Souverän und strahlend
Helferkreis organisiert Fahrradtraining für Flüchtlinge
In der sechsten Unterrichtsstunde darf es schon ein Parcours sein: Auf dem Parkplatz neben dem Spendenlager des Helferkreises windet sich Idy Sin auf seinem neuen Rad durch den Slalom. Hand links raus, Hand rechts raus – bei jedem Richtungswechsel. Anfangs etwas wackelig, beim dritten Durchlauf souverän und strahlend. Nicht weniger strahlend beobachtet ihn Helmut Schuh, sein Radltrainer, der betont: „Er hatte vorher noch nie auf einem Fahrrad gesessen.“ In den ersten Stunden ging es vor allem um das Vertrautwerden mit dem unbekannten Gerät: „Mit dem Rad nur laufen, ohne die Pedale, wie man es Kindern beibringt, dann das Gleichgewicht halten beim Aufsteigen, Spurhalten, zum Stehen kommen. Schließlich mit Begleitung auf der öffentlichen Straße fahren“, so Helmut Schuh weiter. „Nebenbei hat er den Verkehrsunterricht bei uns absolviert und den abschließenden Test mit 24 von 28 möglichen Punkten bestanden.“
Idy Sin stammt aus dem Senegal, aus der Stadt Saint Louis. Er ist 40 Jahre und der Älteste von zwei Schwestern und zwei Brüdern. Zu seiner Familie hält er sehnsüchtigen Kontakt. „Aber ich brauche Arbeit hier“, sagt er auf Deutsch. Zuhause hat er als Gärtner gearbeitet, hier ist er sehr froh über einen 1,05 Euro-Job als Putzhelfer. Und dazu brauchte er dringend ein Fahrrad. Und natürlich das Training. „Er ist ehrgeizig und hat sich ganz viel Mühe gegeben, und jetzt können wir ihm das Rad übergeben“, sagt Helmut Schuh mit Stolz. Und Idy Sin betont: „Ich liebe Deutschland.“ Warum? „Weil, es ist korrekt. Und normal.“ Dann startet er ganz souverän zu seiner Unterkunft in Dachau in den Himmelreichweg. Den Weg hin zur Fahrradübergabe hatte der Senegalese noch zu Fuß absolvieren müssen.
Erste Abschiebung
Geschockt zeigt sich der Helferkreis Karlsfeld im Übrigen über die erste Abschiebung eines Flüchtlings in der Gemeinde. „Er war so ein feiner Mensch,“ sagt Evi, „ist ein feiner Mensch“, verbessert sie sich. An einem Dienstag morgen um 7 Uhr kam die Polizei in den Bauhof der Gemeinde, wo Fallou M. seit dem 18. April einen 1,05 Euro-Job hatte und holte ihn ab. Erst noch in seine Wohnung in der Parzivalstraße, dann ab zum Flughafen, mit Ziel Mailand. „Eine Abschiebung nach dem Dublin-Verfahren“, erklärt Fabian Baur, Sprecher des Helferkreises.
In der Dublin III-Verordnung haben sich 2013 die EU-Staaten sowie Island, Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz darauf verständigt, dass Flüchtlinge ihre Asylanträge in dem Staat zu stellen haben, in den sie zuerst eingereist sind. Sind sie in einem anderen Land, kann dieser Staat sie in das Erstland „zurückführen“. Als Senegalese kommt er außerdem aus einem sogenannten „Sicheren Herkunftsland“ mit geringen Erfolgsaussichten im Asylverfahren. „Ich finde, dass es keine dieser ‚Sicheren Herkunftsstaaten‘ geben darf, da unser Asylrecht nicht Länder, sondern Menschen im Blick hat. Eine solche Pauschalisierung ist unmenschlich und entspricht nicht dem Geist, aus dem heraus unser Grundgesetz entstand. Jeder Fall ist zu prüfen. Für Menschen aus diesen Ländern werden Hürden gebaut, die sie kaum überwinden können“, betont Fabian Baur.
„Was nutzt das eigentlich, was wir hier tun?"
Fallou M. war in Italien registriert worden, bevor er nach Deutschland kam und dort seinen Asylantrag gestellt hat – zu der Zeit, als Deutschland die Grenzen geöffnet hat und Österreich nur weitertransportierte. Nach einem ersten Gespräch beim Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (BAMF) soll er zu einem zweiten Gespräch geladen worden sein. Die Einladung dazu hat er angeblich nicht bekommen, ebenso das Einschreiben mit der Abschiebungsanordnung nicht. Da gibt es im Helferkreis nur Vermutungen, wie alles abgelaufen ist. „Tatsache ist, dass jetzt alle Senegalesen sehr verunsichert sind und sich um ihre Zukunft ängstigen. Wir versuchen mit viel Gesprächen, diese Ängste aufzugreifen, oft bis Mitternacht.“ Die Helfer sind selber verunsichert: „Was nutzt das eigentlich, was wir hier tun? Deutschlernen, Fahrradfahren lernen, Integration durch Arbeit – und dann einfach weggeschoben“, so Fabian Bauer.
Die Integrationslotsen aus dem Helferkreis halten den Kontakt zu Fallou und versuchen von hier aus zu helfen, wo es geht. „Er ist sehr traurig. Er vermisst uns alle sehr. Er weiß, dass seine Zukunft hier nicht sicher war, dass Senegalesen nicht viele Chancen in Deutschland haben. Aber er bedankt sich bei allen sehr für die Hilfe, die er bekommen hat“, erklärt der Sprecher des Helferkreises weiter. Der 31-jährige Fallou M. war einer, der sich besonders bemühte: „Er hat alles mitgemacht, sechsmal die Woche im Deutschkurs, er war beim Kochen dabei, er war korrekt, höflich, immer um andere bemüht. Für die Integrationslotsin Margarete hat er zum Geburtstag einen Kuchen gebacken.“ Die Kollegen beim Bauhof schätzten ihn, weil er „recht gut deutsch konnte, sehr fleißig und immer pünktlich war“, sagt Anton Wallner, Leiter des Bauhofs. „Er hat das gemacht, wozu wir sonst nicht kommen: In den Außenanlagen Papier aufklauben, solche Reinigungstätigkeiten. Wir hätten ihn auf jeden Fall gerne länger behalten.“
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