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"Ich wollte nie eine Prinzessin sein"

Die 18-jährige Alexandra Chorosidou lässt nichts für "unmachbar" gelten

Diesen Satz sagt sie immer wieder: "Nichts ist unmachbar." Alexandra Chorosidou sitzt vor einer Tasse grünem Tee und lächelt. Dass nichts unmachbar ist, das hat die 18-Jährige schon bewiesen. Im Sommer vergangenen Jahres schloss sie die Mittelschule an der Samberger Straße mit dem qualifizierenden Abschluss ab. Als Beste des Jahrgangs. Das Besondere an diesem Erfolg: Alexandra kam erst vor zwei Jahren aus Griechenland nach München. Ohne Deutschkenntnisse. Aber mit jeder Menge Ehrgeiz und Freude am Lernen im Gepäck. Sie hat noch viel vor.

"Das zerreißt einen innerlich"

Ihren Notendurchschnitt, den wisse sie jetzt gerade nicht so genau. "Es war 1,4 oder 1,5", sagt Alexandra und überlegt kurz. "Ich glaube 1,5." Die junge Frau zuckt mit den Schultern. "Das ist nicht mehr so wichtig. Das ist abgeschlossen, jetzt blicke ich in die Zukunft."

Alexandra stammt aus Kavala, einer Hafenstadt im Norden Griechenlands. Die Schülerin erinnert sich noch genau, wie es war, als sie 2012 nach München kam. "Ich konnte nicht mehr sagen als ,hallo' und ,wie geht's'", blickt sie zurück. Ihre Mutter und ihre beiden Geschwister lebten damals schon in der Landeshauptstadt. "Meine Mutter wollte nach München umziehen, damit wir Kinder eine bessere Zukunft haben", erzählt Alexandra. "Sie wusste, dass es schwer werden würde. Meine Eltern haben sich aber trotzdem gemeinsam für den Umzug entschieden." Alexandras Vater kam kurz nach ihr nach München. Ab September 2012 besuchte sie die Mittelschule an der Samberger Straße. Alexandra kam in eine so genannte Übergangsklasse, in der Schüler aus aller Welt zusammensitzen. Es sind Flüchtlingskinder aus arabischen und afrikanischen Ländern darunter. Die meisten von ihnen sprechen kein Wort Deutsch, einige sind Analphabeten. "Auch Englisch konnte fast niemand. Wir mussten uns mit Händen und Füßen verständigen", erzählt die 18-Jährige. "Im Unterricht war es wirklich schwierig, dass ich die Sprache nicht konnte. Man sitzt da, weiß die Antwort, kann sie aber nicht sagen. Das zerreißt einen fast innerlich."

Zwischen viel jüngeren Schülern

Bis Dezember 2012 besuchte die Schülerin die Übergangsklasse, dann kam sie in eine Regelklasse der sechsten Jahrgangsstufe. "Damit ich mich an die deutsche Sprache gewöhne", begründet Alexandra diesen Schritt. Klar sei es ungewöhnlich gewesen, zwischen viel jüngeren Schülern zu sitzen. "Aber es ging ja darum, dass ich Deutsch lerne, und in der sechsten Klasse wird viel Grammatik durchgenommen." Und Alexandra lernte. Parallel zur Schule besuchte sie einen Deutschkurs, schrieb Aufsätze und erhielt für die erfolgreiche Teilnahme am Kurs ein Zertifikat.

Ab September 2013 startete die wissbegierige Schülerin dann richtig durch. Von nun an ging es nur noch in Regelklassen weiter, zunächst in der achten Jahrgangsstufe. Alexandra blickt auf ihre Teetasse. "Meine Noten im Zwischenzeugnis waren ziemlich gut. Also durfte ich gleich in die neunte Klasse", sagt sie. Im Sommer legte sie  die Prüfungen zum qualifizierenden Abschluss ab. "Ich wusste schon, dass es ein ganz gutes Ergebnis wird. Aber dass ich die Beste bin, habe ich erst erfahren, als ich das Zeugnis hatte. Man bekommt dann ja mit, welchen Schnitt die anderen Schüler haben." Doch auf ihren Lorbeeren ausruhen, ist für Alexandra kein Thema. Inzwischen besucht sie die zehnte Klasse der Joseph-von-Fraunhofer-Realschule und möchte im Sommer dort den Realschulabschluss machen. Ihr Wunsch? "Weiter auf das Gymnasium gehen", sagt sie ohne zu zögern. "Wenn alles klappt."

Wenn ihr dieser Schritt gelinge, müsse sie die zehnte Klasse auf dem Gymnasium nochmal machen. Alexandra weiß, dass sie dann schon älter sein wird, als ihre Mitschüler. Aber sie sieht das nicht so eng. "Das Alter ist nicht so entscheidend. Ich werde auch mit 45 oder 50 Jahren noch weiterlernen wollen. Nichts ist unmachbar."

"Ich möchte Medizin studieren"

Das Abitur ist ihr Ziel. Und sie weiß genau, wie es dann weitergehen soll. "Ich möchte unbedingt Medizin studieren", sagt sie. Herzchirurgie interessiere sie sehr. "Ich weiß schon seit sechs, sieben Jahren, dass ich das machen möchte. Ich wollte nie eine Prinzessin sein, sondern eine Ärztin."

Alexandra lernt viel und gern. Aber sie hat natürlich auch Hobbys und trifft sich mit Freunden, wie jede junge Frau ihres Alters. "Eine meiner besten Freundinnen kam auch 2012 aus Griechenland nach München. Sie konnte auch kein Deutsch. Wir haben uns sehr unterstützt und geholfen", so Alexandra. In ihrer Freizeit zeichnet sie gerne und spielt Schach. Auch Literatur ist ihr wichtig. Puschkin liest sie im russischen Original. Dank ihrer aus Russland stammenden Großmutter spricht Alexandra die Sprache perfekt. Um den Kopf frei zu bekommen, läuft sie außerdem jeden Tag. "So zwei, drei Stunden", sagt sie und bei ihr klingt das so selbstverständlich wie Zähneputzen.

"Das ist eine große Chance"

Heimweh nach Griechenland habe sie schon. "Ich vermisse meine Freunde, mein Haus, das schöne Wetter", erklärt sie. "Aber ich sehe das hier als neues Leben. Das ist eine große Chance für mich. In Griechenland haben junge Menschen keine Zukunft." Was sie den Schülern aus den Übergangsklassen rät? "Sie sollen diese Chance hier nutzen. Ich glaube, wenn man etwas wirklich will, kann man das und dann kann man es auch genießen." Was in der Schule fehle, seien Schulbücher für die Übergangsklassen. "Die Lehrer sind sehr engagiert, aber es gibt fast keine Bücher."

Alexandra mag München, seine Sehenswürdigkeiten, das Oktoberfest. Trotzdem kann sie sich durchaus vorstellen, in Zukunft auch im Ausland zu leben, etwa in Großbritannien oder den USA. "Ein Auslandssemester an der Stanford University, das ist auch noch so ein Traum von mir", sagt sie. Ein Traum, der für die 18-Jährige durchaus Wirklichkeit werden könnte. Denn: Nichts ist unmachbar.


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