiel der einzelnen Referate, wie Hoenning betonte. Hier wisse oftmals die eine Hand nicht, was die andere gerade mache.
Von ähnlichen Erfahrungen berichtet auch Julia Pollert: „Wir haben bei uns in der Eltern-Kind-Initiative 25 Plätze, und nun wollten wir für fünf unserer Kinder die bisherigen Plätze in Hortplätze umwandeln, doch es hieß plötzlich, dass wir dann eine vierte Toilette einbauen müssten“, berichtet sie. Gerade über diese Prügel, die den Elterninitiativen von den städtischen Referaten in den Weg gelegt würden, würde sie sich massiv ärgern. Auch Christina Ramgraber, Geschäftsführerin der Organisation „sira“, die Unternehmen in Sachen betrieblicher Kinderbetreuung berät, weiß zu dem Thema Einschlägiges zu berichten: „Ich habe den Eindruck, dass gegenüber privatwirtschaftlichen Einrichtungen eine grundlegende Skepsis im RBS besteht.“ Dabei werden 3.171 der rund 15.277 Betreuungsplätze für Kinder von null bis drei Jahren in München von Eltern-Kind-Initiativen betrieben, rund 9.000 Plätze liegen in der Hand von anderen nicht-städtischen Trägern.
Brauchen wir eine bessere Vernetzung?
Rainer Schweppe verwies darauf, dass die strengen Rahmenbedingungen, wie beispielsweise die Anzahl und Größe der Freiflächen, zum Wohl der Kinder festgelegt seien. "Wir wollen den Kindern Bewegungsmöglichkeiten bieten."
Abstimmungen unter den Referaten seien notwendig. Zudem gebe es im RBS eine Beratungsebene, die auch mit externen Anbietern kommuniziere und diese mit Informationen versorge. Interne, regelmäßige Abstimmungsgespräche seien Standard. Man leiste viel Elternarbeit und sei etwa mit den Elternbeiräten im intensiven Austausch.
„Die Münchner Referate sind allesamt kleine Fürstentümer“, erklärte Nikolaus Hoenning. Seiner Ansicht nach müsste es deshalb eine Beratungsstelle für Eltern-Kind-Initiativen und private Anbieter geben, die referatsübergreifend arbeite und so Abstimmungsprobleme ausmerzen könne. „Meine Erfahrung ist, dass in München die Prozesse auch sehr viel langsamer laufen als in anderen Städten.“ Auch Ursula Winkler plädierte dafür, eine Art Serviceagentur zwischen RBS und Initiativen zu schalten: „Man muss auch berücksichtigen, dass die Stadt zwar viele neue Einrichtungen baut, diese aber selbst nicht mehr betreiben, sondern an andere Institutionen abgeben möchte“, erklärte sie. Daher brauche es auch in Zukunft klare Ansprechpartner und eine starke Vernetzung.
Schulreferent Rainer Schweppe sieht den Bedarf dafür eher nicht: „Allerdings gibt es sicherlich noch Punkte, an denen die Zusammenarbeit verbessert werden kann.“ Er legte zum Ende des Sommergespräches auch besonderen Wert darauf, zu betonen, wie gut München im Vergleich zum Umland und zu anderen Großstädten dastehe: „Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es die Stadt München richtig macht. Es gibt überall irgendwelche Probleme, aber die dürfen nicht überdecken, was für eine gute Arbeit wir hier leisten.“ Dies sei sicherlich richtig, betonte Christina Rahmgraber: „Dennoch würde ich mich freuen, wenn es in der Stadtverwaltung und im RBS noch offenere Türen für unsere Belange gäbe."
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