Kopf ab? Macht nix
"Impro macht Schule" an der Ridlerstraße
"Klar kannst du das! Was Schlimmeres als ,Kopf ab' kann dir nicht passieren, und das macht ja nichts", ermuntert Sophie Hechler. Die 30-jährige Schauspielerin kommt jeden Dienstag für zwei Schulstunden in die Klasse 6a der Mittelschule an der Ridlerstraße, um mit den Mädchen und Jungs Improvisationstheater zu machen. Gerade läuft das Spiel "König Königin Kopf ab": Ein Erzähler denkt sich fantasievolle Einzelheiten über das Königreich und seinen Herrscher sowie dessen Vorlieben und Abneigungen aus. König oder Königin sitzt erhaben und von Wachen umrahmt auf dem Thron. Ein Untertan nähert sich mit einem Geschenk. Ist das Auftreten des Untertans zu forsch oder hat er ein falsches Geschenk ausgewählt, entscheidet der König oder die Königin: "Kopf ab!" – Und mit sichtlich riesigem Vergnügen schwenken die Wachen ihre imaginären Schwerter, um das Urteil sofort zu vollstrecken.
Seit Schuljahresbeginn heißt es für die 6a "Impro macht Schule". Das Projekt ist Bestandteil des Deutsch-Unterrichts. Lehrerin Daniela Erhart hat festgestellt, dass es die Ausdrucksfähigkeit der Schüler enorm fördert: "Sie erzählen viel freier."
Trainerin Sophie Hechler freut sich über die Fortschritte ihrer Impro-Kids: "Es ist für jedes Kind ein persönlicher Gewinn. Die lauteren, übermütigen Schüler lernen Teamgeist und Achtsamkeit. Anfangs sehr stille Mädchen sind inzwischen viel mutiger und hörbarer geworden." Sie erfahre auch oft, dass sich das Klassengefüge durch die Impro-Workshops gut entwickelt, weil die Schüler eingefahrene Rollen verlassen: "Beim Spielen werden die Rollenverteilungen neu definiert." Eine Königin gehe schon mal mit erhobenem Haupt auch durch den Rest des Tages.
Spontan und miteinander
Vor allem macht der Unterricht den Kindern großen Spaß. Sie freuen sich schon immer sehr auf ihre Impro-Stunde. "Es ist kein Reinfressen von Lernstoff, sondern sie lernen dadurch, etwas aus sich herauszubringen", erklärt Sophie Hechler. Wenn sie eine Szene spielen, dürfen die Kinder alle Ideen einbringen, die ihnen in den Sinn kommen, und die Ideen werden wertgeschätzt. Auch wenn sie abstrus sind. Oft entstehen sie auch erst beim Spielen. Sophie Hechler achtet immer darauf, dass sich ein Miteinander entwickelt, dass die Spielpartner aufeinander eingehen und die Worte und Aktionen des anderen aufgreifen.
"Ich bin ein..."
Beim Spiel "Ich bin ein Baum" entwickeln sich immer neue Szenen und Interaktionen: Alle Schüler stehen im Kreis, einer geht in die Mitte und sagt: "Ich bin ein..." und lässt sich irgend etwas einfallen: Boxer zum Beispiel, und boxt in die Luft. Ein zweiter Teilnehmer geht rein und sagt: "Ich bin ein Gegner" und fängt ebenfalls an zu boxen. Der dritte sagt: "Ich bin ein Boxhandschuh" und macht jede Handbewegung des Boxers mit. Eine Riesengaudi. Weiter geht es nun damit, dass Boxer und Boxhandschuh den Kreis verlassen und nur noch der Gegner dableibt. Dazu gesellt sich nun jemand Neues, der den Gegner in eine völlig andere Aktion einbindet. Ein dritter kommt hinzu, dann verlassen wieder zwei die Szene. Blumen, Schmetterlinge, Pollen, Bienen, Flügel, Vögel und Löwen betreten die Bühne, spielen ihre Rolle und gehen wieder in den Kreis. Improtheater macht kreativ und reaktionsschnell, selbstbewusst und teamfähig.
Bombige Ideen
Ideen sind auch gefragt beim Spiel "Die Bank": Zwei Stühle stellen eine Parkbank dar, auf der jemand sitzt. Ein zweiter Schüler kommt hinzu und muss versuchen, den Sitzenden – im Spiel ein fremder Mensch – irgendwie von der Bank zu vertreiben. Manche versuchen es mit Körpereinsatz: Sie rücken dem anderen auf die Pelle. Andere benutzen Worte: "Wenn Sie aufstehen, zahl ich Ihnen 100 Euro." Oder: "Wollen Sie am Leben bleiben? Unter Ihrer Bank ist eine Bombe, die explodiert gleich." Oder: "Gehen Sie hier weg oder meine Freunde und ich mobben Sie in der Schule." Oder: "Sie sind verhaftet wegen illegalen Drogenhandels." Erlaubt ist alles, was in die Szene passt und Sophie Hechler spart nicht mit Lob.
Impro schult
Der gemeinnützige Verein "Impro macht Schule e.V." wurde 2012 auf Initiative von Rechtsanwalt und Hobbyimprovisator Dr. Jürgen Peters und Schauspieler und Theaterpädagoge Roland Trescher gegründet. Trescher war 1992 Mitbegründer des Fastfood Improvisationstheaters und ist eine Größe in der Improszene. Pilotprojekt war die Mittelschule Wörthstraße in Haidhausen, eine Schule mit 90 Prozent Migrationsanteil. Seitdem ist das Projekt enorm gewachsen: Inzwischen nimmt rund die Hälfte aller 42 Münchner Mittelschulen an „Impro macht Schule“ teil. Das Ziel ist, den Schülern spielend Selbstsicherheit zu vermitteln und damit auch Grundlagen für die spätere berufliche Entwicklung zu schaffen. "Wir wollen weiter wachsen", erklärt Projektmanagerin Karin Ertl, selbst Trainerin an den Mittelschulen an der Fürstenrieder- und der Leipziger Straße. Anfang Juli wird das fünfjährige Bestehen des Vereins im Einstein Kultur groß gefeiert.
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