Ein bewohntes Denkmal
Das Ledigenheim bietet fast 400 Männern ein Zuhause
"Das Gebäude wirkt ein bisschen wie eine Trutzburg", findet Claudia Bethcke, Objektverwalterin des Ledigenheims. Hinter den dicken Mauern passiere nichts Geheimes: Sie möchte den Backsteinbau an der Bergmannstraße 35 gerne einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen. Im großen Aufenthaltsraum hält seit April der Bezirksausschuss seine öffentlichen Sitzungen ab, bei der ersten Westend-Musiknacht am 21. Oktober wird es hier ein Konzert geben. Auch Ausstellungen oder Feiern kann sich Claudia Bethcke vorstellen.
Als echtes Münchner Kindl und interessierter Zeitungsleserin war ihr das Ledigenheim kein Begriff, als sie sich 2010 um die Stelle als Objektverwalterin bewarb. Für ein Haus, in dem sie damals 400 ledige Frauen vermutete, wie sie schmunzelnd erzählt. Mediale Aufmerksamkeit bekam es dann 2013, als der Verein Ledigenheim e.V. sein 100-jähriges Bestehen feierte.
"Davon bräuchten wir mehr"
"Der Verein bringt eine enorme Leistung", stellt Claudia Bethcke heraus. Er verwaltet und betreibt das 6000 Quadratmeter große Haus mit Pförtner, Reinigungspersonal, Hausmeister und Sozialpädagogin. Fast 400 Männer mit niedrigem Einkommen haben hier ein kleines, aber eigenes Zimmer. Die Miete beträgt 195 Euro im Monat, inklusive Betriebskosten und täglicher Reinigung. Die Bewohner, Männer aus 49 Nationen, sind froh um ihre günstige Unterkunft, nur wenige ziehen aus. Die Anfragen um ein Zimmer füllen dicke Ordner, zur Zeit werden gar keine Anträge mehr angenommen. "Von solchen Häusern, in einer zeitgemäßen Form, bräuchten wir in München noch mehr", meint Claudia Bethcke.
Ihre Tätigkeit sei so "wahnsinnig vielseitig", erzählt die studierte Juristin, und mache ihr große Freude. Insgesamt betrachtet funktioniere das Zusammenleben harmonisch. Als Chef eine Frau zu sein, sei eher ein Vorteil als ein Nachteil. Es gilt die Hausordnung, an die sich jeder zu halten hat. Dass die Pforte rund um die Uhr besetzt ist, halte viele davon ab, "sich daneben zu benehmen".
Renovierung bitter nötig
Von den Mieteinnahmen werden nur die laufenden Kosten wie Strom, Wasser und Heizung gedeckt. Das Geld für dringend notwendige Renovierungsmaßnahmen muss anderswo herkommen. 2014 hat die Stadt München einen Zuschuss von 2,2 Millionen Euro gegeben. "Das klingt nach viel. Aber das Haus ist denkmalgeschützt. Wir müssen zum Beispiel Holzfenster mit Wiener Sprossen einbauen", erklärt Claudia Bethcke, "die sind sehr teuer." Sie freut sich sehr über die inzwischen erneuerte Aufzugsanlage, die komplett renovierte Gemeinschaftsküche und neues Mobiliar für die nach und nach renovierten Zimmer – alles "bitter nötig".
Sponsoren gesucht
Doch 2016 kam ein neues Thema auf den Tisch: Brandschutz. Claudia Bethcke fürchtet, dass hier weitere Millionenbeträge fällig werden könnten. "Wir werden wieder an die Stadt herantreten müssen." Froh wäre sie auch um Sponsoren: "Ich bin überzeugt, dass es in München etliche sozial engagierte Millionäre gibt. Wenn sie von unserem Haus wüssten, würden sie uns vielleicht unterstützen, entweder wegen der sozialen oder der architektonisch interessanten Aspekte."
Zum 100-Jahr-Jubiläum habe sie zahlreiche große Firmen von BMW bis FC Bayern angeschrieben. Die einzige positve Rückmeldung bekam sie von der Edith-Haberland-Wagner-Stiftung der Augustiner-Brauerei: "Das ist wirklich großartig, wir sind sehr dankbar. Die haben uns zugesagt und eine Woche später war das Geld da." Ein historisches Augustiner-Werbeschild hängt ganz bewusst an der Wand, und Claudia Bethcke würde auch gerne zum Beispiel neue Brandschutz-Türen mit Messingschildchen versehen, auf denen der Sponsor genannt ist.
Bezahlbarer Wohnraum
Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in München ist keine Entwicklung der jüngsten Zeit. Um 1900 lebten ganze Familien in einem einzigen Zimmer mit Küchen- und Toilettenmitbenutzung. Zusätzlich nahmen sie dann noch so genannte "Schlafgänger" auf, die als Untermieter das Bett mitbenutzen durften. Um diesen unhaltbaren Zuständen entgegenzuwirken, gründeten Wohnungspolitiker, Universitätsprofessoren, Adelige und Bürgerliche unter der Federführung von Architekt Theodor Fischer im Jahr 1913 den Verein Ledigenheim e.V. Nach dem Vorbild bestehender Heime in Wien, Budapest, Mailand und Berlin sollte ein Haus für 400 Männer gebaut werden.
Der erste Weltkrieg kam dazwischen, und nach dessen Ende waren noch mehr Menschen auf Wohnungssuche. 1927 öffnete der damals hochmoderne Bau im Arbeiterviertel dann seine Pforten. Heute gilt das Ledigenheim als das letzte seiner Art in Europa. Die Bewohner müssen zwar keineswegs ledig sein, aber Damenbesuch auf den Zimmern ist bis heute streng verboten.
Weitere Informationen stehen unter www.ledigenheim.de im Internet.
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