Ambulante Pflege im Minutentakt
Enormer Zeitdruck, mangelnde Wertschätzung
Schon seit 15 Jahren arbeitet Stefan Radlinger (Name geändert) in Vollzeit-Anstellung bei einem ambulanten Pflegedienst im Stadtbezirk Sendling-Westpark. Da er als examinierter Krankenpfleger hervorragend ausgebildet ist, liegt sein Netto-Einkommen mit rund 2.000 Euro monatlich im oberen Bereich der branchenüblichen Vergütung.
Seine Ehefrau betreut zuhause die drei gemeinsamen Kinder (3, 8 und 15 Jahre), hat also derzeit kein Einkommen. Da die Familie allein für die 90 Quadratmeter messende Vier-Zimmer-Wohnung in München inklusive der Nebenkosten 1.450 Euro zu zahlen hat, reicht der Verdienst nicht aus, um den Lebensunterhalt der Familie zu bestreiten. Deshalb arbeitet Herr Radlinger nebenbei freiberuflich als Fußpfleger.
Kranke wollen auch mal reden
Dass dadurch nur wenig Freizeit bleibt, ist jedoch nicht der einzige Faktor, der den 44-Jährigen belastet. Viele seiner Patienten sind den ganzen Tag allein, wollen reden, bitten um diese und jene kleine zusätzliche Hilfe. Mit Herz und Seele übt der Pfleger seinen Beruf aus, legt größten Wert auf einen von Menschlichkeit geprägten Umgang. Jedoch bringen ihn zusätzliche Aufgaben rasch in Schwierigkeiten. „Die Pflegeleistungen werden nach Minuten abgerechnet. Aber im Minutentakt funktioniert Pflege nicht. Wenn ich länger bei einem Patienten bin, wartet längst der Nächste. Und letztlich verschiebt sich der Dienstschluss nach hinten, das heißt, ich komme später heim", beschreibt Radlinger. Und wenn es speziellen Handlungsbedarf gibt, müssen mitunter der Hausarzt kontaktiert, zusätzliche Maßnahmen eingeleitet werden. All das kostet Zeit, erhöht den Druck.
„Alten- und Krankenpflege ist ein hoch anständiger und physisch wie psychisch anstrengender und anspruchsvoller Beruf", so sein Fazit: „Die Wertschätzung des Pflegeberufs ist jedoch gering!"
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