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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
Von Griffelspitzen und Maikäfern
Ehemaliger Bergmann-Schüler erzählt Erstklässlern von früher
Am 1. Mai 1930 wurde er eingeschult: Rudolf Wolf. Mehr als 86 Jahre später kehrte er an seine Grundschule zurück und beantwortete die Fragen der wissbegierigen Erstklässler: Wie sahen die Klassen damals aus? Wie waren früher die Lehrer? Gab es damals schon Fernseher? Nein? Hattet ihr schon eine Tafel?
"Ja, der Lehrer hatte vorne eine große schwarze Tafel, und jeder Schüler hatte eine Schiefertafel mit einem Holzrahmen", erzählte der Zeitzeuge. "Darauf schrieb man mit dem Griffel. Jeden Tag musste ein Schüler herumgehen und schauen, ob die Griffel gespitzt waren, das war der Griffelspitzanschauer", berichtete der ehemalige Bergmannschüler. Die Klassen der Mädchen und Buben waren streng getrennt. Der Eingang für die Buben war damals noch an der Gollierstraße.
Nein, Pflanzen habe es im Klassenzimmer nicht gegeben, beantwortete Rudolf Wolf eine Schülerfrage, wohl aber ein Terrarium. "Da hat der Lehrer Raupen hineingesetzt, aus denen dann Schmetterlinge wurden. Oder Maikäfer." – "Was sind überhaupt Maikäfer?", wollte ein Kind wissen. "Käfer, die es nur im Mai gibt. Am Gollierplatz waren damals ganze Schwärme davon", erinnerte sich der betagte Mann.
Geschichte hautnah
Sein Besuch gehörte zu den Projekttagen, die sich mit der Geschichte der Schule und des ganzen Stadtviertels befassten, aus Anlass des 125-Jahr-Jubiläums der Schule. Die Ganztagsklasse der ersten Jahrgangsstufe traf ihn in der Mensa, und man stellte einen weiteren Unterschied fest: Die Kinder früher hatten von 8 bis 12 Unterricht und gingen dann zum Mittagessen nach Hause. Von 14 bis 16 Uhr mussten sie dann nochmal in die Schule. "Nachmittags hatten wir immer eine Stunde lang Schönschreiben", erzählte der Zeitzeuge und wollte wissen, ob das heute auch noch Schulfach sei. "Noten gibt es keine mehr", informierte ihn Lehrerin Hermine Trambauer, "aber die Kinder geben sich trotzdem Mühe, schön zu schreiben – nicht wahr?"
Aha-Erlebnisse
Die Erstklässler hatten eine Menge Aha-Erlebnisse, was es in Rudolf Wolfs Kindheit alles nicht gab: Tintenkiller, Fernseher, Computer, Handys, Smartphones. "Wir hatten noch nicht einmal eine Schultüte. Unsere Eltern hatten kein Geld für so etwas." Viele Kinder seien den ganzen Sommer lang barfuß in die Schule gekommen. "Hattet ihr denn keine Schuhe?", wollte ein Mädchen wissen. Doch schon, erfuhr sie, aber die wurden aufgespart, für wichtige Anlässe und für den Winter. Und zuhause hatte niemand ein Badezimmer. Die Schüler der Bergmannschule benutzten die damals hochmodernen Brausen im Keller.
"Was habt ihr denn in der Pause gespielt?", wollte eine Schülerin wissen und alle hörten mit Staunen, wie anders früher die Pause war: "Da wurde nicht gespielt. Wir haben uns zwei und zwei aufgestellt und sind unter der Aufsicht des Lehrers im Hof im Kreis herumgegangen." Sein Lehrer, erinnerte sich Rudolf Wolf, habe gut mit Kindern umgehen können. Die damals noch übliche Prügelstrafe sei in seiner Klasse praktisch nie vorgekommen.
Still sitzen
Schließlich stellte Lehrerin Hermine Trambauer fest, es falle nun vielen Kindern schwer, still zu sitzen. "Wenn es bei uns in der Klasse unruhig wurde, sagte unser Lehrer immer: Jetzt setzen wir uns alle hin, legen die Hände auf den Tisch und bleiben zwei Minuten ganz ruhig sitzen", sagte Rudolf Wolf. Sofort machten die Erstklässler mit und wenig später war es ganz still in der Mensa. "Das machen wir wieder", freute sich die Lehrerin, bevor sich die Klasse dann artig im Chor von Herrn Wolf verabschiedete.
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