Stimmt der Mietspiegel?
Haus + Grund klagt auf Herausgabe von Daten
"Zahlreiche Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten" sieht Rudolf Stürzer im neuesten Mietspiegel der Stadt München. Seit 30 Jahren beschäftigt sich der Vorsitzende des Haus- und Grundbesitzervereins München mit den Zahlenwerken, die die ortsübliche Miete abbilden sollen. "Seit 30 Jahren gibt es Streit deswegen und der gipfelt jetzt in einer Klage gegen die Stadt", sagte der Rechtsanwalt bei der Pressekonferenz anlässlich der Jahreshauptversammlung von Haus + Grund München. Wenn der Mietspiegel 2015 stimmt, müsse mehr als die Hälfte der Wohnungen im Vergleich zu 2013 billiger geworden sein, das habe er mit seinem Team ausgerechnet. "Aber jeder weiß, dass keine einzige Wohnung billiger geworden ist", sagte Stürzer. Der Mietspiegel enthalte "kuriose Zu- und Abschläge" für Wohnungsmerkmale. Ein Balkon zum Beispiel sei in der Berechnung keinen Zuschlag wert: "Unsere Mitglieder wollen erklärt haben, warum."
Sowohl die Neuvertragsmieten als auch die Bestandsmieten liegen laut Rudolf Stürzer im Mietspiegel um rund 30 Prozent niedriger als sie tatsächlich seien. Im Wohnungsmarktbarometer des städtischen Planungsreferats werde die durchschnittliche Miete bei einem neuen Vertrag innerhalb der letzten vier Jahre mit 14,89 Euro pro Quadratmeter angegeben. "Dieser Wert deckt sich in etwa mit unseren Erfahrungen", so Stürzer. Der Mietspiegel dagegen, der im Auftrag des städtischen Sozialreferats erstellt wird, weise hier eine Durchschnittsmiete von nur 11,68 Euro pro Quadratmeter aus.
"Lückenhafte Dokumentation"
Um diese Differenz nachzuvollziehen, will Stürzer alle dem Sozialreferat vorliegenden Daten überprüfen. Er spricht von einer "lückenhaften und unvollständigen Dokumentation des Mietspiegels" und unterstellt, dass die Mietspiegelwerte "künstlich nach unten gedrückt" wurden. Haus + Grund habe beim Sozialreferat Informationen darüber angefordert, aus welchen Gründen von 25.626 durchgeführten Mieterinterviews 21.398 "nicht mietspiegelrelevant" gewesen sein sollen, also 83 Prozent. Üblicherweise liege dieser Wert nur bei etwa 40 Prozent. Der Eigentümerverband erhielt jedoch vom Sozialreferat eine Absage: Die Daten müssten dazu erst äußerst aufwändig aufbereitet werden und es gebe hier keine Auskunftspflicht. Das sieht Stürzer anders. Er beruft sich auf die Aktenaufbewahrungspflicht und die von der Stadt erlassene Informationsfreiheitssatzung. Beim Bayerischen Verwaltungsgericht hat er deshalb nun diese Woche Klage auf Offenlegung der Daten eingereicht: "Wir leben in einer Zeit, in der Transparenz herrschen muss."
Rudolf Stürzer äußerte auch den Verdacht, es könnten Mieten von Sozial- und Genossenschaftswohnungen in den Mietspiegel mit eingeflossen sein. Dies wäre ein Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben. Er begründete den Verdacht mit der Passage aus einem Schreiben von Sozialreferentin Brigitte Meier. Ihrer Ansicht nach müsse ein Mietspiegel all die unterschiedlichen Facetten des örtlichen Wohnungsmarkts einbeziehen, heißt es darin (siehe dazu auch den Artikel "Wissenschaftlich fundiert".)
Stürzer monierte die Tatsache, dass der Mietspiegel in München nicht – wie in vielen anderen Städten – von einer Mietspiegelkommission erstellt wird, der auch Vertreter der Mieter- und Vermietervereinigungen angehören. Stattdessen wird der qualifizierte Mietspiegel vom Stadtrat anerkannt.
Mietpreisbremse auf dem Prüfstand
Der Mietspiegel hat an Bedeutung gewonnen, seit der Bundesgesetzgeber den Bundesländern die Einführung einer Mietpreisbremse für Städte und Gemeinden mit "angespanntem Wohnungsmarkt" ermöglicht hat. Demnach darf die Miete bei Neuvermietung höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Haus + Grund kritisiert die daraufhin von der Bayerischen Staatsregierung erlassene Mieterschutzverordnung und hat "aufgrund der zahlreichen und erheblichen Mängel" Popularklage dagegen beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Stürzer fordert Ausnahmen: Die Mietpreisbremse müsse sich auf günstige Wohungen beschränken, an denen tatsächlich Mangel herrsche. In München gebe es aber auch ein hohes Preissegment: "Gutverdiener brauchen keinen Mieterschutz", sagt Stürzer und argumentiert, hier sei die Mietpreisbremse geradezu kontraproduktiv: "Was macht jemand, der sehr gut verdient, bei günstigeren Mieten? Er nimmt mehr Wohnraum in Anspruch, einfach weil er es sich leisten kann." Damit steige der Wohnraum-Verbrauch pro Kopf und die Spannungen auf dem Wohnungsmarkt würden weiter erhöht.
40.000 Beratungen
Der Haus- und Grundbesitzerverein München und Umgebung e.V. verzeichnete in den vergangenen zehn Jahren die stärksten Mitgliederzuwächse in seiner 135-jährigen Geschichte, jährlich kommen über 1000 Mitglieder dazu. Sie nehmen 40.000 Mal im Jahr die Beratung des Vereins in Anspruch, weil es immer schwieriger wird, sich im ständig wachsenden Dschungel aus Gesetzen, Verordnungen, Satzungen und mehreren hundert Urteilen jährlich zurecht zu finden.
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