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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
Auf den Spuren einer nachhaltigen Gemeinde
Gautinger Bürger besuchen Ungersheim im Elsass
Ein Agenda21-Filmgespräch war der Auslöser für einige Gautinger Bürger rund um Christiane Lüst vom Öko & Fair Umweltzentrum eine Exkursion in die Transition Town Ungersheim im Elsass zu unternehmen und sich anzuschauen, wie eine nachhaltige Gemeinde funktioniert. Der Ungersheimer Bürgermeister Jean-Claude Mensch nahm sich mit sichtlichem Stolz und großer Herzlichkeit für seine Führung ganze fünf Stunden Zeit.
Wandel ist möglich
Die weltweite Bewegung „Transition Town“ – oder besser „Dorf im Wandel“ vernetzt inzwischen weltweit bereits fast 1000, in Deutschland aktuell etwa 120 lokale Initiativen. Transition Town verlässt sich nicht darauf, dass die Politik rechtzeitig auf das absehbare Ende der fossilen Energieträger und anderer Rohstoffe reagiert, sondern versetzt Kommunen in die Lage, schon heute selbst Maßnahmen zu ergreifen, um die Zukunft nach dem ausklingenden Ölzeitalter zu gestalten. Transition Towns führen unterschiedliche Gemeinschaftsprojekte durch, die alle das gleiche Ziel haben: Reduktion von fossilem Energieverbrauch und gleichzeitige Förderung von erneuerbaren Energien, Stärkung einer regionalen und lokalen Wirtschaft durch eine Komplementärwährung und eine möglichst weitreichende autarke Versorgung mit Nahrungsmitteln auf der Basis ökologischer Land- und Gartenwirtschaft.
Ungersheim war bis vor wenigen Jahrzehnten vom Kalibergbau abhängig, die Bewohner litten nach dem Ende der Minenarbeit unter Arbeitslosigkeit. Um die zunehmende Verwahrlosung in der Gemeinde zu verhindern, gründete sich die Bürgerbewegung „Le colibri“. Aus dieser Gruppe heraus wuchsen fast von allein immer mehr Ideen, wie die Gemeinde wieder aus dem sozialen Tief herausgeführt und gleichzeitig ein neuer Lebensstil gefunden werden kann.
Drei Säulen
Entscheidend für die Nachhaltigkeitsfortschritte waren die „21 Aktionen für das 21. Jahrhundert“. Wie der Bürgermeister erklärte, stehen die Aktionen auf drei Säulen. Die erste ist geistige Freiheit, um sich von Werbung und Konsumzwang zu befreien, bereichernde Lebensstile zu finden und die ökologischen Grenzen des Planeten zu erkennen.
Die zweite Säule ist die Energieautonomie, um Entwicklungsspielraum zu haben – und damit Energiekosten in der Region bleiben und nicht an Konzerne abfließen. Mit der Umstellung auf dimmbare LED-Technik konnte schon ab 2006 bei der Straßenbeleuchtung 40 Prozent der Energie eingespart werden. Eine weitere Einsparung erfolgte durch die Abschaltung der Parkplatz- und Radwegbeleuchtung ab Mitternacht. Inzwischen betreibt die Gemeinde Photovoltaikanlagen mit 5,4 MWp auf Dächern und Konversionsflächen aus Kalisalzabfällen und kann damit 10.000 Einwohner mit Strom versorgen. Der Verkauf von Energie an umliegende Gemeinden und Private generiert Einnahmen. Außerdem fördert man weiterhin private PV- und Solaranlagen und konzentriert sich zukünftig verstärkt auf die Wärmeenergieeinsparung.
„Transition ist ganz einfach"
Die dritte Säule besteht aus Ernährungssouveränität, die den gesamten Weg vom Saatgut bis zum Teller beinhaltet. In großen Gewächshäusern auf 4.000 qm und auf 8 ha Freiflächen arbeiten Gärtner und Langzeitarbeitslose. Das Ziel ist, hochwertiges Gemüse, frischen Salat und gesundes Obst in Demeter-Qualität, der höchsten Bio-Stufe, zu erzeugen. Auf Teilen der Gärten können Bürger aktiv mitarbeiten, um auf diese Weise Anteile am Ertrag zu erhalten. Auch Kinder helfen in den Gärten und Feldern im Rahmen von Schulunterricht mit. Sie werden täglich aus der gemeindeeigenen Catering-Küche mit Bio-Essen versorgt.
Jean-Claude Mensch betonte: „Transition ist ganz einfach. Als Bürgermeister muss ich nur den Wandel anstoßen, der den Menschen ohnehin schon lange am Herzen liegt. Unsere Zukunft gestalten wir selbst. Der fortschreitende Klimawandel hat uns dazu bewegt, die Maßnahmen wesentlich schneller zu ergreifen, die wir selbst beeinflussen können.“
Das Öko & Fair Umweltzentrum will die Exkursion im Frühjahr 2020 wiederholen. Interessierte können sich vorab unter Tel. (089) 89311054 oder info@oeko-und-fair.de anmelden.
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