"Es wird nicht leichter"
Reinhold Wirthl erklärt, warum man nicht allen alles recht machen kann
Solln ist malerisch. Eigentlich. Hier lässt es sich sehr gut leben. Meistens. Wenn die Kinder in der Schule, die Menschen an ihren Arbeitsplätzen und die Geschäfte geöffnet sind, lohnt sich ein Spaziergang duch diesen südlichen Stadtteil Münchens, in dem viele Straßen nach Künstlern benannt sind. Gerade der alte Ortskern ist gekennzeichnet durch denkmalgeschützte Häuser, schöne Gärten - und manchmal recht schmale Straßen. Und hier beginnt das Problem. Und bei den Autos, der Nachverdichtung und dem Unmut der Anwohner. Es allen Menschen recht zu machen ist schwierig, ja unmöglich. Das weiß kaum einer so gut wie Reinhold Wirthl, Vorsitzender des Unterausschusses Verkehr im Bezirksausschuss (BA) 19. Das Gebiet Bleibtreustraße und Wilhelm-Leibl-Straße beschäftigt das Gremium immer wieder. "Schon seit Jahrzehnten", sagt Wirthl. Gerade in der September-Sitzung hatten Bürger wieder ihren Unmut geäußert, unter anderem über zugeparkte Gehwege und zu viele Autos. Die Schlacht um den knappen Platz für die Verkehrsteilnehmer und die Anwohner tobt - Forderungen wurden gestellt etwa nach Pollern und einer Begrenzung der täglichen Fahrzeuganzahl in der Bleibtreustraße.
"Wir haben es mit Rowdys zu tun"
Einige Tage später steht Reinhold Wirthl morgens in der Bleibtreustraße und beobachtet den Verkehr. Gerade quält sich ein Lastwagen durch die Straße, das Fenster des Fahrers ist unten. Wirthl schüttelt ungläubig den Kopf. "Vorne ist ein Schild, dass für Lkw gesperrt ist", sagt er und ruft dem Fahrer zu: "Da kommen Sie nicht durch!" Der Fahrer flucht, fragt nach. "Ha? Nicht?" Wirthl bestätigt es nochmals. Doch der Fahrer will es offensichtlich mit eigenen Augen sehen und fährt weiter. Es sind Dinge wie diese, die Wirthl sauer machen. "Die Ignoranz nimmt zu, ebenso die Missachtung von Verkehrsregeln", klagt er. "Manche Fahrer lassen vor dem Einsteigen die Benimmregeln vor den Autos. Wir haben es mit Rowdys und Rasern zu tun." Der Egoismus steige und es gebe kaum noch Toleranz gegenüber anderen. Und leichter werde es nicht. Die Fakten sprechen für sich.
Immer mehr Verkehr
In den Jahren 2011 bis 2015 ist die Zahl der Einwohner im 19. Stadtbezirk um zehn Prozent von 85.458 auf 93.602 gestiegen. Die Anzahl der Kraftfahrzeuge nahm in den Jahren von 2012 bis 2015 von 47.210 auf 49.319 zu. Wirthl hatte diese Daten aus dem Statistischen Jahrbuch der Landeshauptstadt München bereits in der BA-Sitzung bemüht. Die Zahl der Pkw ist demnach von 41.406 auf 43.085, die der Lkw von 1.556 auf 1.716 gewachsen. "Früher standen in Solln mehr Einfamilienhäuser. Heute entstehen hier Wohnblöcke mit fünf, sechs Wohnungen und jede Partei hat im Schnitt 1,5 Autos", erklärt Wirthl.
"Einige fahren über den Gehweg"
Wie es teilweise zugeht, davon kann auch Brigitta Adam vom Fotostudio Solln berichten. "Zwischen 16 und 17 Uhr ist es am schlimmsten", sagt sie. Zügig durchfahren könne man nicht mehr, die Autos stünden teilweise. "Trotzdem fahren einige noch über den Gehweg", berichtet Brigitta Adam. "Manche Autofahrer steigen sogar aus und räumen unsere Sachen zur Seite", sagt sie und deutet auf einen Fahrradständer und eine große Fahne, die auf einen Paketdienst hinweist. "Da kann man jeden Nachmittag zuschauen, das ist besser als Kino", sagt sie mit resigniertem Lächeln.
Ein weiterer neuralgischer Punkt ist die Winterhalter Straße. "Viele benutzen diese Straße als Schleichweg, um sich eine Ampel in der Herterichstraße zu sparen", erklärt Wirthl. Nun wurde in der BA-Sitzung von Anwohnern die Sperrung der Straße gefordert. "Es wird einen Ortstermin geben, deswegen wurde dieser Punkt vertagt", so Wirthl. Eine Sperrung halte er grundsätzlich für machbar. "Man muss es nur so einrichten, dass die Container dort vom Entsorgungsunternehmen geleert werden können." Zudem müsse man abwarten, welche Möglichkeiten das Baureferat anbiete und was die Branddirektion davon halte. Gerade passiert eine Autofahrerin den Unterausschussvorsitzenden. "Das war keine Anliegerin. Sie wird vorne links abbiegen", orakelt Wirthl. Keine drei Sekunden später setzt die Frau den Blinker. Nach links.
Das Halteverbot kommt
Um das Befahren des Gehwegs zu verhindern, wurden vor einigen Wochen zwei Pfosten in der Wilhelm-Leibl-Straße angebracht. "Wir können jetzt aber nicht überall solche Pfosten hinsetzen", sagt Wirthl mit Blick auf weitere Forderungen etwa in der Bleibtreustraße. Auch eine Einbahnregelung in der Bleibtreustraße, wie unlängst gewünscht, bringe sicherlich keine Lösung. "Das verschiebt das Problem nur", so Wirthl. Ebenfalls lediglich eine Verlagerung befürchtet er, sollte die Drygalski-Allee zur Schinnererstraße oder zur Wolfratshauser Straße verlängert werden. "Das lenkt mehr Verkehr in die Wilhelm-Leibl- und in die Melchiorstraße", ist Wirthl überzeugt.
Was allerdings komme, so der Unterausschussvorsitzende, sei ein Halteverbot in der Bleibtreustraße 19 bis 21. Dadurch würde die Straße breiter und ein Befahren des Gehwegs gerade im gegenüberliegenden Bereich sei auszuschließen. Mit dem Halteverbot sei in den nächsten acht bis 14 Tagen zu rechnen.
"Schranke nicht umsetzbar"
Für nicht realisierbar hielt der BA in seiner Sitzung die Forderung, maximal 3.000 Fahrzeuge täglich in der Bleibtreu- / Wilhelm-Leibl-Straße zuzulassen. "Wie das sichergestellt werden soll, ist nicht nachvollziehbar. Eine Schranke ist in der Praxis nicht umsetzbar", hatte Wirthl dem Gremium gesagt. Der Antrag wurde abgelehnt.
Die Autos in Solln werden mehr, der Ton wird rauer. Dass Wirthl manchmal scharf angegangen wird, arbeite gelegntlich an ihm. "Aber man legt sich mit der Zeit ein dickes Fell zu", sagt er. "Ich verstehe den Ärger der Anwohner. Aber man kann es leider nicht jedem recht machen."
Die Bleibtreustraße wurde übrigens nach dem deutschen Maler Georg Bleibtreu (1828-1892) benannt. Er machte sich vor allem als Maler von Schlachten einen Namen.
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