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15 Minuten Herzblut

Open Mic: Neulinge und Profis auf der Bühne

Routine bekommt man nur auf der Bühne: "New Old Stock" nennen sich vier spätberufene Gitarristen, die sichtlich mit viel Freude zusammen musizieren. (Bild: ds)

So wenige Menschen sind es gar nicht, die es auf die Bühne zieht, um dem Publikum etwas von sich zu zeigen. Im Privatfernsehen gibt es immer mehr Shows mit singenden Leuten jeden Alters, die sich dann von einer mehr oder weniger kompetenten Jury loben oder beleidigen lassen, die auf "Recalls" oder "Sing offs" hinfiebern, die aus- und abgewählt werden. Schon beim guten alten Grand Prix d'Eurovision de la Chanson, heute Eurovision Songcontest, ging es los mit dem Wettbewerb: um Punkte und Platzierungen.

Was für ein Erlebnis, den Bildschirm dunkel zu lassen und hinauszugehen ins echte, reale Leben. In die "Realwirtschaft" Stragula am Ende der Bergmannstraße, Ecke Ridlerstraße. Hier lädt einmal im Monat der Musiker Titus Waldenfels zum "Westend Open Mic" ein. Das Mikrofon steht jedem, den es auf die Bühne zieht, für rund 15 Minuten offen. Die auftretenden Künstler erwartet dort nichts weiter als zwei Freigetränke und der ehrliche Applaus der Gäste. Und das Publikum freut sich auf einen kontrastreichen Abend.

In der Nachbarschaft

Nasskalt ist es Ende November, auch Musiker werden krank, deshalb treten an diesem Abend nur fünf Acts auf. Sechs seien es normalerweise, erzählt Gastgeber Titus Waldenfels, bei dem sich die Auftrittswilligen vorab anmelden: "Einmal waren es sogar neun, das war dann etwas stressig." Seit gut zwei Jahren ist die Veranstaltungsreihe im Stragula etabliert. Wie es dazu kam? "Ich wollte etwas in der Nachbarschaft machen. Ich habe selber viel auf Open Mics gespielt", erklärt Titus Waldenfels freundlich. Der rothaarige Musiker mit den mächtigen Koteletten steht seit knapp 25 Jahren mit den unterschiedlichsten Programmen und Mitspielern hauptberuflich auf der Bühne. Eigentlich fast jeden Abend, stellt man fest, wenn man sich den Tourplan auf www.titus-waldenfels.de ansieht.

Swing Session

Das Westend Open Mic im November beginnt wie immer um 19 Uhr mit der Western Swing Session mit Titus Waldenfels abwechselnd an der Gitarre, Steel Guitar und Geige. Für diesen Abend an seiner Seite: Gitarrist Oliver Weiße (The Deadful Greats) sowie Profi-Trompeter Hans Kröll. "Einsteiger willkommen", heißt es bei der Swing Session, jedoch bleiben alle, die nach und nach den Gastraum betreten, im Publikum sitzen. Einen Bassisten benötigt Titus Waldenfels nicht wirklich in der Band: Er hat sich einen einsaitigen Bass gebastelt, den er nebenbei noch mit dem Fuß bedient.

Der Westcoast-Swing geht noch ein wenig in die Verlängerung, bis Titus Waldenfest den ersten Open-Mic-Gast ankündigt: Peter Schneider, ein bayerischer Liedermacher, der "all the way from Rosenheim" angereist ist. Die Gitarre eingestöpselt und los geht's mit einem Lied "passend zur Jahreszeit: Es fängt winterlich an." Der Refrain lautet schließlich "Am Baggersee, da is' im Sommer schee." Es folgen eine schlüpfrige Ansage über "Auszog'ne" und der "Kaiserschmarrn-Blues". Bei der Zugabe animiert Peter Schneider das Publikum erfolgreich zum Mitsingen: "Hey Dokter, du muasst mi krankschreim, i wui dahoam bleim."

Gänsehaut-Stimme

International geht es weiter mit dem Duo Birkett Hall aus Kanada. Ted Hall stöpselt seine Gitarre ein, Ea Birkett übt Bayerisch – "Oachkatzlschwoaf" – und hat eine Bluesharp dabei. Und ihre Rockstimme. Diese Stimme! Nach wenigen Tönen wird klar, dass jetzt zwei Vollprofis auf der Bühne stehen, die hier mit Leib und Seele ihr Ding machen, das zwischen Rock, Blues, Folk und Jazz liegt. Der Applaus ist nun nicht mehr nur freundlich, sondern frenetisch.

"No pfenningguad!"

Vier Männer mit Gitarren sind nun dran, sie nennen sich "New Old Stock" und erklären den Bandnamen: So würde im Musikalienhandel Ware aus dem Lager genannt, die über Jahre nicht verkauft aber trotzdem gut erhalten sei. "So is des au mit uns: Mir san no pfenningguad erhalten, aber trotzdem Neulinge." Auch hierfür gibt es viel Applaus und Titus Waldenfels moderiert: "Das war ja ein Gitarren-Inferno, das war wundervoll. Zum Ausgleich kommen nun zwei Herren, die gar keine Gitarre dabei haben."

Helden in Ausbildung

Das Klavier am Rand der Bühne wird aufgeklappt – mit den Kerzenständern erinnert es an einen Western-Saloon. Dass es verstimmt ist, passt zu diesem Eindruck. "Helden in Ausbildung" nennen sich der Sänger und der Pianist, die zunächst selbst geschriebenen "Independent-Liedermacher-Pop" darbieten. "Wenn man in Ausbildung ist, darf man sich noch Fehler erlauben", kokettiert der Sänger. Tatsächlich bringt er dem Publikum eine interessante Lektion über das Wesen der Popmusik nahe: Er singt die Refrains von 19 internationalen Hits, von den Beatles über U2 bis A-ha, während sein Pianist immer dieselben vier Akkorde wiederholt.

Zum Schluss kommt dann wieder etwas ganz anderes, ein Projekt, an dem Gastgeber Titus Waldenfels selbst beteiligt war: Ein Beitrag für eine Veranstaltung gegen rechtsradikale Weltanschauung. Die klassische Sängerin Monika Lichtenegger singt drei internationale Arbeiter- und Partisanenlieder. Beendet wird der vielseitige Abend mit einer gemeinsamen Abschluss-Session.

Eintritt kostet das Konzert übrigens nicht. Ein Spendentopf geht herum, dessen Inhalt an die SchlaUschule (Schulanaloger Unterricht für junge Flüchtlinge, www.schlau-schule.de) gespendet wird.

Kommende Open Mics

Das nächste Westend Open Mic findet am Montag, 18. Dezember, statt. Die Künstler-Liste wirkt relativ lang und verspricht wieder viel Abwechslung: Muddy What, Andrea Limmer, Katarina Braun, Combo Zeisig, Maik Negraschus, Thomas Sedlmaier & Alegría Mannhardt, Wolfgang Bruggmoser, The Ukelites.

Die Termine im neuen Jahr sind: 15. Januar (mit Markus Trausch, The Politicians, Muriel König, Norman Young und anderen), 19. Februar, 12. März, 16. April, 14. Mai, 18. Juni. Fortsetzung folgt.


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