"Nicht tatenlos hinnehmen!"
Eine Stele erinnert an den ermordeten James M. Greene
Der 19. Juli 1944 ist ein Mittwoch - der Tag vor dem Stauffenberg-Attentat. An diesem Tag sterben viele Menschen in München und Pullach. 350 US-Bomber fliegen Angriffe u.a. auf die BMW-Fabrik in Allach, wo Motoren für Jagdflugzeuge hergestellt werden.
Sie nehmen auch die Industrieanlagen von Linde und den Elektrochemischen Werken in Pullach ins Visier, die Rüstungsbetriebe beliefern. Für den Ort ist es der schwerste Angriff des Krieges. In Pullach kommen wohl 30 Menschen um, darunter acht oder neun sowjetische Zwangsarbeiterinnen.
Im Wald erschossen
In einem der anfliegenden Bomber, der "Flying Junior", sitzt der 19-jährige James M. Greene aus Kentucky. Drei Monate zuvor wurde sein Sohn geboren. Die beiden werden sich niemals sehen, denn der Bomber wird über dem Wald zwischen Pullach und Solln abgeschossen. Greene und einigen seiner Kameraden gelingt es noch, mit dem Fallschirm aus der brennenden Maschine zu springen. Vier von ihnen landen nahe der Forstenrieder Flakstellung und geraten in Kriegsgefangenschaft. Greene erreicht in dem Waldstück an der Sollner Rungestraße den Boden und ergibt sich dort drei NS-Funktionären, Bürgern aus Pullach. Einer von ihnen, NSDAP-Ortsgruppenleiter Heinrich Gradl, tötet den wehrlosen 19-Jährigen. Die drei Pullacher nehmen Greenes Wertsachen als Trophäen an sich und verstümmeln seinen Körper.
"Greene hatte sich ergeben und befand sich in keiner unmittelbaren Kampfhandlung mehr", sagte die Pullacher Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund. "Hier kann nur von Mord gesprochen werden." Das gilt auch für damalige Maßstäbe, denn das Genfer Abkommen stellte den Soldaten unter Schutz.
Ein Menschenleben lang Ungewissheit
71 Jahre lang blieb Greenes Familie im Ungewissen über sein Schicksal, bis die Historikerin Susanne Meinl mit Markus Mooser die Ereignisse jenes Tages aufdeckte. Ihrer Initiative ist es zu verdanken, dass nun ein Erinnerungszeichen für Greene an der Rungestraße aufgestellt wurde.
„Dies bringt das damalige Verbrechen in unser kollektive Gedächtnis zurück“, sagte OB Dieter Reiter am Freitag bei der Gedenkveranstaltung vor Ort. An dieser nahmen neben den Bürgermeistern aus Pullach und Neuried US-Generalkonsulin Meghan Gregonis, Angehörige der damaligen Besatzung, Vertreter der US Air Force und zahlreiche Bürger teil.
"Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit"
„Die Erinnerungszeichen sollen uns vor Augen halten, dass unsere heutige Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Angriffe gegen Einzelne sind immer auch ein Angriff auf unsere Gesellschaft und auf unsere Freiheit“, unterstrich Dieter Reiter. „Wir dürfen sie nicht tatenlos hinnehmen. Wir müssen uns öffentlich zu unseren demokratischen Werten bekennen und sie gemeinsam verteidigen.“ Dazu mahnte auch Tausendfreund. Sie erinnerte an die Nazi-Propaganda. Dass man damals den „Volkszorn“ schürte, habe zu Gewalt und Krieg geführt. Ähnliche Tendenzen gebe es heute wieder.
Mancher zeigte Courage
Mit Greene sprang am 19. Juli vor 75 Jahren der Funker Richard C. Travers ab und landete nur einige Straßen von ihm entfernt. Doch er hatte Glück: Walter Grein, damals Student, ging dazwischen, als Travers von zwei Männern niedergeschlagen und fast umgebracht wurde. Der ebenfalls aus der Maschine abgesprungene Fotograf Gerald W. Walter verdankt seine Rettung einem bis heute unbekannten Bauern, der ihn vor den Mördern versteckte, bis ihn die Polizei in Kriegsgefangenschaft nahm. "Es gab auch Deutsche, die Morde verhindert haben", erinnerte Meinl.
Viele Morde an abgesprungenen Fliegern sind indes bis heute ungeklärt und ungesühnt.
"Das Leben feiern und die Opfer schätzen"
Bei der Gedenkveranstaltung an dem Ort, wo vor 75 Jahren James M. Greene ermordet wurde, sagte sein Enkel James Patrick Greene:
„Ich bin den vielen Menschen dankbar, die geholfen haben, all das hier zusammenzufügen.
Ich bete, dass die heute vorgestellten Stelen kommende Generationen unterrichten und anspornen. Ich hoffe, dass sie dazu dienen, das Leben und die Zukunft zu feiern und genauso sehr an die Opfer der Vergangenheit zu erinnern und sie zu schätzen.
Auch müssen sie uns alle an die großen Kosten des Krieges denken lassen und andere anspornen, die Standhaftigkeit und Stärke zu haben, den Frieden zu bewahren.
Ich bin stolz, den Namen eines Mannes weiterzutragen, der alles für Freiheit und Frieden gegeben hat. Ich freue mich darauf, diese Erfahrung eines Tages an meine Kinder und ihre Generation weiterzugeben.
Danke Ihnen allen, dass Sie Teil dieser Erfahrung sind.“
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