Zwei Buben retteten Schatz vor der Zerstörung
4.000 Jahre alte Schmuckstücke sind erst ab 2020 wieder zu sehen
Grün. Die Zeichen der Zeit stehen auf Grün. Heiner Schwarzberg zieht sich ein paar weiße Handschuhe über und hebt vorsichtig ein Schmuckstück hoch. "Das ist eine so genannte Rudernadel", sagt er. Schwarzberg, promovierter Archäologe, blickt auf einen kleinen Schatz: Nadeln, ein Haarring, Armbänder, insgesamt sind es sechs Stücke, die 1972 in einer Baugrube in Solln auftauchten. "Das ist Bronze und war mal schwarz-golden. Aber durch die Oxidation ist sie grün geworden", erklärt Schwarzberg, der die Abteilung Vorgeschichte in der Archäologischen Staatssammlung in München leitet.
"Sollner Urmutter"
Vielen Bürgern, vor allem den älteren, dürfte der Begriff "Sollner Urmutter" noch geläufig sein. Diese Bezeichnung hatte sich in der Bevölkerung eingebürgert, nachdem zwei spielende Buben im März 1972 auf das Grab einer Frau gestoßen waren. In 40 cm Tiefe lagen Knochen und Grabbeigaben. An der Ecke Gulbransson- / Weltistraße wurde damals gerade die Wohnsiedlung errichtet. In der Archäologischen Staatssammlung ist der Fund als "Frauengrab aus der Frühebronzezeit" gelistet. "Es wird auf etwa 2000 vor Christus datiert", sagt Schwarzberg. "Die Frau wurde in Nord-Süd-Ausrichtung in der Hockerbestattung beigesetzt." Ein ganz typisches Grab für die damalige Zeit sei es.
Bemerkenswert und zeitlos schön
Wenn Schwarzberg über den Fund spricht, gerät er ins Schwärmen. Für ihn ist das Grab etwas ganz Besonderes. "Ich finde es aus verschiedenen Gründen bemerkenswert: Einerseits natürlich aufgrund der relativ reichen Ausstattung, die mich als Wissenschaftler sehr interessiert. Das Grab entstammt einer unglaublich spannenden und dynamischen Zeit, in der vor dem Hintergrund der Kupfer- und Bronzemetallurgie und zunehmenden überregionalen Wirtschaft auch kulturgeschichtlich viel passiert ist. Dann spricht mich auch persönlich ästhetisch ganz besonders die Nadel mit ihrem zeitlos-schönen Dekor an, die ich für eines der schönsten derartigen Beispiele halte." Die Nadel ist als "Sollner Fibel" bekannt.
Die Technik kam aus Süd-Ost-Europa
"Man kann davon ausgehen, dass es sich um eine wohlhabende Dame handelte, denn die Grabbeigabe hat doch einen gewissen materiellen Wert", so der Wissenschaftler. "Bronze ist eine Legierung aus Kupfer und Zinn. Zur damaligen Zeit war Bronze noch ein Prestigeobjekt, also etwas ganz Besonderes. Die Schmuckstücke waren keine Massenproduktion." Die Technologie sei über Süd-Ost-Europa hierher gekommen. "Goldfunde aus der Zeit sind noch eher die Ausnahme", sagt Schwarzberg.
Während die Gebeine der "Sollner Urmutter" in der Anthropologischen Staatssammlung aufbewahrt werden, lagern die Schmuckstücke im Hauptdepot im Keller der Archäologischen Staatssammlung. Gut gesichert und wohltemperiert. Die Grabbeigaben waren Teil der Dauerausstellung. Doch bis sie wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, werden noch einige Jahre vergehen. Denn bis Ende 2016 muss das Gebäude in der Lerchenfeldstraße geräumt werden. Neben einer umfangreichen Generalsanierung, steht auch ein Umbau an. "Wir befinden uns gerade in der heißen Planungsphase", sagt Schwarzberg und freut sich: "Der Umbau eröffnet uns die Möglichkeit, eine komplett neue Dauerausstellung zu errichten." Frühestens 2020 werden die "Sollner Fibel" und die anderen Funde wieder der Öffentlichkeit gezeigt.
Schatz vor der Zerstörung bewahrt
Und über noch etwas freut sich der Forscher: "Ich bin wirklich froh, dass die beiden Jungs damals aufgepasst haben. Die ganze Fundgeschichte ist ein sehr tolles Beispiel dafür, dass wir auf die Mithilfe aller Mitbürger angewiesen sind und dass das gut funktionieren kann. Ohne die Aufmerksamkeit der damaligen Kinder wären diese Funde und auch die Fundzusammenhänge unbeobachtet vernichtet worden."
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