"Da fehlt die Weitsicht"
Zum Stadtrats-Aus für "Rote Fahne"
Es hat alles nichts genützt. Am Ende einer eineinviertelstündigen Debatte hat der Münchner Stadtrat mehrheitlich beschlossen, die Kündigung für die Mieter des "Hauses mit der roten Fahne" nicht zurückzunehmen sondern die Immobilie Tulbeckstraße 4f einer Wohnnutzung zuzuführen – gegen den einstimmigen Beschluss des Bezirksausschusses Schwanthalerhöhe (BA 8) und gegen den Protest von rund 2.200 Bürgern. "Der Stadtratsmehrheit fehlt die Weitsicht", kommentierte BA-Vorsitzende Sibylle Stöhr nach der Sitzung. Sie hatte im Stadtrat Rederecht bekommen und sich vehement für den Erhalt des Hauses eingesetzt als "bedeutende soziale und kulturelle Einrichtung" im Stadtteil. "Man zerstört hier etwas, was anderswo mühevoll aufgebaut werden muss. Woanders schafft man teure Nachbarschaftstreffs mit pädagogischem Personal, die nicht unbedingt funktionieren", meint Stöhr.
Kreative Lösung gefordert
Die BA-Vorsitzende appellierte in der Sitzung vergeblich an die Mitglieder der CSU- und der SPD-Fraktion, "nicht über unser Stadtviertel hinweg zu regieren." Maximal sieben Wohneinheiten können an der Tulbeckstraße 4f geschaffen werden (der Westend-Anzeiger berichtete). Dazu sagte Stöhr in ihrer Rede: "Die Nutzer dieser kleinen Hinterhofimmobilie will man vor die Türe setzen, sieht aber gleichzeitig zu, wie Privateigentümer ihre Immobilien verfallen lassen – ich sage nur Döner-macht-schöner-Ruine und Schnitzelhaus, inzwischen stadtweit bekannt. Ich erwarte hier von der Stadt mehr Engagement und kreativere Lösungen als ,Wir können nichts machen weil Privateigentum'. Hier könnte man 80 Wohnungen schaffen, wenn man die Eigentümer besser in die Pflicht nehmen würde!" Auf diesen Einwand ging keiner der nachfolgenden Redner ein. Immerhin traten drei CSU- und drei SPD-Vertreter ans Rednerpult.
"Wir wollen keine Kommunisten"
CSU-Fraktionsvorsitzender Manuel Pretzl formulierte klar die Position seiner Partei: "Um diese Institution ist es nicht schade. Wir brauchen keine Kommunisten in dieser Stadt!" SPD-Mann und Gewerkschafter Horst Lischka sagte, die Arbeiterbewegung habe ihre Heimat im DGB-Haus, das übrigens schon mehrmals umgezogen sei. Wer gegen die Tulbeckstraße 4f sei, sei ja nicht gleich gegen die gesamte Arbeiterbewegung. Sibylle Stöhr hatte zuvor der SPD-Fraktion zugerufen: "Wer, wenn nicht die Sozialdemokratie könnte sich besser als jede andere Partei für das Erbe der Arbeiterbewegung einsetzen? Die Martin-Schulz-Festspiele gehen irgendwann einmal vorbei, und dann werden Sie wieder an Ihren Taten gemessen!"
Kein Platz im Gewerbehof
Es waren lediglich die Linken und Die Grünen, die für ihren eigenen Antrag zum Erhalt des Hauses stimmten. Die SPD hatte noch einen Änderungsantrag eingebracht, mit dem Vorschlag, das "Haus mit der roten Fahne" solle in den Gewerbehof Westend umziehen. Diesem Ansinnen erteilte Bürgermeister Josef Schmid (CSU) in seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender der Münchner Gewerbehof-Gesellschaft gleich eine Absage: Für diese "Verfassungsfeinde" werde er sicherlich nicht die bestehende Warteliste ignorieren. Wachsam müsse man auf alle Seiten blicken, wenn es um Verfassungsfeinde gehe, auf der linken genauso wie auf der rechtsextremen Seite. CSU-Kollege Hans Podiuk hatte zuvor klassenkämpferische Passagen aus dem Programm des "Arbeiterbundes für den Wiederaufbau der KPD" (der seinen Sitz im "Haus mit der roten Fahne" hat) zitiert.
"CSU kennt die Leute nicht"
"Diese ideologische Debatte, wie von der CSU angezettelt, war doch ein Nebenkriegsschauplatz", erklärte BA-Vorsitzende Sibylle Stöhr hinterher. "Das sind doch olle Kamellen. Es hat auch gezeigt, dass sie sich vor Ort nie umgesehen haben und die Leute nicht kennen. Wer die Leute kennt weiß, dass die keiner Fliege was zuleide tun." Sie fragt sich, warum die CSU keine Vertreter zur Podiumsdiskussion im Griechischen Haus am Montag vor der Abstimmung geschickt hat: "Die CSU hat über 20 Leute in der Fraktion, da hätte sicher einer Zeit gehabt. Das Nichterscheinen werte ich als Feigheit."
"SPD schwimmt im Fahrwasser"
Sie verstehe nicht, warum die SPD im Stadtrat "im Fahrwasser der CSU mitschwimmt. Ich hätte mir auch nie träumen lassen, dass es nun wir Grüne sind, die die Arbeiterfahne hoch halten."
Die SPD-Stadtratsfraktion hatte zur Podiumsdiskussion ausgerechnet Gerhard Mayer geschickt, der sich persönlich für den Erhalt des Hauses eingesetzt hatte. Um nicht, der Fraktionsdisziplin folgend, gegen seine Überzeugung stimmen zu müssen, verließ er zur Abstimmung den Saal.
Enttäuscht ist Sibylle Stöhr davon, dass Oberbürgermeister Dieter Reiter sich aus der Debatte völlig herausgehalten hat: "Das war mehr als schwach, weil ich ihn in der Sitzung ja persönlich angesprochen hatte." Zahlreiche Bürger hatten sich zuvor mit Schreiben an den OB gewandt.
"Ich sage mal so, wir sind zwar untergegangen, aber aufrecht und mit wehenden Fahnen", bilanziert Sibylle Stöhr. "Wir haben alles getan, was möglich gewesen ist."
"Wir geben nicht auf"
Die Mieter, der Verlag "Das Freie Buch", Druckerei und Vereine, geben sich indes nicht endgültig geschlagen: "Wir sehen uns durch die breite Unterstützung, die unser „Haus mit der Roten Fahne“ erhalten hat, darin bestärkt, das „Haus mit der Roten Fahne“ nicht aufzugeben, auch nicht nach dem Stadtratsbeschluss. Noch kann auch dieser Beschluss durch das Leben wieder Vergangenheit werden." Über das weitere Vorgehen müsse nun beraten werden.
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