Projekt: SPD-Fraktion umstimmen
Geballter Kampfgeist zur Rettung von "Haus mit der roten Fahne"
Gefühlt Hunderte von Menschen falteten sich am Montagabend im Griechischen Haus auf Fensterbänken, Tischen und Treppenstufen zusammen und drängten sich vor der offenen Tür, um bei der kurzfristig angesetzten Diskussion zum "Haus mit der roten Fahne" dabei zu sein. Der Bezirksausschuss Schwanthalerhöhe (BA 8) wollte alle Beteiligten an einen Tisch holen und Transparenz schaffen, bevor der Münchner Stadtrat am Mittwoch, 15. Februar, über die Zukunft der Immobilie Tulbeckstraße 4f entscheidet.
Laut Sitzungsvorlage wird die große Koalition aus SPD und CSU den Antrag von Grünen und Linken zum Erhalt des Hauses abschmettern ("wurde damit behandelt") und die Petition mit über 2.000 Unterschriften "zur Kenntnis nehmen" ("der Bitte der Petition kann nicht entsprochen werden"). Auch das einstimmige Votum des Bezirksausschusses hatte keinen Einfluss auf die Beschlussvorlage. Immerhin wird BA-Vorsitzende Sibylle Stöhr (Grüne) in der Stadtratssitzung sprechen dürfen und die Position des Stadtviertels darlegen.
Kompromiss: Gewerbehof
SPD-Stadtratsmitglied Gerhard Mayer wurde vom Publikum arg in die Zange genommen. Persönlich setzt er sich seit Jahren für den Erhalt des "Hauses mit der roten Fahne" als Zentrum der Arbeiterkultur ein. Doch innerhalb der SPD-Stadtratsfraktion habe er für seine Meinung keine Mehrheit finden können, erläuterte er. Deshalb präsentierte er den Kompromissvorschlag, dem Verlag "Das freie Buch" ersatzweise Räume im Gewerbehof Westend anzubieten. Damit werde die Institution im Viertel gehalten und im Gewerbehof sei sowohl Platz für die Druckerei als auch für Veranstaltungen.
"Das ist nett", antwortete Julian Mühlbauer als Vertreter des "Hauses mit der roten Fahne", "aber kein adäquater Ersatz für das, was wir seit 40 Jahren da machen".
Wegbetoniert und glattgebügelt
Förmlich in der Luft zerrissen wurde das Argument der Stadt, der Mieter müsse aus dem Gebäude weichen, weil an dieser Stelle bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden solle. Für großes Erstaunen sorgte die von Ulrike Klar vom Planungsreferat genannte Zahl, auf dem 300 Quadratmeter großen Grundstück im Hinterhof könnten sieben Wohnungen entstehen – Mieter und Nachbarn hätten eher mit zwei Wohnungen gerechnet. Aber, so war es in vielen Redebeiträgen zu hören, auch für sieben Wohnungen dürfe nicht eine kulturelle Einrichtung wegbetoniert, München glattgebügelt werden: "Dieser rote Farbtupfen muss im Westend bleiben", wurde ein Brief des KZ-Überlebenden Ernst Grube an OB Dieter Reiter zitiert. Vertreter der sozialistischen Jugend Deutschlands "Die Falken" waren extra aus Regensburg angereist. Kurz meldete sich ein "Vertreter der Minderheit" zu Wort: Er sei Wohnungssuchender – aber selbst er verlasse die Veranstaltung "nachdenklich".
Klar politisch motiviert
"Schade, dass niemand von der CSU da ist", bemängelte Grünen-Stadträtin Jutta Koller. "Der Angriff auf die Tulbeckstraße 4f ist ganz klar politisch motiviert", betonte Linke-Stadträtin Brigitte Wolf. Immerhin ist ein Antrag aus dem Jahr 2011 der damaligen CSU-Stadträte Robert Brannekämper und Mario Schmidbauer Ursprung des ganzen Schlamassels. Sie haben damals einen unterschriftsreifen Kaufvertrag verhindert, weil sie kein städtisches Eigentum in den Händen von Kommunisten sehen wollten.
Mayer: Gebe mein Bestes
Brigitte Wolf sagte, sie wisse zwar um Sachzwänge in der derzeitigen Stadtrats-Konstellation, appellierte jedoch an die SPD-Fraktion, ihr eigenes Profil zu behalten und mit ihrem Antrag für den Erhalt des Hauses zu stimmen. "Für eine Mehrheit braucht es die CSU gar nicht", gab Daniel Günthör (Grüne BA 8) zu bedenken. Gerhard Mayer versprach, in der Fraktionssitzung am Mittwoch um 8.30 Uhr, unmittelbar vor Beginn der Stadtrats-Vollversammlung, nochmal sein Bestes zu tun, um die Fraktion umzustimmen. "Erzähl, dass hier das Klientel ist, das ursprünglich SPD gewählt hat", gab ihm Alexandra Grimm, die Vorsitzende des August-Kühn-Vereins, auf den Weg.
Auch BA-Vorsitzende Sibylle Stöhr appellierte an die Stadtratsmitglieder, "nicht über den Willen unseres Stadtviertels hinweg zu regieren". Und als Bergsteigerin fügte sie hinzu: "Wahre Größe besteht darin, kurz vor dem Gipfel umzukehren."
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