Das Letzte seiner Art
100-jähriges Gründungsjubiläum des Vereins Ledigenheim
Manch einer mag denken, die Sache mit der Wohnungsnot in München wäre eine Entwicklung jüngster Zeit. Doch weit gefehlt: Schon Anfang des 20. Jahrhunderts litten die Städter an der Landflucht der Jugend, die Lohn und Brot folgend nach München kamen. Schon damals gab es einfach zu wenig, bezahlbare Wohnungen in der bayerischen Landeshauptstadt, deshalb mussten Notlösungen her. Wohnungen, die ursprünglich nur von einer Familie bewohnt waren, wurden geteilt. Oft nahmen die Familien zusätzlich so genannte Schlafgänger auf, also Personen, die vertragsmäßig das Recht erwarben, mit der Familie in einem Raum und oft sogar in einem Bett zu schlafen. Im Dezember 1910 wurden in München 36.789 Haushalte mit Schlafgängern und Zimmermietern gezählt, der Gesamtwohnungsbestand betrug 142.000 Wohnungen. „Eine Witwe mit fünf Kindern im Alter von 19, 16, 8, 6 und 3 Jahren hat nur zwei kleine Räume mit insgesamt 32 cbm Luftraum und hält auch zwei Schlafgänger“, so heißt es etwa im Bericht einer Wohnungsinspektion aus dem Jahre 1912. Sie selbst teile ihr Bett in der Küche mit dem 28-jährigen Schlafgänger, im Zimmer müsse der 24-jährige Schlafgänger sich zwei Betten und ein Kinderbett mit der übrigen Familie teilen.
Unterkunft für 400 Männer
Das war die Wohnungssituation in München als der Architekt Theodor Fischer 1913 federführend die Gründung des Vereins Ledigenheim München in Angriff nahm. Der Verein hatte den Bau eines großen Gebäudes zum Ziel, das rund 400 Männern eine Unterkunft bieten sollte. „Das war ein zu dieser Zeit revolutionärer Gedanke: Jeder Mann sollte sein eigenes Zimmer bekommen, mit einer Tür, die er hinter sich zumachen konnte“, erklärt Claudia Bethcke, derzeitige Objektverwalterin des Ledigenheims, das inzwischen seit 85 Jahren an der Bergmannstraße im Westend steht. Beim Entwurf des Gebäudes hätte Theodor Fischer vor allem die Bedürfnisse der Bewohner im Blick gehabt. „Das kann man zum Beispiel daran sehen, dass er in die Eingangshalle ein Glasdeckenelement integriert hat, damit es hell und freundlich wird“, so Bethcke. In jedem Stockwerk wurden zudem kleine Sitzecken eingerichtet, wo die Bewohner auch heute noch miteinander plaudern oder spielen können.
Straßenfest am Samstag
In diesem Jahr feiert der Verein Ledigenheim München sein 100-jähriges Gründungsjubiläum. Mit einem Festakt für geladene Gäste und einem großem Straßenfest in der Bergmannstraße im Abschnitt zwischen Gollierstraße und Kazmairstraße soll das Jubiläum begangen werden. Das Straßenfest, zu dem alle Bewohner der Schwanthalerhöhe und des Westends herzlich eingeladen sind, findet am Samstag, 8. Juni, von 14 bis 20 Uhr statt. Verschiedene ortsansässige Institutionen und Betriebe wie das Bürgerheim und das Griechische Haus haben sich für diesen Zweck zusammengetan und bieten kulinarische Köstlichkeiten aus aller Welt und eine Reihe musikalischer Darbietungen an. Highlights sind hier unter anderem der Live-Auftritt der Gruppe „Black & White“ sowie der musikalische Beitrag von Giuseppe Del Duca. Ab 15 Uhr wird zudem die Fotoausstellung „Ledigenheim heute“ zu bewundern sein. Die Fotografen Peter Kruggel und Herrmann Offner haben sich für ihre Arbeiten in Schwarzweiß und Farbe das Ledigenheim, seine Infrastruktur sowie das Leben der Bewohner zum Thema genommen.
„Sehr viele Anfragen“
Das Ledigenheim in der Bergmannstraße gilt als das letzte existierende Ledigenheim dieser Art in Europa. „Ich habe sehr viele Anfragen von Männern, die hier wohnen wollen, weil es in München zurzeit so wenig bezahlbaren Wohnraum gibt. Momentan mussten wir sogar einen Aufnahmestopp verhängen“, erzählt Bethcke. Alle 382 Zimmer – in den meisten Fällen rund sieben Quadratmeter groß – sind derzeit vermietet. WC und Dusche finden die Bewohner auf den Fluren in den Stockwerken. Zudem gibt es eine Gemeinschaftsküche und einen Fernsehraum im Erdgeschoß. 185 Euro kosten die meisten Zimmer monatlich – darin sind schon ein täglicher Putzdienst sowie der regelmäßige Wechsel der Bettwäsche und Handtücher enthalten.
Auf Spenden angewiesen
Die Bewohnerschaft des Hauses ist sehr vielfältig: „Männer aus über 48 Nationen leben hier, der jüngste ist Anfang 20 und der älteste schon Mitte 80“, berichtet Bethcke. Viele der Männer hätten Arbeit, einige seien aber auch auf staatliche Unterstützung angewiesen oder bezögen schon Rente. Die Fluktuation im Haus sei nicht besonders hoch. „Vor allem auch die älteren Bewohner fühlen sich hier zuhause und möchten nicht mehr weg“, so Bethcke. Finanziert wird der Betrieb im Ledigenheim durch die Mieteinnahmen. „Wir sind wahnsinnig dringend auf Spenden angewiesen“, berichtet die Objektverwalterin. Wenn etwa die Reparatur des Aufzuges oder sogar ein Austausch der Holzfenster mit Wiener Sprossen in der denkmalgeschützten Fassade anstehe, laufen zusätzliche Kosten auf.
Trotz des Namens wohnen heute an der Bergmannstraße 35 nicht mehr ausschließlich nur ledige Männer. „Viele haben zum Beispiel eine Familie in ihrem Heimatland, die sie versorgen müssen“, so Bethcke. „Der Name Ledigenheim ist eine historische Bezeichnung, deshalb haben wir uns dafür entschieden, ihn zu behalten.“ Nach wie vor strengstens verboten ist allerdings der Besuch von Frauen auf den Zimmern. Weitere Informationen zum Ledigenheim München auch im Internet unter www.ledigenheim.de. Um Spenden auf folgendes Konto wird gebeten: Kontonummer 1001884657 bei der Stadtsparkasse München (Bankleitzahl 70150000).
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