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Javad fährt das Rollstuhl-Radl

Einzigartiger Service der Diakoniestation Westend

Klient Kurt Huber (vorne) genießt den Freiluft-Fahr-Service der Diakoniestation. Hinten von links: Pflegekraft Javad Razgardani, Geschäftsführerin Petra Hoffmann-Dax und Ludwig Wörner, Vorsitzender des Träger-Vereins. (Bild: ds)

Klappe runter, Rollstuhl rauf, Gurt rum, Helm auf. Passagier Kurt Huber ist bereit für die Ausfahrt. Hinter ihm nimmt Pflegekraft Javad Razgardani auf dem Fahrradsattel Platz und tritt in die Pedale. "Im Sommer war's wärmer", sagt Petra Hoffmann-Dax, Geschäftsführerin und Pflegedienstleitung der Diakoniestation Westend. Das Rollstuhl-Lastenrad mit E-Bike-Antrieb war ihre Idee. Seit diesem Jahr haben die Klienten des mobilen Pflegedienstes auf diese Weise die Möglichkeit, in einem größeren Umkreis mobil zu sein. "Es ist einfach toll, dass die Senioren so auch in entferntere Ecken ihres Stadtteils kommen, in denen sie schon lange nicht mehr waren, und dabei Biografisches entdecken: die Guldeinschule zum Beispiel oder die Kirche Maria Heimsuchung. Eine Klientin fährt so gern in den Westpark, um die Blumen zu sehen", berichtet Hoffmann-Dax.

Bei einer Tagung mit Kollegen aus ganz Bayern hat sie erfahren, dass es so ein Angebot nirgendwo sonst gibt: "Wir sind überhaupt ein exotischer Pflegedienst. Unsere Mitarbeiter sind ja ausschließlich mit dem Fahrrad unterwegs." Auch im Winter und bei jedem Wetter – das müsse man bewundern und loben, findet Ludwig Wörner. Er ist Vorsitzender des Evangelischen Vereins, des Trägervereins der Diakoniestation, und hat das Lastenrad besorgt.

Dass nur geradelt wird, habe bei der Personalsuche einen Vorteil, erklärt Hoffmann-Dax: Im Gegensatz zu anderen ambulanten Pflegediensten benötigen Mitarbeiter hier keinen Führerschein. Dennoch herrscht auch bei der Diakoniestation Fachkräftemangel: "Ich könnte aus dem Stand zehn Leute einstellen, wenn ich sie nur hätte", sagt die Geschäftsführerin. 20 bis 30 Klienten habe es im Viertel gegeben, als sie damals angefangen hat, vor 25 Jahren. "Heute haben wir 140 Klienten, das bedeutet 210 bis 230 Einsätze pro Tag, zwischen 6.30 Uhr und 23 Uhr, in drei Schichten, sieben Tage pro Woche. Und wir haben jeden Tag neue Anfragen."

"So jemanden schickt man nicht weg"

Sie selbst eingeschlossen, besteht das Team von Hoffmann-Dax aus 14 Pflegekräften und sie ist um jede einzelne froh. Besonders auch um Razgardani, der seit Anfang Januar dabei ist, die Klienten besucht und sie auch durchs Viertel radelt. "Er ist der Beste", sagt der 90-jährige Klient Kurt Huber und klopft seinem Pfleger auf die Schulter. "Da habt ihr einen tollen Fang gemacht", erklärt er dessen Chefin. "So jemanden schickt man doch nicht weg, das wäre eine Frechheit."

Denn – und da bekommt Wörner "so einen Hals": Das "Damoklesschwert der Abschiebung" hängt über dem 33-Jährigen. Er war 2015 aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet, wollte arbeiten, kam über eine persönliche Empfehlung zur Diakoniestation. "Es gefällt mir sehr gut. Ich bin froh, alten Menschen helfen zu können", erklärt Razgardani. In seiner Heimat habe er in der Herstellung von Aufzug-Elektronik gearbeitet, doch dann sei sein Vater krank geworden und er habe ihn gepflegt. "Ich möchte die Menschen so versorgen, wie ich meine eigenen Eltern pflegen würde", ist seine Arbeitsmotivation.

"Politisch unaufrichtig"

Wörner, der ehemalige Landtagsabgeordnete und Bezirksausschuss-Vorsitzende, hält es für "politisch unaufrichtig", einerseits nach Pflegekräften zu schreien, andererseits eine so ausgezeichnete Kraft abzuschieben: "Ich bin dafür, dass man Straffällige heim schickt, aber die Leute, die man brauchen kann, muss man schützen. Politisch wäre das relativ einfach. Man müsste sich nur verabschieden von dem Hardlinertum ,Die haben bei uns nichts zu suchen'." Jeder könne froh sein, wenn im Fall der Pflegebedürftigkeit jemand wie Javad für ihn da sei.

Über Javads ungewisse Zukunft wurde auch schon in der Seniorengruppe gesprochen. Interessierte Klienten der Diakoniestation treffen sich nämlich einmal im Monat in den Räumen der Diakoniestation zu einer Brotzeit und zu Gesprächen. "Die Gruppe besteht jetzt im zweiten Jahr und ich stelle fest, dass da soziale Kontakte entstehen", freut sich Hoffmann-Dax. So sei auch die Idee entstanden, eine Tagespflege zu eröffnen. Etwa im März soll es schon so weit sein, dass die Tagespflege in den bisherigen Räumen der Diakoniestation in der Kazmairstraße 56a einzieht. Der Stützpunkt selbst zieht dann direkt um die Ecke in die Bergmannstraße in die bisherigen Räume des Vereins für ethnische Minderheiten. Und, das steht auch groß auf den Dienstfahrrädern: Die Diakoniestation sucht weiterhin Pflegekräfte.


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